Das unterscheidet die Anhänger der profanen Religionen von den Mystikern: Judentum, Christentum, Islam gehen grundsätzlich nicht davon aus, dass ein Eins-Werden mit Gott möglich ist. Die Mystiker des Sufismus aber glauben sehr wohl, dass der Mensch nicht für immer Gott „nur“ gegenübersteht, sondern tatsächlich eine Einheit in Gott erfahren kann.
Für profane Gläubige ist eine solche Vorstellung ganz unmöglich, wenn nicht sogar Gotteslästerung. Ähnlich den sufistischen Vorstellungen, erstrebten im Mittelalter auch christliche Mystiker ein solches Einswerden mit Gott. Viele von ihnen aber wurden von der Inquisition verdächtigt und verfolgt. Diese Rolle scheint heute der radikalisierte Islam übernommen zu haben.
Zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert entwickelte die Sufi-Bewegung einflussreiche Glaubensstrukturen, die neben den islamischen Gesetzesschulen existierten und diese teils stark beeinflusste.
Sufis besitzen ihre eigene Theologie und eigenen Frömmigkeitsformen, die sie in ihren Begegnungszentren pflegen, den Dargas (auch „Tekke“ genannt).
Vielen Menschen im Westen fehlt heute der Zugang zum Islam. Sicher trugen dazu solche Ereignisse bei, wie der 11. September 2001 und der gegenwärtige, sogenannte „Islamistische Terror“. Unter Sufismus verstehen viele aber einen moderaten Islam, der wegen seiner mystischen Elemente, insbesondere für spirituell Suchende recht interessant erscheint.
Der Begriff Dschihad, ruft bei den meisten Menschen Assoziationen von Angst und Gewalt in Erinnerung, wobei in Wirklichkeit dieses arabische Wort nicht auf Waffengewalt deutet, sondern auf die Anstrengung des Einzelnen, auf dem Weg zur ultimativen Gotterfahrung. So aber ist es mit Wörtern: sie werden oft nur als Hülsen verwendet, um sie mit irreführenden Inhalten zu stopfen. Insofern aber, verfügen auch die Sufis über eine sehr starke „Waffe“ – wie es einmal der pakistanische Friedensforscher Syed Qamar Afzal Rizwi formulierte – und diese Waffe ist die Liebe.
Mystik der Sufis
Wenn jemand das Wort „Sufi“ oder „Sufismus“ gebraucht, verweist er damit auf die Mystiker im Islam. Was aber ist ein Mystiker? Etwas „Mystisches“ ist ja etwas Rätselhaftes, Seltsames – vielleicht sogar Irrationales? Das Wort „Mystik“ ist griechischen Ursprungs und verweist auf die zentrale Haltung der Mystiker: sie nämlich, verschließen ihren Mund, griechisch myein, da sie mit Uneingeweihten nicht über die Geheimnisse ihrer Tradition sprechen.
Somit ist der Sufi, als islamischer Mystiker, eigentlich jemand, der sich ausschweigt über die Geheimnisse seines Glaubens, seiner Spiritualität und der Lehren seiner Schule. „Profane Ohren“ gehen die Geheimnisse der Sufis nichts an. Es geht hier aber nicht etwa um Geheimniskrämerei, was manche Verschwörungstheoretiker oft ja auch den Bruderschaften der Freimaurer unterstellen. Eher hat das Schweigen einen viel triftigeren Grund: manche Geheimnisse zu erfahren, würden einem Nicht-Eingeweihten einfach nur schaden. Das Verschwiegenheitsgebot dient also dem inneren Heil des Uneingeweihten. Schließlich lassen sich die in den inneren Zirkeln der Sufi-Bruderschaften gemachten Erfahrungen, auch gar nicht intellektuell erfassen. Darum können sie auch nicht erzählt werden.
Wenn der Sufi-Scheich einen Neophyten in die Geheimnisse seines Ordens einweiht, vermittelt er ihm eine unmittelbar intuitive Erfahrung. Für die Sufis ist das die Einheitserfahrung mit Gott. Erkenntnis und Weisheit, Licht und Liebe: das sind Erfahrungswerte die man nur gewinnen, jedoch nicht intellektuell erklären kann. Eine Erfahrung jemandem zu erklären, der sie noch nicht gemacht hat, wäre ebenso umständlich, wie als wollte man jemanden den Unterschied zwischen Zuckerwasser und Honig erklären. Wer vom Honig aber kostet: was bedarf es da noch einer Erklärung?
Entsagung im Sufitum
Mystik und Asketentum liegen nahe beieinander. Die frühen Sufis zeichneten sich dadurch aus, dass sie grobe Wollgewänder trugen. Daher auch ihr Name: Suf ist der arabische Name für die Wolle. Das arabische Wort für Mystik ist Tasawwuf, was wörtlich meint „sich in Wolle kleiden“. Jene Wollgewand tragenden Asketen waren oft auch Sufis, die wegen ihrer eigenartigen Philosophie und teils besonderen islamischen Frömmigkeit auffielen. Seit den Anfängen des Islam (7. Jahrhunder), gab es Sufis. Die ersten unter ihnen waren vielleicht ersten Anhänger Mohammeds (as), die eine enge Liebe zu Gott verspürten und eine mystische Vereinigung mit ihm anstrebten. Ihnen war der islamische Prophet ein Vorbild, gar die Verkörperung, für diese Liebe in Gott.
Die ursprünglichen Einflüsse des Sufismus, sind aber viel älter als der Islam. Man kann sagen, dass verschiedene Hauptströmungen die spätere Geschichte des Sufismus beeinflussten. Das war neuplatonisches Gedankengut von der göttlichen Einheit und dem Wesen der Seele. Das Eremitentum christlicher Mönche, sollte die Sufis ebenso beeinflussen, wie jene buddhistische Asketen, deren Meditations- und Atemtechniken, die Sufis in ihre Tradition integrierten. Auch Einflüsse der Schamanen, mit denen besondere naturmystische Bräuche und Sitten überliefert wurden, findet man im Sufismus.
Generell kann man sagen, dass die Ursprünge des Sufismus gewiss auch im islamischen Asketentum wurzeln. Nicht zufällig eben tragen Sufis das grobe Wolltuch, die Kleidung der armen Leute. Daher auch der persische Name „Derwisch“, was einen armen Menschen ohne Besitz bezeichnet.
Sufis waren immer auch Leute, die mit ihrer Art provozierten. Vielleicht würde man heute von „Aussteigern“ sprechen, die die bestehende Gesellschaft verachtete, die aber aktive Kämpfer für den wahren Glauben wurden (Dschihad). Doch nicht etwa im Sinne militanten Handelns (wenngleich in der Geschichte auch davon berichtet wird), als vielmehr Schwärmern, die vor Gottes Drohung und Zorn in Gottes Schutz und Arme flohen.
Anders als durchschnittliche Muslime praktizierten die ersten Sufis fromme Entsagung. Sie ordneten sich den Gesetzen Gottes unter und legten höchsten Wert auf Frömmigkeit und sakrale Reinheit. Dieses Streben ergab sich in der Zeit des Kalifats der Umayyaden, Anfang des 8. Jhd. Man stellte sich aktiv gegen die damals in der arabischen Welt zunehmende Verweltlichung und sah im Wunsch nach Luxus nur einen allgemeinen Sittenverfall. Vielen war Vorbild Al-Hasan Al-Basri (gestorben 728) – ein arabischer Asket, der ein schlichtes, doch rechtschaffenes Leben im Dienste Allahs anstrebte. Was er und seine Anhänger suchten, war allein der Wunsch in Gott aufgehoben zu sein – etwas, dass natürlich nur durch Selbstverleugnung zu erzielen ist.
Vom Wunsch die Freundschaft Gottes zu erlangen
Mystik ist jedoch mehr als Asketentum und Selbstverleugnung. Ein Mystiker ist einer, der bewusst nach der inneren Erfahrung göttlicher Wirklichkeit strebt. Doch eigentlich müssen wir gar nicht unterscheiden zwischen Asket und Mystiker, bejahen schließlich beide eine Abkehr vom Weltlichen. Das heißt, dass die Sufis immer versuchen, sich im Innern, teilweise aus der menschlichen Gesellschaft loszulösen und zu befreien. Askese ist dabei nur eine Übung, nur eine Station auf dem Weg. Es geht den Derwischen vor allem um die Inneneinkehr, mit dem Ziel eine unmittelbare Einheit in Gott zu erlangen, ein Freund Gottes zu werden. Daher der Name für die Sufis: Auliya Allah – die Gottesfreunde.
Dichtung und Musik sind ganz essentielle Bestandteile der mystischen Praxis der Derwische. In den Kreistänzen der Mevlevi-Derwische (aus dem türkischen Konya), dem Semâ, bringen sich die Tänzer in Extase, vergessen sich selbst und versuchen so, ihr Ich im unermesslichen Absoluten Allahs aufzulösen und damit Eins zu werden.
Ein anderer wichtiger Aspekt ist das Gedenken Gottes – Dhikr Allah: Mittel zur Erlangung ekstatischer Zustände. Darin werden rhythmisch, litaneienhaft Gott und seine 99 Namen angerufen. Auch bestimmte Formeln aus dem Koran sind dabei relevant. Insbesondere aber die Schahada, das islamische Glaubensbekenntnis:
La ilaha illa llahu – لا إله إلا الله – Es gibt keinen Gott außer Gott!
Bei all ihrer Praxis ist Vorbild der Prophet Mohammed (as), als ein Mensch der erfüllt ist von Gerechtigkeit, Freundlichkeit, Mitleid und Erbarmen. Kein anderer wie er, so die Derwische, hatte die Vertrautheit mit Gott erreicht. Wer darum versucht den Lebensweg Mohammeds (as) nachzuahmen, der wird als Sufi fähig sein, auch selbst eine ähnliche Vertrautheit mit Allah zu erlangen. Kurz: der Pfad des Sufi führt vom islamischen Gesetz Scharia auf dem mystischen Weg Tariqa zur göttlichen Wahrheit Haqiqa. Diese göttliche Wahrheit als wirklichste Wirklichkeit kann erfahren, wer den praktischen Pfad des Sufismus beschreitet. Das ist die beständige Arbeit an sich selbst unter Führung eines Meisters (Sheikh), wie auch die direkte persönliche Erfahrung Gottes. Statt rationalen Lehren und Aneignung von Wissen, streben die Sufis eine praktische Seelenführung an.
Vielleicht ist das der Grund, wieso viele Sufis mit dem Konzept der Philosophie, wie etwa der der Hellenen, nichts wirklich anfangen können. Vielmehr versuchen sie die Wege ihres Herzens zu ergründen und statt Nachdenken, durch Innenschau Erkenntnis zu erlangen. Insofern wäre es falsch zu sagen, Sufismus sei islamische Philosophie, wie manche behaupten. Vielmehr ist Ziel des Sufismus, seine Anhänger gleichzeitig zu Gelehrten wie auch Seelenführern zu machen. Sufis wollen ihren Mitmenschen durch ihre religiösen Kenntnisse, spirituellen Einsichten und mystische Erfahrung, eine philanthropische, menschenfreundliche Ethik vermitteln.
Sufistische Mystik entwickelte sich nicht etwa parallel oder ohne den geistigen Überbau des Korans. Die Sufis sehen sich als geistige Erben des Propheten Mohammed (as), der die Strophen des Koran ja direkt von Allah empfing.
Wort des Koran
Wer im heiligen Buch der Muslime schon einmal gelesen hat, dem fällt auf, wie unerbitterlich die Verse dieses Buches, den Mensch zu einem rechtschaffenen, gottergebenen Leben ermahnen. Goethe schrieb dazu in seinem West-östlichen Divan:
Der Stil des Korans ist seinem Inhalt und Zweck gemäß streng, groß, furchtbar, stellenweise wahrhaft erhaben; so treibt ein Keil den andern, und darf sich niemand über die große Wirksamkeit des Buches verwundern. Weshalb es denn auch von den echten Verehrern für unerschaffen und mit Gott gleich ewig erklärt wurde.
Und ja: der Koran zeichnet sich definitiv durch seine Strenge und Schärfe aus. Doch die Sufis sagen, dass man den Koran nicht allein mit den Augen des Kopfes, sondern mit dem „Auge des Herzens“ lesen soll. So kann einer die innere Natur dieses heiligen Buches erfassen. Damit wird der Koran anders gelesen, und lässt sich tolerant und friedlich auslegen – was für Muslime heute wichtiger ist als denn je.
Liebe der Sufis
Was echte Mystik vom Asketentum unterscheidet, ist, was die Sufis unter wahrer Liebe verstehen. So gilt die Vereinigung mit Gott, den Mystikern als höchstes Ziel, während das Asketentum die Traurigkeit des Verzichts prägt und oft wohl plagt. Dschallaladin Rumi sagt:
Sufismus ist Freude finden im Herzen, wenn die Zeit des Kummers kommt.
In diesem mystischen Herzen Qalb, stehen die niederen Aspekte der Triebseele Nafs, mit dem Intellekt Ruh, im Widerspruch. So ist das mystische Herz für die Sufis in einem ständigen Konflikt, was sich verschlimmert, wenn jenes Auge des Herzens, von dem oben die Rede war, blind bleibt. Wie auf einem Schlachtfeld kämpfen die Triebe gegen den Intellekt, in diesem mystischen Herzen.
Der Sufi Dschallaladin Rumi auf der Rückseite einer alten türkischen Banknote (5000 Lira). Rechts im Bild die Blaue Moschee in Konya – Ort der tanzenden Mevlevi-Derwische.
Die Mystiker des Sufismus sehen im Herzen den Ursprung gewollten Handelns, wie auch alle aus Intuition geborenen Handlungen.
Aus Qalb, das wie im Vedanta das Anahata-Chakra, auch im Sufismus, als feinstoffliches Herz erkannt wird, strömt, was die Sufis Ishq nennen – göttliche Liebe. Das Wort taucht als solches im Koran nicht auf, doch geht das Buch auf andere Weise ein auf den Aspekt der Liebe. Eher spricht der Koran von Hubb, der Zuneigung oder Ashaq, was bedeutet an etwas festzuhalten, so wie sich der Efeu am Gemäuer hält, den die Araber Ashaqa nennen. Da die Wörter der arabischen Sprache nun auf den sogenannten Wortwurzeln basieren, sind Ashaq, das Festhalten, und Ishq, die Liebe, natürlich miteinander verwandt.
Ishq bezieht sich auf den unwiderstehlichen Wunsch von der Liebe Gottes Besitz zu ergreifen, ausgedrückt in der Schwäche des Liebenden Ashiq, der nur durch die Erwiderung seiner Liebe geheilt werden kann, um damit Vollkommenheit Kamal zu erlangen.
Gewiss erinnert dieses Liebesbestreben der Sufis, an jene Liebesmystik und Poesie der mittelalterlichen Troubardoure Frankreichs und Spaniens (11. Jhd). Für sie war Liebe ein Begriff wahrhaft kultivierten Umgangs von Menschen edler Gesinnung, wie man sie etwa in den Legenden der Artusritter oder der Gralslegende findet. Wohl nicht ganz zufällig tauchte Ende des 11. Jhd. im maurischen Spanien, eine ganz wichtige Sufi-Abhandlung über Liebe auf, die aus der Feder des Sufi Said Ibn Hazm (994-1064) stammte: Das Halsband der Taube – ein Gedicht von der Liebe und den Liebenden, geschrieben 1022, fast tausend Jahre vor unserer Zeit.
Als Liebe galt Said Ibn Hazm allein die Verbindung der Seelen: sowohl zwischen zwei verliebten Menschen, wie auch der Liebe eines Sufi zu Gott. Damit verwies er auf folgenden Koranvers:
Er ist es, der euch aus einer Seele erschaffen hat
– Sure 4:1
Die Liebe die Ibn Hazm in seiner Poesie beschreibt, scheint uns heute vielleicht befremdlich. Doch wie ja auch der Minnesang der mittelalterlichen Troubardoure, meinte Ibn Hazm eine andere Art Liebe, als was man darunter heute vielleicht versteht:
Ich möchte, dass ein Schwert zerteilt
Mir meines Herzens Schrein,
Dass man ihn erfüllt mit dir und ihn dann
Verschließt im Busen mein.
Dann weiltest du in ihm und schlügest
Sonst nirgendwo dein Zelt auf,
Bis aus dem Grab erstanden und
Die Welt gerichtet ist.
Du lebst in ihm, solang ich bin.
Und wenn der Tod mich ruft,
Wohnst du in des Herzens Tiefe
Im Dunkel meiner Gruft.
– Aus dem „Halsband der Taube“ des Ibn Hazm
Abbildung einer Handschrift Ibn Hazms Werk „Halsband der Taube“ (Universitätsbibliothek Leiden, Niederlande).
Drei Formen wahrer Liebe
Es gibt drei Formen der Liebe bei den Sufis. Zuerst wäre da die Ishq-e-Majazi, was sich als metaphorische Lieben übersetzen ließe. Der Sufi bezieht sich hier auf die Liebe zur göttlichen Schöpfung, wie auch die Liebe zwischen zwei Menschen – etwas dass mit der äußeren Schönheit eines Menschen zu tun hat und darum auch mit körperlichen Verlangen zum anderen. Das aber widerspricht ja, wenn wir zu Anfangs gesagt haben, dass eine „metaphorische Liebe“ gemeint ist. Es ist eben die verallgemeinerte Weise des Verständnisses, die auf diesen Aspekt der Liebe verweist. Eigentlich aber soll die Isha-e-Majazi als Liebe, zu Mohammed (as) führen und über seine Segenskraft Baraka, schließlich zu Gott. Somit ist sie eine transformierte Form der Liebe, zu etwas Höherem, Vollkommenerem.
Damit wird die wahre Liebe zu Mohammed (as) erzielt, die man Ishq-e-Rasul nennt. Alles was in der Schöpfung existiert, so die Sufis, dient seinem Schöpfer, das heißt Allah. Daher der Glaube der Sufis, dass alle Seelen der Schöpfung, der Seele Mohammeds (as) ähneln. Drum will die geläuterte Seele des Liebenden zu ihm zurückkehren, was er erfährt, indem für ihn alle Attribute Allahs in Mohammed (as) widerscheinen.
Die Ishq-e Haqiqi ist das, was die Sufis die „Wahre Liebe“ nennen, Bezug nehmend darauf, dass nur Gott wahrer Liebe wert ist. Nur Allah kann diese Liebe zu ihm erwidern. Es ist eine reine Liebe des Herzens. Nur dort kann sie vom wahren Gottsucher empfunden werden. Dort sieht sie der Sufi mit dem Auge des Herzens – etwas das dem Tier fehlt.
In allen diesen drei Formen der Liebe zum Absoluten, unterscheidet sich Mystik vom Asketentum. Es ist nicht der Verzicht, der den Mystiker ausmacht, sondern sein Wunsch die Liebe in der Vereinigung mit Gott zu erfahren.
Doch diese Gotterfahrung lässt sich nur schwer in Worte kleiden. Liebe muss erlebt, muss erfahren werden. Sie führt den Liebenden zum Geliebten, dass er mit ihm eins werde. Es ist wie mit dem Nachtfalter: bis zum Sonnenaufgang fliegt er um das offene Licht des Feuers und hält es für die Sonne. Jede Nacht wiederholt er dieses Trauerspiel, will der Lichtquelle näher kommen, doch versengt sich nur die Flügel. Doch jede Nacht verliebt er sich mehr in die Schönheit dessen, was er für die Sonne hält. Er kehrt zurück zu den Seinen, um ihnen von dieser Schönheit zu berichten. Und sie folgen ihm.
Dann, am folgenden Abend wartet der Falter bis Sonnenuntergang und wünscht sich nichts mehr, als völlig in das Licht des Feuers einzugehen – fliegt in die Flamme und wird mit ihr eins.