Die Psychologische Bedeutung der Tetraktys

Ich schwöre es bei Dem,
Der sich in unsere Seele übertragen hat,
Als die heilige Tetraktys,
Der Quelle der Natur, deren Verlauf ewig ist.

– Eid der Pythagoräer

Die Tetraktys war das heiligste Symbol der Pythagoräer. Sie bildete für sie ein universales Weisheitssystem, dass sich auf sehr viele Bereiche des Lebens anwenden lässt. Wir wollen uns im Folgenden einmal ansehen, welche Perspektiven uns die Tetraktys in die Welt der Psychologie eröffnet.

Zuerst einmal schauen wir uns dazu charakteristische Aspekte an, die ihren vier Ebenen entsprechen:

  1. Ebene (ganz unten): Die 4 Alchemistischen Elemente
  2. Ebene (darüber): Die 3 Alchemistischen Prinzipien (Tria Principia)
  3. Ebene (darüber): Die 2 Aspekte des Psychischen
  4. bene (ganz oben): Das Selbst

Doch schauen wir uns diese vier Ebenen einmal genau an.

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I. Ebene: Die vier Alchemistischen Elemente

Das menschliche Ego erfährt die profane Welt in Form der vier Elemente. Aus Perspektive der Psychologie (nach C. G. Jung) lassen sich die vier Elemente Funktionen des Bewusstseins zuordnen, wie Empfindung (Erde), Gefühl (Wasser), Denken (Luft) und Intuition (Feuer). In dieser Reihenfolge, also vom Element größter (Erde) zum Element geringster Dichte (Feuer), entsprechen sie dem Erfahren eines Menschen im Kollektiv und sein Erfahren als Individuum.

Die Pythagoräer sprachen in ihren Lehren dabei vom Werden des Weltlichen durch Entwicklung eines Menschen (Evolution von der Erde zum feurig Spirituellen hin) oder durch Rückbildung seines Seins (Involution vom Spirituellen ins materiell Weltliche), in Form einer immer stärkeren Banalisierung seines Lebens.

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1. Erde

Die alchemistische Erde bildet die stoffliche Grundlage alles Materiellen, dass sich auf die Natur und den Körper beziehen lässt. Erde entspricht den sinnlich empfundenen Erfahrungen des Bewusstseins. Aber auch Nahrung, Unterkunft oder körperliches Wohlbefinden sind Aspekte dieses Bewusstseins von der Erde. Sie ist trocken und kalt, wobei ihre Trockenheit auch sich als Kraft des Starren erkennen lässt und damit einer dem entsprechenden Unverletzlichkeit. Kälte, als vereinigende Kraft (wie zum Beispiel beim Vorgang des Gefrierens), bezieht sich auf alle Aspekte des Gleichen und des Gemeinsamen (und damit auch des Gemeinschaftlichen).

2. Wasser

Emotionen und Beziehungen zwischen Menschen entsprechen der Bedeutung des Wassers in der Alchemie. Darum ist es das Element der Gefühle eines Menschen, seine Affekte und emotionalen Verstrickungen mit Menschen, wie ausgedrückt in der Liebe und Freundschaft, doch ebenso in der Angst, der Abhängigkeit und dem Hass. Wasser ist kalt und nass. Die Kälte, als verbindende Kraft, bezieht sich auf die Beziehungen eines Menschen. Des Wassers Nässe, steht für seine anpassende Kraft und damit für die emotionale Fähigkeit eines Menschen flexibel auf innere und äußere Ereignisse zu reagieren.

3. Luft

Als alchemistischer Aspekt der Psychologie bezieht sich das Element Luft stets auf die Ideen und die Vernunft eines Menschen. Sie bestimmen seine Denkfunktionen und alle damit zusammenhängenden kreativen und intellektuellen Denkvorgänge. In der Alchemie ist das Element Luft feucht und warm. Wobei seine Feuchte, in Form seiner fließenden Kräfte, den Aspekt der Anpassungsfähigkeit menschlichen Denkens bildet. Die Wärme, als Kraft der Unterscheidung (und Trennung), bezieht sich auf des Menschen Fähigkeit Dinge voneinander abzugrenzen, auseinanderziuhalten und dabei ihre Ungleichheiten zu erkennen. Nur so ist Innovation überhaupt möglich.

4. Feuer

Die Ideale eines Menschen symbolisiert das alchemistische Feuer. Es steht für das was ihn inspiriert, begeistert, sowohl an neuen Ideen wie auch an spirituellen Vorstellungen. Jung ordnet dem Feuer-Element die Funktionen der Intuition zu. Feuer ist was motiviert, doch auch was eines Menschen tiefste Sehnsüchte zu entfachen vermag. Feuer ist heiß und trocken: Hitze, als trennende Kraft, bezieht sich auf das menschliche Unterscheidungsvermögen. Des Feuers Trockenheit, in Form seiner bezwingenden Kräfte, steht für des Menschen Strebsamkeit, wie auch gleichzeitig für seine unbeirrbaren Instinkte.

II. Ebene: Die drei Alchemistischen Prinzipien

Sie sind Synonyme für alles das sich verändert und damit auch symbolische Werte für die Erfahrung von Zeit. Alles was sich verändert unterliegt zunächst dem Prinzip des Sal. Dieses Prinzip steht für das Gesetz, dass sich alles Materielle nur in der basalen Welt manifestieren kann. Durch das Merkurius-Prinzip wirkt darin aber immer eine geistige Verbindung, zwischen dem Unten und dem Oben, zwischen dem Hohen und dem Niederen, wobei das Prinzip des Sulphur für das Hohe, das Obere steht, in Form eines allgegenwärtigen, lebendigen Geistes.

In den pythagoräischen Lehren heißt es dazu, dass sich das Bewusstsein eines Menschen hin zum Planetarischen entwickeln kann (Evolution) oder rückgeführt wird zu den Wurzeln seiner Psyche (Involution).

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5. Sal

Dieses Prinzip steht für das, was unveränderlich bleibt und damit für die Vergangenheit. Darum ist Sal das Prinzip das allen menschlichen Erinnerungen zu Grunde liegt, als Synonym für das Gedächtnis. Was der Vergangenheit angehört – und das gilt sicher für die Erinnerungen eines Menschen – ist vergänglich. Es ist das Sal die Essenz, das Salz einer Sache und damit, im übertragenen Sinne, die Quelle alles Wesentlichen, was die Grundlage aller Weisheit bildet. Als solch essenzielles Prinzip steht Sal darum für eine nach innen gerichtete psychische Energie, die die Voraussetzungen aller Innenschau bildet, wenn es um den Weg der Selbstfindung geht.

Das Sal-Prinzip steht, wie man der Tetraktys entnehmen kann, in enger Beziehung zu den darunter liegenden Kräften der Erde (1.) und des Wassers (2.). Denn die Psychologie der Vergangenheit, als objektiv Unveränderliches der Erde, wird von ihrer emotionalen Bewertung, als das Veränderliche des Wassers, umrungen. Je nachdem wie die Mischungsverhältnisse dieser irdischen und wässrigen Prinzipien bestimmt sind, kann daraus entweder bittere, giftige Sole entstehen oder der Stein der Weisen beziehungsweise das Elixier des Lebens (zu vergleichen mit den Prinzipien der Homöopathie).

Das saline Prinzip entspricht dem fixen Aspekt in der Astrologie (repräsentiert durch die Sternzeichen Stier, Löwe, Skorpion und Wassermann). Hierbei geht es um die Innenschau, auf die sich dafür die psychische Energie eines Menschen ausrichten muss.

6. Merkurius

Was war, das bleibt und was wird, wird meistens anders als man denkt. Nur in der Gegenwart lässt sich die Welt ändern. Denn das Jetzt ist im Fluss, ist in ständiger Veränderung und immer wieder anders, wie auch das Wasser eines Flusses. Dafür steht das Merkurius-Prinzip. Es repräsentiert den gegenwärtigen Augenblick, der jeden Menschen befähigt sich oder sein Leben zu verändern und Probleme zu überwinden. Nur im Kernpunkt gegenwärtigen Geschehens hat so etwas auch Erfolg, nur im Jetzt und sonst niemals. Merkurius (Gegenwart) ist der Mittler zwischen Sal (Vergangenheit) und Sulphur (Zukunft). Das merkuriale Prinzip erschafft psychisches Leben, indem es zwischen der konkreten, toten Vergangenheit und der flüchtigen, aber lebendigen Zukunft vermittelt. Es steht für die Fähigkeit des Menschen, sich anzupassen und zu Orientieren im Seelischen, das in stetem Wechselspiel steht, zwischen den inneren und den äußeren Ereignissen in der Welt. Im Zentrum der Tetraktys befindlich, steht das Merkurius-Prinzip für die Kontrolle eines Menschen über alle möglichen Situationen in seinem Leben.

Das merkuriale Prinzip wird getragen von den darunter liegenden Punkten Wasser (2.) und Luft (3.). Alle Entscheidungen nämlich, trifft ein Mensch sowohl auf Grundlage seiner emotionalen Bewertungen (Wasser) einer Situation und ihrer rationalen Analyse (Luft). Merkurius als fließendes Prinzip des gegenwärtigen Jetzt, setzt sich zusammen aus sowohl Synthese (kühles Wasser) wie auch Analyse (warme Luft).

Merkurius entspricht prinzipiell dem veränderlichen Aspekt der Astrologie (wie durch die Eigenschaften der Sternzeichen Zwillinge, Jungfrau, Schütze und Fische repräsentiert). Und da nun eben Merkurius als vermittelndes Prinzip in der Psyche eines Menschen wirkt, geht es hier um die Entwicklung der Fähigkeit, die Psyche zwischen innerer und äußerer Erfahrung auszurichten, um ihr Halt zu geben im Wechselspiel ihres Lebens zwischen innerer und äußerer Welt.

7. Sulphur

Alles was Zukunft ist, flieht vor uns, denn im Jetzt lässt sie sich nicht greifen. Etwas zu beabsichtigen aber öffnet Wege in die Zukunft. Und dafür steht das Sulphur-Prinzip. Mit ihm trifft ein Mensch Beschlüsse, leitet Veränderungen ein, setzt sich Ziele und Absichten. Es geht dabei um den feurigen Geist des Sulphur, mit dem der Merkurius versucht zu verändern, was aus vergangenen Handlungen, Empfindungen und Erinnerungen, vielleicht als bitterer Nachgeschmack (Sal) geblieben ist und in Zukunft in Einklang gebracht werden muss mit dem Leben. Sulphur entspricht der nach außen gerichteten psychischen Energie und tendiert damit das Leben der äußeren Welt anzupassen.

Das sulphurische Prinzip steht in enger Beziehung zu den Elementarkräften der Luft (3.) und des Feuer (4.). Sie befinden sich unter dem Sulphur in der Tetraktys, bewegt sich ein Mensch doch nur durch seine Gedanken (Luft) und durch Inspirationen (Feuer) weiter und damit in seine Zukunft. Die Wärme dieser beiden Elemente steht für das unbedingte Urteilsvermögen eines Menschen darüber, wenn es darum geht, wie er einen eingeschlagenen Weg antreten muss, ungeachtet aller anderen gangbaren Wege.

Auch dem Sulphur entspricht ein astrologischer Aspekt: Das Kardinale (wie durch die Sternzeichen Widder, Krebs, Waage und Steinbock repräsentiert). Hierbei geht es um eine Anpassung an die Außenwelt, indem ein Mensch seine psychischen Energien nach außen richtet.

III. Ebene: Die zwei Keime

Aus zwei Keimen der Wirklichkeit geht alles hervor, woraus die unbewussten und bewussten Teile der menschlichen Psyche entstehen. Man kann sie sich vorstellen als Anteile der Seele, die unter dem Einfluss von Lichtem und Finsterem stehen, repräsentiert in der archaischen Form der kosmischen Lichtkräfte von Sonne (solar) und Mond (lunar).

Im Kontext der Lehren des Pythagoras geht es hier um das Bestreben eines Menschen, seinen irdischen Inkarnationszyklus verlassen zu wollen (Evolution) oder, wenn er sich dieser Ebene noch nicht bewusst wurde, im mental Intellektuellen verhaftet zu bleiben (Involution).

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8. Das Lunare

Alles Lunare bezieht sich auf das Unbewusste der Psyche eines Menschen und damit auf alle im dunklen befindlichen, unsichtbaren Aspekte seines Lebens. Geht es um die Suche nach Lösungen für ein Problem eines Menschen, geht es darum dem lunaren Keim in seiner Inneren Welt auf die Sour zu kommen, Das Lunare nämlich bildet in ihm all die verborgenen oder schwer erkennbaren Aspekte in seinem Leben – all das, was auf seine eigentlich gangbaren Wege, einen finsteren Schatten wirft und darum unerkannt bleibt. Doch es sind eben genau hier noch unsichtbare Potentiale vorhanden, die darum unbedingt bewusst gemacht werden müssen. Sie schlummern oft träge im Unbewussten. Sobald aber der Spiegel der Seele poliert und damit von allen “lunaren Ablagerungen” befreit wurde, kommt zum Vorschein das, was C. G. Jung das wahre “Selbst” nannte.

Das Lunare liegt über Aspekten des salinen und merkurialen Prinzips, wo alles Unbewusste sowohl die Vergangenheit (individuell und kollektiv) umfasst, wie auch den gegenwärtigen Zustand der menschlichen Psyche.

9. Das Solare

Was bewusst geworden ist, was klar sichtbar und deutlich erkannt wurde, entstand aus dem solaren Keim. Alles was offenkundig, unverhüllt, deutlich und bewusst ist, das repräsentiert das Solare. Seine Kräfte sind impulsiv und schwimmen, ungreifbar wie Forellen gegen den Strom. Darin kommt zum Vorschein alles individuelle Handeln eines Menschen. Der solare Keim steht in enger Beziehung zu den darunter liegenden Prinzipien von Mercurius und Sulphur, wo die bewusste Psyche eines Menschen Gebrauch macht vom bewussten Erleben der Gegenwart (Mercurius). Das bildet die Grundlage für all das, was entstehen muss, um daraus die Zukunftspläne eines Menschen (Sulphur) zu formen.

IV. Ebene: Die Eine Frucht

Der Titel dieser Ebene bezieht sich auf die “Eine Welt”, das, was die Römer “Unus Mundus” nannten, einem Begriff dem man sowohl in der der westlichen Philosophie, Theologie und Alchemie begegnet, wenn es um die eine, ursprüngliche und einheitliche Realität geht, aus der sich alles in der Welt ableitet. Mit der “Frucht”, ist in diesem Zusammenhang das gemeint, was C. G. Jung als das Selbst eines Menschen bezeichnet. Und dieses in der menschlichen Psyche integrierte Selbst, steht, gemäß den Lehren der Pythagoräer, in direkter Verbindung mit der Weltseele, die die Römer “Anima Mundi” nannten. Jene Frucht also, von der hier die Rede ist, entspricht im Mikrokosmos dem Selbst des Menschen, hat ihren Urpsrung aber im Makrokosmos der Weltseele. Darum könnte man sagen, dass, in der Erkenntnis dessen, ein Mensch sich auf diesem Wege seiner wahren Lebensaufgabe bewusst werden kann.

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10. Der Stein der Weisen

Das Universum als Ganzes bildet den Rahmen für das, was man als die “zwei Seiten der Einen Welt” bezeichnen könnte. Was ist damit gemeint? Auch wenn alle Einheit ohne jegliche Unterschiede besteht, kann sie der Mensch einerseits als transpersonale Welt wahrnehmen, andererseits als etwas, worin alles persönliche Bewusstsein klar und deutlich erkannt werden kann. Diese Tatsache beruht auf der Wahrheit, dass in der Tetraktys dieser Stein der Weisen ja links und rechts darunter gestützt wird durch die Aspekte von Mond und Sonne, von Lunarem und Solarem. Diese scheinbaren Gegensätze fallen im Stein der Weisen zusammen. Und die so entstandene Einheit ließe sich aus Sicht der Theologie einfach ausdrücken in dem Wort “Gott”, der seinem Wesen nach das umübertroffene Zentrum allen Seins repräsentiert, das seinerseits in ihm, als das All enthalten ist. In dieser Einheit ereignen sich alle mikrokosmischen und makrokosmischen Vorgänge synchron. Sich dieser Wirklichkeit bewusst, kann ein Mensch das Gleichzeitige enthüllen und damit zu jemandem werden, der die Zukunft kennt, da er allein aus dem Jetzt heraus in die Welt schaut. Hierin erkennt jemand dann den kritischen Moment allen Seins, als Dreh- und Angelpunkt aller kosmologischen Strukturen.

Schlussfolgerungen

Vor dem Hintergrund des Gesagten, können wir nun feststellen, dass die linke Seite der Tetraktys (Positionen 1, 5, 8 und 10) die Achse des Transpersonalen darstellt und damit Aspekte der Seele repräsentiert, die größer sind als das menschliche Individuum. Es ist das die Achse des Weges der Fortentwicklung (Evolution), wovon der kosmische Aspekt der Weltseele ausstrahlt.

Die rechte Seite der Tetraktys (Positionen 4, 7, 9 und 10 ) bilden die Achse des Personalen. Darin geht es um Aspekte der individuellen Natur eines Menschen. Diese Achse repräsentiert den Weg dessen, was sich auf sich selbst besinnt (Involution) und auf dem die Weltseele zu sich selbst zurückkehrt.

Beide Achsen laufen am Scheitelpunkt (Position 10) zusammen, dem Selbst, das, wie wir oben sehen konnten, den Aspekt der Weltseele repräsentiert. Das dazwischen liegende Dreieck (Positionen 2, 3 und 6) steht für die Aspekte der einerseits transpersonalen (2.), andererseits aber der personalen Natur (3.), die sich darin vermischen (6.).

Wie es also scheint, bilden die 10 Positionen in der Tetraktys doch geeignete Werkzeuge, die den Weg zu wahrer Selbsterkenntnis markieren. Damit stellen sich einem doch zwei Fragen:

Was will ich erreichen?
Womit fange ich an?

 

 

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