Mit 14 Jahren begann mein Interesse für Spiritualität. Am Anfang dessen stand der legendäre chinesische Philosoph Laotse. Das war auch die Zeit in der ich begann Zen-Meditation zu praktizieren. Erst viel später, gegen Ende 20, las ich die Bücher Genesis und Exodus. Die Prophetenbücher König Davids und König Salomons folgten: die Psalmen, die salomonischen Weisheits-Bücher und das Hohelied. Seitdem ich selbst schreibe, zitierte ich immer wieder auch aus den christlichen Evangelien oder Briefen Pauli.
Von teils überwirklichen Erfahrungen bewegt, leitete mich meine Wissbegierde schließlich zum Koran. Dieses Buch wirkte auf mich anfangs sehr irritierend. Die Religion des Islam erschien mir erst sehr zweifelhaft. Doch die Deutlichkeit des Heiligen Buches der Muslime, die bisweilen heftig ausfällt, scheint dem Leser jeden Zweifel über Gott abgewöhnen zu wollen. Johann Wolfgang von Goethe schrieb dazu einmal:
Der Stil des Korans ist, seinem Inhalt und Zweck gemäß, streng, groß, furchtbar, stellenweise wahrhaft erhaben; so treibt ein Keil den andern, und darf sich über die große Wirksamkeit des Buches niemand verwundern. Weshalb es denn auch von den echten Verehrern für unerschaffen und mit Gott gleich ewig erklärt wurde.
– Aus Goethes Mahomet
Die Beschäftigung mit dem Koran und der damit offenbarten Religion, verlangte mir ebenso viel ab, wie mein Ringen um meine wahre Identität: ich denke deutsch, habe einen türkischen Namen, meine Familie ist weder richtig deutsch, noch richtig türkisch.
Ehrfürchtige Gottergebenheit: Islam
Ein anderer Gesichtspunkt, der mich zuerst zögern ließ, mich selbst dem Islam zu nähern, war das, was seit Anfang des neuen Jahrtausends bewusst eingeführt worden zu sein scheint: Der sogenannte Islamismus – wohl eher eine üble Farce, die jenen hilft, sich noch leichter bereichern zu können.
Dieses politische Phänomen trübt bis heute die Sicht auf den Islam vieler Menschen im Westen. Viel zu leicht schließt man da doch von einer sehr, sehr kleinen Minderheit krimineller Fanatiker von denen man in den Medien erfuhr, auf die gesamte muslimische Weltbevölkerung von insgesamt 1,6 Milliarden Gläubigen. Hinzu kommt, dass der kranke Eifer der radikalen Glaubensverfechter, hauptsächlich von politischen und gesellschaftlichen Problemen angetrieben wird und nicht etwa von Glaubensthemen. Man denke etwa auch an das Gesicht des buddhistischen Terrors in Burma, der gezielt blutige Greueltaten gegen muslimische Menschen verübte. Oder die Gewalt in Nord-Irland, wo sich Katholiken und Protestanten bekriegten. Sicher hielte man jemanden für ungebildet, der wegen solcher Berichte aus Fernsehen, Internet und Zeitungen behauptete, alle Buddhisten oder Christen seien gewalttätig. Der Wunsch den Islam und andere Religionen partout gleichsetzen zu wollen mit Gewalt, basiert jedoch leider auf Unwissen.
Al Buraq: Das legendäre Reittier des Propheten Mohammed (as), auf dem er in seiner Nachtfahrt von der Erde in den Himmel reiste (Illustration: S. Levent Oezkan).
Muslim auf dem mittleren Weg
Auch der Islam verehrt die Propheten Adam, Noah, Abraham, Moses oder den Friedensfürsten König Salomon, wie auch Jesus Christus. Auch im Koran ist zu lesen, dass Jesus als Sohn einer heiligen Jungfrau geboren wurde, weshalb man ihn »Isa ibn Maryam« nennt: Jesus, Sohn der Maria.
Fragte mich einer nach meinem Glauben, erhielte er die Antwort: »Ich bin Muslim«. Doch das ist alles etwas komplizierter.
Ich fühle mich sowohl den Sunnis, den Schiiten wie auch den Aleviten verbunden. Und das wäre aus Sicht orthodoxer Muslime gänzlich unmöglich. Auch hätte ich wohl kaum zum Islam gefunden, besäße nicht auch diese Religion, so wie die mosaische Tradition die Kabbala, und die christliche Tradition Rosenkreuzertum und Gnosis, eine mystische Dimension: Das ist der Sufismus.
Man muss grundsätzlich unterscheiden zwischen dem eher orthodoxen Islam der Sunniten und dem, was sich im 11. Jahrhundert aus dem Schiitischen Islam durch die Mutazila herausbildete: einer stark von der griechischen Philosophie beeinflusste islamische Strömung. Sie nämlich stellt, wie auch ich, die Willensfreiheit des Menschen in den Vordergrund und geht nicht aus von einer, nur von Gott vorherbestimmten Welt. Das bedeutet jedoch gleichzeitig, dass sich jeder Mensch für sein Handeln stets verantworten muss, auch wenn er darin einen gewissen Spielraum hat. Wahrscheinlich brachten mich zu dieser Ansicht auch die Lehren des Buddha, der einen »Mittleren Weg« predigte.
Ob diese Vorstellung von Gott und dem Menschen in der Welt sich auf diese Weise für mich tatsächlich bewahrheitet hat, zu dem finde ich – das zumindest ist meine Hoffnung – erst am Ende meines Lebens.
Trotz also dass meine Vorfahren Sunniten waren, fühle ich mich als Sufi der Naqshbandi-Sidrati-Tariqa (Naqshbandi des Weißen Lotus) eng verbunden mit dem Islam der Perser, das heißt dem Schiismus, dem Alevitentum und dem Ismailismus. Es liegt an meiner besonderen Verehrung für Hazret Ali, dem Schwiegersohn und ersten männlichen Anhänger des Propheten Mohammed. Besonders im Glauben der Aleviten, ist Ali von zentraler Bedeutung.
Meine starke Affinitiät zum Christentum und zum Jüdischen Glauben
Würde ich behaupten, allein dem Islam oder Sufismus etwas abgewinnen zu können, würde mir das wohl kaum jemand glauben, allein schon darum nicht, da ich diese Webseite betreibe und zu verschiedensten Themen der Spiritualität Bücher schreibe, auch unter dem Pseudonym Johan von Kirschner.
Es ist einfach so, dass ich großen Respekt verspüre, besonders für die Tradition der Juden. Jene Gläubigen nämlich hielten über die Jahrtausende hinweg, trotz Verfolgung und Diaspora, immer an ihrer religiösen Praxis fest. Solch ein Festhalten an alten Sitten und Gebräuchen ist etwas, dass unserer heutigen, modernen Kultur einfach fehlt. Fraglos also, wenn ich auch viele jüdische Freunde habe. Manche senden mir im heiligen Monat Ramadan die besten Grüße. Ein befreundeter Biologe aus Haifa (heute leider verstorben), nahm mich am Schabbat (Samstag) mit zum Gottesdienst in seine Synagoge. Auf dieser zweiten Israel-Reise betete ich auch im Felsendom gen Mekka, kniete in der Grabeskirche in Jerusalem am Grab Jesu. Das mag manchen Muslimen, Christen oder Juden wohl absurd erscheinen. Doch das ist mein Weg. Diese Offenheit und Toleranz wurde mir in meiner Familie vermittelt:
Mache keinen Unterschied zwischen Herkunft, Hautfarbe oder religiöser Gesinnung eines Menschen.
Meine Eltern lebten mir vor, dass sich glücklich schätzen kann, wer Gäste hat und sie auch als Menschen verschiedener Herkunft, zum Wohle aller zusammenbringt.
Drum ist es mir ein Anliegen, durch meinen Umgang mit Menschen verschiedenen Glaubens, zu zeigen, dass es durchaus möglich ist, den Kern eigener, religiöser Werte auch in einem diesen Traditionen fremden Umfeld zu leben.
Nicht die Kenntnis der Unterschiede stärken den Glauben eines Menschen, sondern das Wissen von der Relevanz der Ursprünge seiner Tradition und den darin begründeten Gemeinsamkeiten. Sie nämlich ziehen sich als kontinuierlicher Strang der Weisheit, durch die theosophisch-religiösen Strömungen in West und Ost, und entfalteten sich über die Jahrtausende, aus dem lebendigen Wachstum eines gemeinsamen Ursprungs.