Die aus alter Zeit stammenden Bilder des Tarot sind voller Andeutungen und Geheimnisse. Es sind esoterische Symbol-Schlüssel, mit denen sich dem Suchenden die esoterischen Wissenschaften der Numerologie, Kabbala, Astrologie und Hermetik eröffnen. Der vielgestaltige Symbolgehalt des Tarot und die geistreiche Zusammensetzung seiner Abbildungen, machen aus ihm eines der besten Werkzeuge für die Selbsteinweihung in die okkulte Tradition.
Woher aber stammen diese Bilderschlüssel des Tarot? Was weiß man über ihre Geschichte und Bedeutung? Was ist ihr innerstes Mysterium?
VI – Die Liebenden – im Rider-Waite-Tarot.
Archetypen der menschlichen Psyche
Manchmal begegnet man an eigentümlichen Orten besonderen Figuren: in alten Kapellen, Gräbern, Höhlen, geheimen Gängen, in Grotten oder an wilden, unbewohnten Orten, lassen uns geheimnisvolle Bilder und Symbole aufmerken. Solche Symbole, wie man sie auch im Tarot findet, ähneln den archetypischen Bildern die uns nachts in unseren Träumen begegnen. Es sind Zeichen und Wegweiser auf den verborgenen Pfaden unserer Seele. Die Figuren des Tarot übersetzen solche Symbole für den Uneingeweihten. Durch ihre universale Bildsprache befördern sie eine für alle verständliche Ausdrucksform.
Für ein besseres Verständnis der Kartensymbole bietet die mystische Kabbala viele Hinweise. Beim Studium des kabbalistischen Lebensbaumes erkennen wir nach und nach auch die esoterischen Zusammenhänge der 78 Karten besser. Seine 22 Zweige korrespondieren mit den 22 Großen Arkana. Darum empfiehlt es sich diese Grafik eingehend zu studieren und über die darin abgebildeten Zusammenhänge zu meditieren.
Die 78 Urbilder des Tarot sind Teil des kollektiven Unbewussten (ein Begriff den der schweizerische Psychologe C. G. Jung einführte). Sie sind der Teil der Psyche, der seine Existenz nicht persönlichen Erfahrungen verdankt, sondern sich im Wesentlichen aus Motiven und Traumbildern zusammensetzt, die ihren Ursprung in der Kulturgeschichte der Menschheit haben. Es sind Bilder die in allen Märchen, Mythen und Legenden, in allen Kulturen wiederkehren. Die Symbole und Bilder des Tarot bilden eine psychische Grundlage aller Menschen. Insbesondere die Bilder der Großen Arkana – wie die Hohepriesterin, der Herrscher (auch: Kaiser), die Herrscherin, die Liebenden, der Stern, der Mond, die Sonne, die Welt, um einige zu nennen – sind Archetypen die jedem Menschen irgendwann bekannt sind.
All diese Bilder in unserer Psyche fügen sich als verschiedene Seelen-Aspekte zu einer inneren Einheit. Wie bei einer divinatorischen Tarotlegung treten in der Seele einer Person jeweils andere dieser Aspekte in den Vordergrund. Der eine hat mehr von dem Einen, der andere mehr von dem Anderen.
Die vielen archetypischen Grundwesenszüge aus denen sich unsere Seelenwelt zusammensetzt, lassen sich in den Weisheitsbildnissen auf den Tarotkarten entdecken. So ist das Tarot ein universales System zur Selbsterkenntnis.
„Die Tarocchi-Spieler“ – Fresco im Casa Borromeo (Milan, Italien) aus dem Jahre 1440.
Geschichte des modernen Tarot
Neben seinem spirituell-initiatorischen Aussagewert hat das Tarot vor allem auch Bekanntheit erlangt als Zukunftsorakel. Seinen wahren Ursprung verdunkeln aber die Schleier der Geschichte. Man kann letztendlich nicht genau sagen, ob die Karten morgenländischen oder abendländischen Ursprungs sind. Ebenso geheimnisvoll ist die Etymologie seines Namens. Es gibt viele Theorien darüber, woher die Begriffe Tarot, Tarosh, Tarock oder Tarocchi stammen.
Immer wieder gab es Versuche den Namen des Spiels mit Orten in Verbindung zu bringen. So sollen die Karten erstmals in der Nähe des norditalienischen Flusses Taro aufgetaucht sein. Dem widersprechen aber andere Historiker, die den Ursprungs des Tarot in der marokkanischen Gelehrtenstadt Fez sehen wollen. Auch dem burmesischen Dorf mit dem Namen Taro wurde bereits die Ehre zuteil, für den Ursprungsort des Kartenspiels gehalten zu werden. Es folgen der See Tarok Tso im Hochland von Tibet, während andere altkluge Forscher den Ursprung der Karten bei den präkolumbianischen Maya ausmachen wollen.
Auch soll das Tarot ein Erbe des altchinesischen Spiels Chaturunga sein, auf das auch die Entstehung des Schachspiels zurückgeht. Da man für die Karten der großen Arkana oft die Bezeichnung »Trumpf« (von ital. Trionfi) verwendet, lautet wieder eine andere Theorie, dass das Tarotspiel eine bildliche Darstellung der mittelalterlichen Triumphzüge und christlichen Karnevalsmärsche sei. Für die Kirche allerdings waren Spielkarten einfach nur ein Werk des Teufels. Man sah in Kartenspielen Überbleibsel eines zu verachtenden Heidentums, das nur der teuflischen Belustigung dienen konnte, durchtrieben von schwarzer Magie und Hexerei.
Manche Tarot-Karten hinterlassen beim Betrachter tatsächlich einen ziemlich finsteren Eindruck, wie etwa der Tod, der Teufel oder der Turm, oder die Schwertkarten der kleinen Arkana im Rider-Waite-Tarot. Sicher hat das zu missgünstigen Ansichten geführt, so das das Tarot-Spiel der Öffentlichkeit vorenthalten blieb. Wenn es nicht von vornherein nur ästhetischen Ansprüchen genügen sollte, wie etwa das Kartendeck von Visconti, diente die exoterische Variante des Tarotspiels allein der Unterhaltung.
Ardhanarishvara (ardha = halb, nari = Frau, ishvara = Herr, „der Herr, der halb Frau ist“) ist eine Mischgestalt des Gottes Shiva mit seiner Gemahlin Parvati.
Die vier Farben des Tarot-Spiels
Um 1435 entstand in Norditalien das Tarocchi. Wie das heutige Tarot setzt sich das Tarocchi aus 78 Karten zusammen. Damals erhielten die Farbenkarten der kleinen Arkana ihre Symbole: Stäbe, Schwerter, Münzen und Kelche. Auf den ersten Blick scheint es sich um christliche Symbole zu handeln, die sich mit Jesus von Nazareth (Stab: Lanze des Longinus; Kelch: Abendmahlskelch) und Johannes dem Täufer (Schwert des Henkers; Scheibe: Teller der Salomé) in Verbindung bringen ließen. Wahrscheinlich aber sind diese vier Symbole Insignien einer noch viel älteren Zeit, da die Vierheit von Stäben, Kelchen, Schwertern und Münzen, in ähnlicher Form auch in alt-irischen Sagen als Knüppel, Schwert, Kessel und Stein vorkommt.
Sogar im fernen Tibet bilden die vier Symbole von Vajra (eine Art Donnerkeil), Schwert, Glocke und Lotus (manchmal auch das Rad), wichtige Symbole bei der Initiation im Vajrayana-Buddhismus. Es sind heilige Symbole universalen Charakters, die die vier Weltrichtungen andeuten, wie auch die vier Sonnenstationen im Jahr.
Aus den vier Farben des alten Tarot entstanden außerdem die vier Farben der heutigen 52 Karten des französischen und des deutschen Blatts:
- Kelche: Herz – Rot
- Schwerter: Pik – Schippe
- Münzen: Karo – Schellen
- Stäbe: Kreuz – Eichel
Über den Ursprung der Spielkarten
Nach heutigem Kenntnisstand kamen die ersten Kartenspiele aus Fernost nach Europa. Die Idee Spielkarten zu drucken war vermutlich inspiriert vom Papiergeld-Druck, den es in China seit der Tang-Dynastie im 7. Jhd. gibt. Auch Spielkarten aus China und Korea, lassen sich bis ins 11. Jhd. zurückdatieren. Zwar gibt es keine Hinweise, doch es ist möglich, dass sich die Hersteller europäischer Kartenspiele von ihren chinesischen Zeitgenossen inspirieren ließen. Wahrscheinlich brachten heimkehrende Kaufleute die Spielkarten aus Fernost nach Europa. Denn im Frühmittelalter kam aus China auch die Idee des Papiergeldes auf den Handelsruten zu uns.
XIII – Der Tod – aus dem Tarot-Unikat von Jacquemin Gringonneur.
Es gibt auch eine indische Legende über den Ursprung des Kartenspiels. Die Frau eines Maharadschas soll für ihren Mann das Kartenspiel erfunden haben. Damit wollte sie ihm helfen, sich von seinen schlechten Angewohnheiten abzulenken. Als Vorlage für die vier Kartenfarben verwendete sie die Symbole der vierarmigen Hindugottheit Ardhanari, einer androgynen Gestalt, zur einen Hälfte Shiva (männlich) und zur anderen Hälfte Devi (weiblich). In ihren Händen hält Ardhanarishvara einen Dreizack (Stäbe), eine Trommel (Kelche), ein Schwert (Schwerer) und einen Ring (Münzen; als Bhairava-Shiva hält der Gott statt eines Ringes eine Schädeldecke). Manchmal wird auch der indische Affengott Hanuman mit ähnlichen Symbolen abgebildet.
Kartenfarben und das indische Kastensystem
Dem Mythos nach flohen die Gypsies (Roma, Sinti) im ausgehenden 14. Jhd. aus ihrer kriegsgebeutelten, zentralindischen Heimat und begaben sich nach Europa. Da sie aber seitens der Inquisition durch den Ruf der Gottlosigkeit diskreditiert wurden, wanderten sie von Land zu Land, um ihren Verfolgern zu entrinnen. Durch sie verbreiteten sich möglicherweise alt-indische Weisheiten im damaligen Europa und sie sollen es auch gewesen sein, die das vierfarbige Kartenspiel mitbrachten.
Die auf den Karten abgebildeten Tarotsymbole sollen von einer geheimnisvollen, verborgenen Schrifttafel stammen, die bis heute streng gehütet wird. Mit ihrem Ursprung werden oft die Farben des Tarot assoziiert, da sie den vier Varnas entsprechen: den vier Kasten, von denen sich die Vorfahren der Gypsies möglicherweise einst trennten (als die Dalit, die »Unberührbaren«).
Wenn die vier Tarotfarben tatsächlich auf das indische Kastensystem verweisen, ließe sich vielleicht folgende Zuordnung machen:
- Priesterklasse der Brahmanen – Kelche,
- Kriegerkaste der Kshatriyas – Schwerter,
- Kaufleute der Vaishyas – Münzen,
- Handwerker der Shudras – Stäbe.
Die Arkana des Tarot
Von den 22 großen Arkana sagt man sie kämen aus Ägypten. Diese Theorie stammt ursprünglich von dem Theologen und Freimaurer Antoine Court de Gébelin (1719-1784). Diese Vortstellung verbreitete sich seit etwa 1781 in Europa.
Für den französischen Okkultisten Éliphas Lévi (1810-1875) stammten die 22 Tarot-Trümpfe aus der Geheimlehre der Kabbala, gibt es doch ebenso viele hebräische Buchstaben, von denen jeder einzelne, magische Eigenschaften hat. Er sprach von einer umfassenden Wissenschaft der Hieroglypen, denen die 22 Buchstaben zu Grunde lagen. Hinter jedem dieser Buchstaben stand eine göttliche Vorstellung, denen als Grundlage wiederum die Zahlen als perfekte Symbole dienten.
Der okkultistische Autor Arthur Edward Waite (1857-1942) suchte den Ursprung der Bilder der 22 Großen Arkana bei den Albigensern (Katharer), den jener Überlebende vom Montségur, Ende des 13. Jhd. in seinem sagenhaften Schatz gerettet haben könnte.
Gemeinsam mit den vielleicht aus Asien stammenden 56 kleinen Arkana auf jeden Fall, wurden sie zu den uns heute bekannten 78 Tarotkarten. Es könnte gut sein, dass das Tarot also erst in Europa seine bis heute erhaltene Form angenommen hat. Ziemlich wahrscheinlich wurden die Karten schon bei ihrem ersten Auftreten im 14. Jhd. zum Wahrsagen und als Schlüssel zur Entwicklung eines magischen Weltbilds verwendet.
Eine erste schriftliche Erwähnung des Kartenspiels gibt es aus dem Jahre 1377: ein Mönch eines schweizerischen Dominikanerklosters in Brefeld, beschrieb die Karten als »genaue Abbilder der Weltordnung«. 1378 tauchen die Karten dann auch in Regensburg auf, wurden aber bald verboten. In Belgien werden im Jahre 1379 die Karten von Johanna Herzogin von Brabant gekauft. 1380 werden die Karten in Nürnberg wieder erlaubt, während man sie im französischen Marseilles, ein Jahr später als Teufelswerk wieder verbietet. In Florenz erscheint 1393 eine Liste von Spielen, unter denen die Karten als erlaubt aufgeführt werden. Es ist kaum anzunehmen, dass die Parallelität der historischen Phänomene der Ankunft »indischer Fahrender« (Gypsies, Zigeuner) und die rasante Verbreitung des Tarot, sowie anderen okkulten Gedankengutes in Europa, reiner Zufall waren.
VI – Die Liebenden – aus dem Visconti Sforza Tarot von Bonifacio Bembo (1420–1477).
Um 1423 werden die Karten von St. Bernadin von Siena verurteilt und erneut verboten.
Trotzdem setzte sich im Volk die Nachfrage nach Spielkarten gegen den religiösen Widerstand durch. Gegen Mitte des 15. Jhd. gediehen Kartenmanufakturen in Italien, Frankreich, Deutschland und Belgien. Im Hinblick auf die Vielfalt der neuen Spiele und Spielkarten, die seit dieser Zeit entwickelt wurden, ist es erstaunlich, wie sich durch die Jahrhunderte hindurch, die komplexen und rätselhaften Darstellungen der Tarotkartenbilder, bis in die heutige Zeit hinein erhalten haben.
Im Auftrag Karls VI. von Frankreich gestaltete der Maler Jacquemin Gringonneur im Jahre 1392 drei vergoldete Kartenspiele, zum Zeitvertreib des Fürsten. 1392 war auch das Jahr, als Karl VI. leider seinen Verstand verlor!
Über Gringonneur heißt es, er hätte in Paris mit dem berüchtigten Alchemisten und Goldmacher Nicolas Flamel in Verbindung gestanden. So Gestalten wie Flamel, verfügten natürlich über ein ganz tief reichendes, esoterisches Wissen. Wer sich mit so jemandem traf, der muss eine wohl ebenso geheimnisvolle Person gewesen sein.
Gringonneurs Tarotset könnte sehr gut die Vorlage für spätere Spiele gewesen sein – wie z. B. das Visconti-Sforza-Tarot von Bonifacio Bembo, einem der ältesten erhaltenen Tarotspiele Europas. Das Visconti-Tarot besteht allerdings nur aus den 22 Symbolen der großen Arkana. Die italienischen Tarotkünstler des 15. Jhd. nannten die 22 großen Arkana – trionfi -, Trümpfe. Später hießen die Karten einfach »Tarocchi«, was das Spiel mit den 78 Karten bezeichnet. Aus Tarocchi leitet sich wahrscheinlich das französische, englische und deutsche Lehnswort »Tarot« ab.
Sol – die Sonne – aus dem Tarot de Mantegna von Andrea Mantegna (1431-1506).
Ebenfalls Vorläufercharakter hat das Tarocchi di Mategna (um 1470). Es enthält belehrenden und erbaulichen Inhalt und wurde wahrscheinlich vom italienischen Kupferstecher Andrea Mantegna (1431-1506) geschaffen. Auch wenn es kein eigentliches Tarotspiel ist, lassen sich seine Bilder mit den Darstellungen der großen Arkana vergleichen. Albrecht Dürer (1471-1528) nahm die Mantegna-Karten als Vorbild für seine 21 Federzeichnungen, die heute bekannt sind als das »Albrecht-Dürer-Tarot«.
Ende des 15. Jhd. entsteht das Tarot des Marseilles, dessen Bilder sich bis heute großer Beliebtheit erfreuen. Neben dem Rider-Waite-Tarot ist das Tarot de Marseilles zu einem Standard-Tarotset geworden, von dem es zahllose Varianten gibt.
Tarot und Freimaurerei
Immer wieder wurde die besondere Symbolik des Spiels Gegenstand intensiver Studien seitens spiritueller Logen. Man glaubte in den Karten Verbindungen zu den ältesten philosophischen Systemen der Menschheit zu finden. Da die Sichtweisen und Meinungen über den wahren Ursprung in den vergangenen 700 Jahren jedoch stark differierten, lieferten sich Esoteriker erbitterte Debatten über die wahre Bedeutungen der Tarot-Bilder. Eine Theorie besagt, dass das ursprüngliche Tarot, das kleine Arkanum bildet. Andere ließen nur die 22 großen Arkana als echtes Tarot gelten, während wieder andere behaupten, dass nur mit allen 78 Karten ein Tarotspiel »richtig« sei. Auch wenn sich letztere Variante durchgesetzt hat, unterscheidet man zwischen 22 großen und 56 kleinen Arkana (lat. arcanum: Geheimnis).
I – Der Magier – aus einem Tarot-de-Marseilles-Deck des Künstlers Jean Dodal (Lyon).
Im 18. Jhd. interpretierte man das Tarot völlig neu. Mit der damals aufkommenden, jahrzehnte dauernden Okkultismuswelle, gab es eine regelrechte Flut an Neugründungen geheimwissenschaftlicher Bünde und Bruderschaften. Der Theologe und Alchemist Samuel Richter gründete 1710 den Orden des Gold- und Rosenkreuzes. 1767 organisierte sich um den Franzosen Martinès de Pasqually (1727–1774) der freimaurerische Martinistenorden. 1776 wurde in Ingolstadt der Illuminatenorden von Adam Weishaupt gegründet. Es war auch die Zeit der legendären Grafen Cagliostro (1743-1795) und Saint-Germain (1710-1784).
An anderer Stelle haben wir bereits über Antoine Court de Gébelin gesprochen. Er gilt als Vater des esoterischen Tarot. Für Gébelin waren die Tarot-Bilder Nachbildungen des geheimnisvollen Buches Thoth (Thoth, auch Toth oder Tehuti, war der alt-ägyptische Gott der Magie, der Schreiber und der Wissenschaften). Damit traf Gébelin den Nerv der Zeit, denn damals wurde dem Land der alten Ägypter eine wachsende Aufmerksamkeit entgegengebracht.
Jeder wollte die Bilder dieses außergewöhnlichen und kostbaren Buches kennenlernen. So wurde Gébelins Theorie populär und fand zahlreiche Unterstützer. Für Gébelin bewahrten die Tarotbilder die uralten Weisheiten der alt-ägyptischen Kultur. Sie warteten nur darauf, so Gébelin, eingeweihten Augen ihre Geheimnisse preiszugeben. In seinem 1781 erschienen Werk »Le Monde Primitif« schrieb er:
Das Tarot ist rein ägyptischen Ursprungs. Seine 22 großen Arkana aber können nur Eingeweihte deuten.
Etteilla: Pseudonym des Franzosen Jean-François Alliette (1738-1791).
Das erste Tarot-Buch
Jean-François Alliette (1738-1791), ein Pariser Barbier und Perückenmacher, war der erste Autor, der 1783 zu den Bildern des Tarot ein Buch mit Erklärungen verfasste. Unter dem Pseudonym »Etteila« (der Name Aliette, rückwärts geschrieben) veröffentlichte er bis 1787 verschiedene Bücher und Tarotspiele oder versah sie mit einigen Neuerungen. In einem seiner Bücher behauptet er, dass er angeblich die genauen Entstehungsjahre des Buches Thoth kenne: 1828 Jahre nach der Erschaffung der Welt und 171 Jahre nach der Sintflut. Diese und andere seiner Geheimlehren waren über Jahre in der französischen Okkultszene sehr populär. Alliette war außerdem der erste professionelle Kartenleger Frankreichs.
Das Tarot im 19. und 20. Jahrhundert
Alphonse Louis Constant (1810-1875), besser bekannt unter dem Namen Eliphas Levi, war ein französischer Diakon, Schriftsteller und Zeremonialmagier. Er gilt als Wegbereiter des modernen Okkultismus. In seinem 1854 erschienen Buch »Dogme et Rituel de la Haute Magie« (Dogma und Ritual der Hohen Magie) bezeichnet er das Tarot als wichtigste Informationsquelle zur Erklärung esoterischer Geheimnisse. Laut Levi sollte ein Gefangener der nichts als ein Tarot besäße, mit dem er sich ausgiebig beschäftigt, die Möglichkeit haben ein Kenner seiner selbst, der Welt und der Götter zu werden. Er fand zudem, dass die Tarotkarten sehr eng mit dem System der Kabbala zusammenhängen. Die 22 großen Arkana waren mit den 22 hebräischen Buchstaben, die vier Farben der kleinen Arkana mit den vier alchemistischen Elementen und den vier Buchstaben des göttlichen Namens JHVH verknüpft. Mit seinem Wissen über das Tarot, die Kabbala und die Magie, beeinflusste Levi ganz maßgeblich die Entwicklung der New Thought Bewegung im 19. und 20. Jhd. Seine Einflüsse finden sich in den Schriften Helena Blavatskys, seine Lehren durchdringen die Schulen des französischen Okkultismus (Papus) und durch die Übersetzung seiner Schriften ins Englische, gelangte er auch in die Kreise des Golden Dawn.
Das Ass der Kelche im Rider-Waite-Smith-Tarot.
Levis Schriften beeinflussten die Arbeiten des schottischen Freimaurers Samuel Liddell Mathers und Dr. Wynn Wescott. Auch der amerikanische Freimaurer Albert Pike zitiert in seinem Buch »Morals and Dogma« passagenweise aus dem »Dogme et Rituel de la Haute Magie« von Eliphas Levi. Das Golden-Dawn-Tarot Mathers‘ unterschied sich allerdings von dem Levis‘, schon alleine deshalb, weil er die Karte »Der Narr« nicht als 22. Karte nummerierte. Stattdessen setzte er sie an den Anfang der Folge mit der Ziffer 0, was später von Edward Arthur Waite und Aleister Crowley übernommen werden sollte.
Im Jahre 1910 veröffentlichte Waite, einstiges Mitglied des Golden Dawn, sein berühmtes Rider-Waite-Tarot. Die Illustrationen der 78 Karten malte die englisch-jamaikanische Künstlerin Pamela Colman Smith. Dieses Set bildet heute das weltweit gängigste Tarotspiel. Es ist das erste Tarot, das die bildliche Darstellung kunstvoll ausgearbeiteter Szenen, auch auf die kleinen Arkana ausdehnte. Damit erweitereten Waite und Coleman Smith die ursprünglich einfache, formale Anordnung der Farbenzeichen, wie sie etwa im Tarot de Marseilles dargestellt wurden.
Zu den originellsten und ungewöhnlichsten Tarotspielen gehört das von Aleister Crowley und Lady Frida Harris entworfene »Book of Thoth«. Crowley trat 1898 dem Golden Dawn bei, geriet später jedoch mit Mathers aneinander und gründete daraufhin im Jahre 1905 den Orden des Silbernen Sterns. Sein Tarotspiel wurde 1944 in London gedruckt. Zwar basiert es auf den Zuordnungen des Golden Dawn, die Abbildungen und Namen modifizierte Crowley aber nach seinem eigenen System. Das die Kartendecks des Rider-Waite-Tarot oder des Tarot de Marseilles, heute populärer sind als Thoth-Tarot, mag möglicherweise daran liegen, dass Crowleys teils extreme Ideen von anderen Okkultisten abgelehnt wurden.
Pamela Colman Smith (1878-1951): Die Illustratorin des Rider-Waite-Tarot.
Crowley führte in seinem Tarot-System eine Neuerung ein: Da jede der 22 großen Arkana jeweils einem hebräischen Buchstaben entspricht, können die einzelnen Karten in die 22 Pfade des kabbalistischen Lebensbaumes integriert werden. Damit ist Crowleys Kartenspiel nicht nur ein divinatorisches Werkzeug, sondern bildet ein Einweihungssystem und eine Methode zur Selbsterkenntnis.
Die Smaragdene Tafel von Thoth dem Atlanter
Zusammenfassend ließe sich sagen, dass wahrscheinlich indische, ägyptische und jüdische Geheimlehren zur Entwicklung der Tarotkarten beitrugen. Trotzdem lässt sich die tatsächliche Herkunft des Tarot nicht eindeutig einem Ort auf der Erde zuordnen. Vielleicht existiert der Ort seines Entstehens heute nicht mehr auf der Erde. Laut mancher Legenden soll das Land wo einst die Bilder des Tarot entstanden, mit der Sintflut verschwunden sein. Der geheimnisvollen Akasha-Chronik können manche Medien entnehmen, dass die Priester von Atlantis kurz vor dem Untergang des Kontinents, all ihr Wissen in Form von Bildern festhielten. Wollten sie diese Bilder vor dem Vergessen bewahren?
In grauer Vorzeit, so heißt es, erfand der ibisköpfige Gott Thoth die Schrift und gravierte sie in die Smaragdene Tafel (Tabula Smaragdina). Damit gab Thoth den Menschen alles Wissen , dieser Welt. Die Eingeweihten sollten dieses Wissen bewahren und bewachen. Die auf Papyri gemalten Symbole und Zeichen bilden das »Buch des Thoth«. Schon Apollonius von Tyana, wie später auch Raymondus Lullus, nahmen in ihren Schriften Bezug auf dieses uralte Buch.
Aleister Crowley (1875-1947): Erschaffer des Thoth-Tarot (1935).
Jenes sagenhafte Werk des altägyptischen Schreibergottes Thoth bezeichnete Antoine de Gébelin als esoterisches Unterweltsbuch. Darin sei eine Landkarte der Unterwelt wiedergegeben, auf der sich sieben Tore befinden, die von sieben Torhütern bewacht werden, die der Jenseitsreisende (verkörpert in der Karte »Der Narr«) durch sieben Losungsworte passieren darf. So kann er das sagenhafte Totenreich der Göttin Amentet betreten und daraus auch wieder ins Diesseits zurückkehren. Im Totenreich kostet er von der Milch sieben heiliger Kühe, überwindet zweimal sieben Hügel und durchschreitet dreimal sieben Pforten, um in der Unterwelt, zur strahlenden Sonne des Osiris zu kommen.
Diese Siebener-Reihen (7, 14, 21) waren für Gébelin ganz eindeutig dreimal sieben Einweihungsstufen, die der Neophyt auf dem Weg zur Meisterschaft durchschreiten muss. Jede dieser Stufen repräsentiert eine der Karten des Großen Arkanums.
Auf der 21. Stufe (im Tarot die Karte »Die Welt«) erhielt er schließlich ein allumfassendes Bewusstsein, mit dem er als Erleuchteter in die diesseitige Welt zurückkehrte.