Im Sufi-Orden des Naqshbandi-Pfades gibt es zwei spirituelle Methoden, die für seine Mitglieder von zentraler Bedeutung sind: Das Dhikr, die stille Rezitation der Heiligen Namen und Verse, in einer Art “Innerem Gesang” – und die stille Meditation im Herzen.
Die heiligen Rezitationen wiederholt der Sufi in seinem Herzen und führt dabei die Empfindungen seines täglichen Lebens in einen Zustand der Ausgeglichenheit und Ruhe.
Was dabei vor sich geht, lässt sich durch eine einfache Metapher beschreiben. Man denke an das spirituelle Herz eines Menschen, dass einem geistigen Feld gleicht, indem sich die Kräfte des Herzschlags, der Atmung und die Nervenimpulse des Sonnengeflechts (Solarplexus) zu einem besonderen energetischen Schwingungsgebilde überlagern.
Diese Schwingungen des spirituellen Herzens gleichen den Wellen eines mythischen, tiefen Sees, den die Kraft der Liebe durchströmt.
Unsere alltäglichen Gedanken und Erinnerungen jedoch gleichen schweren Felsen, die in diesen See der Liebe stürzen und die Stille seiner Oberfläche in große Wellenbewegung versetzen.
Doch sobald der leiseste “Windhauch” eines Dhikr – der sich wiederholende Gesang der Heiligen Verse und Namen – über diese Wellen hinweggleitet, wird die Oberfläche dieses mystischen Sees wieder still und die vielen Gedanken versinken in seinen wässrigen Tiefen.
Das Allah-Hu
Hierfür rezitieren die Sufis im Stillen, in ihrem Herzen, zum Beispiel den Gottesnamen “Allah” oder auch “Allah Hu”.
Besonders letztere Rezitation, das “Allah Hu” ist im traditioneller Gesang der Sufis (Dhikr) von hohem Wert. Der Schwiegervater des Propheten Mohammed (as) und erste islamische Kalif Abu Bakr, verwendete diese Form der meditativen, im Herzen empfundenen Erinnerung an Allah und seine Wahrhaftigkeit durch die wiederholte Rezitation dieser Verse:
Allah Hu
Allah Hu
Allah Hu
Haqq
wobei der Name “Haqq” für die Wahrhaftigkeit oder Wahrheit des Namens Allah steht. Als Ausgangspunkt der Linie der Naqshbandiyya kam diese Form des Dhikr in die Welt, in der man die eben besagte Rezitation 400 oder 600 Mal wiederholt.
Denken und Fühlen in Ruhe
Alle unsere Gedanken lösen in unseren Emotionen solche Wellenbewegungen aus; es sind Gedanken der Freude, Gedanken des Glücks, doch auch solche des Ärgers und der Angst. Ganz gleich aber welcher Art, können uns solch Gedanken, je nach ihrer Stärke, aus dem Gleichgewicht bringen. Um ein damit einhergehendes Aufwallen unserer Gefühle aber besser in den Griff zu bekommen, ist Meditation von größter Wichtigkeit. Denn nicht nur kann sie in uns ein Gefühl der Gelassenheit erzeugen, sondern wird, bei regelmäßigem, täglichem Üben, sogar eine innere Stabilität schaffen, so dass es zu den eben angedeuteten allegorischen Wellenbewegungen in unseren Gefühlsempfindungen erst gar nicht kommt.
Die von der Sufi-Tradition der Naqshbandiyya hierfür entwickelte Meditations-Praxis nutzt die Energie der Liebe, um auf diese Weise das eigene Denken in den Griff zu bekommen.
Man kann immer wieder versuchen seine Gedanken zu beruhigen, indem man sich auf den Verstand konzentriert. Doch es bleibt nur ein Versuch, da man ja dafür weiterhin im Denkorgan des Kopfes verweilt. Um das Denken einmal ruhen zu lassen, kann man sich jedoch auf das spirituelle Herz konzentrieren und versuchen darin intuitiv etwas zu empfinden, das sich da wie ein Gefühl großer Herzenswärme zusammenballt und vor dem inneren Auge als ein Licht der Liebe aufzuleuchten beginnt.
Die Herz-Meditation
Man setzt sich bequem hin oder legt sich entspannt auf den Rücken. Einzige Voraussetzung für die Körperhaltung dafür ist, dass man sich einfach vollkommen wohl fühlt. Denn fühlen wir uns in unserem Körperempfinden unwohl, können wir nicht meditieren.
Wir entspannen also in der von uns gewählten Meditationshaltung. Und wenn wir dann allmählich zu Ruhe und Entspannung gelangen, lassen wir in unser Herz eine besondere Form der Liebe einströmen.
Die Angehörigen der Sufi-Linie der Naqshbandiyya konzentrieren sich hierfür auf ihre Liebe zu Gott dem Allmächtigen. Jedoch ist das eine recht abstrakte Vorstellung, die für jemanden, der solcherart Meditation zum ersten Mal macht, eher schwer zu realisieren ist.
Eine gute Möglichkeit solcherart wärmende Liebe im Herzen empfinden zu lernen ergibt sich wenn man an jemanden denkt, den man wirklich und vollkommen lieb hat. Man konzentriert sich auf diesen Menschen, denkt an sein lächelndes Gesicht und löst damit in seinem Herzen ein warmes, tief empfundenes Gefühl der Liebe aus.
Solange wir auf solche Weise diese Herz-Meditation üben, bringen wir unseren Gedankenfluss zur Ruhe und lassen Stille in uns einkehren. Doch leider passiert es dann oft, gerade wenn man zur Ruhe gekommen ist, dass plötzlich unsere “Denkmaschine” wieder einsetzt und wir an irgendwelche alltäglichen Dinge denken, sowas wie “oh, ich muss nachher noch einkaufen, sonst habe ich morgen nichts zu frühstücken” oder “ich darf nicht vergessen mein Bewerbungsschreiben nochmal Korrektur zu lesen, bevor ich es nachher absende.”
Doch wir können uns vorstellen, dass wir nach solch einem, die meditative Stimmung störenden Gedanken einfach greifen, ihn festhalten und mit ihm in der Hand sofort zurückeilen in dieses von Liebe erfüllte Herzempfinden. Den Kopf befreit man dann vom Denken, indem man sich auf den Punkt zwischen den Augenbrauen konzentriert. Oder man stellt sich vor seinem inneren Auge eine weiße Leinwand vor (oder ein großes weißes Blatt), worauf alles erscheint was einem da gerade als Strom unzähliger Gedanken durch den Kopf schwirrt. Man greift danach und eilt damit zurück in die Herz-Meditation, während man sich der leeren, weißen Leinwand vor dem inneren Auge mit Erleichterung gewahr wird.
Heilung durch Meditation
Diese Herz-Meditation ist eine sehr gute Möglichkeit und spirituelle Übung, den ununterbrochenen Gedankenfluss zur Ruhe zu bringen, sowie eine Methode seinen Willen zu stärken. Sie ist ein sehr geeigneter Weg zur Realität unseres wahren Daseins zurückzukehren: Die Leere im Geist.
Nur durch diese Leere werden wir in unserem spirituellen Bewusstsein den Raum schaffen, damit dort der göttliche Geist Einzug nehmen kann, der in uns und um uns Wohlergehen schafft und uns und sogar auch anderen Menschen Heilung bringt.