Symbol der Merkaba - ewigeweisheit.de

Merkaba: Der Göttliche Thronwagen

Noch bevor die Geheimlehre der Kabbala entstand, gab es eine besondere Form der jüdischen Mystik, deren Blütezeit zwischen dem 3. und 5. Jahrhundert n. Chr. war. Visualisierend versenkt sich da ein Mensch in ein mystisches Bild vom Thron Gottes, während er einen tranceartigen Zustand erfährt.

Noch bis zum Ende des ersten Jahrtausends gab es einige Rabbiner, die stark von der christlichen Gnosis beeinflusst waren. Sie versuchten das nachzuerleben, was der Prophet Hesekiel in seinen göttlichen Visionen erfuhr. Es ging darin um einen Aufstieg zu den himmlischen Palästen (hebr. »Hechalot«), in deren Zentrum sich der Thronwagen Gottes befindet: Die Merkaba.

Wenn hier aber die Rede ist von einem Nacherleben der Vision Hesekiels, begibt man sich in das Feld einer recht heiklen Thematik. Gemäß der mündlich überlieferten Mischna (religionsgesetzliche Überlieferung des Judentums) nämlich blockiert das Erleben dieser sogenannten »Merkaba-Erfahrung« ein Verbot, das untersagt, einen Menschen in die esoterische Bedeutung des Buches Hesekiel einzuweihen. Der Philosoph Moses Maimonides (1135-1204) qualifizierte dieses Verbot als verbindliche Halacha (entsprechend den 365 Verboten im jüdischen Gesetz). In seinem Buch »Führer der Unschlüssigen«, versuchte er allerdings das Bibelstudium, und damit auch das Studium des Buches Hesekiel, mit der aristotelischen Metaphysik in Einklang zu bringen.

Reise ins Übernatürliche

Obwohl das Konzept der Merkaba in Verbindung steht mit Hesekiels Vision (Hesekiel 1:4-26), wird das Wort darin nicht ausdrücklich genannt:

Und ich sah, und siehe, es kam ein ungestümer Wind von Norden her, eine mächtige Wolke und loderndes Feuer, und Glanz war rings um sie her, und mitten im Feuer war es wie blinkendes Kupfer. Und mitten darin war etwas wie vier Wesen, die anzusehen waren wie Menschen. Und jedes von ihnen hatte vier Angesichter und vier Flügel. Und ihre Beine standen gerade, und ihre Füße waren wie Hufe von Stieren und glänzten wie blinkende, glatte Bronze. Und sie hatten Menschenhände unter ihren Flügeln an ihren vier Seiten. Die vier hatten Gesichter und Flügel. Ihre Flügel berührten einer den andern. Und wenn sie gingen, brauchten sie sich nicht umzuwenden; immer gingen sie in der Richtung eines ihrer Angesichter. Ihre Angesichter waren vorn gleich einem Menschen und zur rechten Seite gleich einem Löwen bei allen vieren und zur linken Seite gleich einem Stier bei allen vieren und hinten gleich einem Adler bei allen vieren. Und ihre Flügel waren nach oben hin ausgespannt. Je zwei Flügel berührten einander, und mit zwei Flügeln bedeckten sie ihren Leib. Immer gingen sie in der Richtung eines ihrer Angesichter; wohin der Geist sie trieb, dahin gingen sie; sie brauchten sich im Gehen nicht umzuwenden. Und in der Mitte zwischen den Wesen sah es aus, wie wenn feurige Kohlen brennen, und wie Fackeln, die zwischen den Wesen hin und her fuhren. Das Feuer leuchtete, und aus dem Feuer kamen Blitze. Und die Wesen liefen hin und her, was aussah wie Blitze. Als ich die Wesen sah, siehe, da stand je ein Rad auf der Erde bei den vier Wesen, bei ihren vier Angesichtern. Die Räder waren anzuschauen wie ein Türkis und waren alle vier gleich, und sie waren so gemacht, dass ein Rad im andern war. Nach allen vier Seiten konnten sie gehen; sie brauchten sich im Gehen nicht umzuwenden. Und ihre Felgen waren hoch und furchterregend, ihre Felgen waren voller Augen ringsum bei allen vier Rädern. Und wenn die Wesen gingen, so gingen auch die Räder mit, und wenn die Wesen sich von der Erde emporhoben, so hoben die Räder sich auch empor. Wohin der Geist sie trieb, dahin gingen sie, und die Räder hoben sich mit ihnen empor; denn es war der Geist der Wesen in den Rädern. Wenn sie gingen, so gingen diese auch; wenn sie standen, so standen diese auch; und wenn sie sich emporhoben von der Erde, so hoben sich auch die Räder mit ihnen empor; denn es war der Geist der Wesen in den Rädern. Aber über den Häuptern der Wesen war es wie eine Himmelsfeste, wie ein Kristall, unheimlich anzusehen, oben über ihren Häuptern ausgespannt, dass unter der Feste ihre Flügel gerade ausgestreckt waren, einer an dem andern; und mit zwei Flügeln bedeckten sie ihren Leib. Und ich hörte ihre Flügel rauschen wie große Wasser, wie die Stimme des Allmächtigen, wenn sie gingen, ein Getöse wie in einem Heerlager. Wenn sie aber stillstanden, ließen sie die Flügel herabhängen, und es donnerte im Himmel über ihnen. Wenn sie stillstanden, ließen sie die Flügel herabhängen. Und über der Feste, die über ihrem Haupt war, sah es aus wie ein Saphir, einem Thron gleich, und auf dem Thron saß einer, der aussah wie ein Mensch.

– Hesekiel 1:4-26

Den Merkaba-Mystikern ging es weniger darum, in das eigentliche Wesen Gottes einzutauchen als darum, die Geheimnisse des von Hesekiel beschriebenen himmlischen Throns für sich erlebbar zu machen. Nach entsprechend langer und sorgfältiger Vorbereitung (Waschungen, Fasten, inbrünstige Anrufungen, Beschwörungen) wurde sich ein Mystiker damit in Kontemplation über das Bild jenes »Menschen« gewahr, den der Prophet als Majestät Gottes auf seinem Thron beschreibt (Hesekiel 1:26).

 

Vision des Propheten Hesekiel - ewigeweisheit.de
Die Merkaba-Vision des Hesekiel. Kupferstich aus dem Iconum Biblicarum des Matthäus Merian (1593–1650).

 

Merkaba-Praktizierende wurden manchmal als Reisende in die übernatürliche Welt bezeichnet. Einige Auserwählte darunter, die man die »Tzenuim« nennt (eine Gruppe die vermutlich mit dem geheimnisvollen Orden der Essener in Verbindung stand), waren eingeweihte Meister die besondere moralische Qualitäten besaßen und sich durch ständiges Fasten auf ihr mystisches Erfahren vorbereiteten.

Für eine erfolgreiche spirituelle Reise in die besagten himmlischen Gefilde des göttlichen Thronwagens, verwendeten sie besondere »Siegel« (in Form von Amuletten). Darauf eingeschriebene Beschwörungen sollten die Engelwächter (hebr. »Iyrin«) besänftigen, die Hüter zu den Toren der himmlischen Paläste und des göttlichen Throns. Es sind diese Engel, die die Kabbala auch als die Seelen des Feuers bezeichnet (hebr. »Aschim«, dem Engelschor des Erzengels Sandalphon). Die Augen dieser Geistwesenheiten sollen aus lodernden Flammen bestehen, während sie auf ihren feurigen Rossen reitend brennende Rüstung und Waffen tragen. Einer könnte bei dem Gesagten also zu der Annahme gelangen, dass es sich bei der Merkaba-Mystik durchaus um ein gefährliches Unterfangen handelt, zumal es sich nicht um ein äußerliches Erleben dreht, sondern sich im Erlebenden selbst abspielt. Wer darum ein falsches der besagten Siegel verwendet, so die Rabbiner, wird mitunter wahnsinnig, erleidet vielleicht schwere Verletzungen oder stirbt sogar dabei.

Wer sich entsprechend vorbereitet und sich in frommer Gesinnung auf diese Reise begibt, den soll, wenn er als mutiger Mensch dazu würdig erscheint, der Allmächtige von der Merkaba aus ansprechen.

[…] Und als ich sie gesehen hatte, fiel ich auf mein Angesicht und hörte jemanden sprechen.

– Hesekiel 1:28

Im babylonischen Talmud findet sich nun eine Legende der »Vier die den Pardes betraten« (wo in der Kabbala vom »Pardes« als Obstgarten gesprochen wird, in dem der Geist eines Rabbis zum esoterischen Wissen der jüdischen Tora gelangt):

Sie waren Ben Azzai, Ben Zoma, Acher und Rabbi Akiba. Rabbi Akiba sagte zu ihnen: »Wenn ihr an den Ort der reinen Marmorsteine kommt, sagt nicht: ‚Wasser! Wasser!‘, denn es heißt: ‚Wer Unwahrheiten spricht, soll nicht vor Meinen Augen stehen‘«. Ben Azzai starrte und starb. Über ihn heißt es in dem Vers: »Kostbar in den Augen Gottes ist der Tod seiner Frommen«, Psalm 116:15. Ben Zoma schaute und wurde wahnsinnig. Über ihn heißt es im Vers: »Hast du Honig gefunden? Iss nur so viel, wie du brauchst, damit du dich nicht überfüllst und ihn erbrichst«, Sprüche 25:16. Acher schnitt die Anpflanzungen ab. Rabbi Akiba trat in Frieden ein und ging in Frieden.

– Babylonischer Talmud, Hagigah 14b

Nur einer (Rabbi Akiba ben Joseph, 50-135 n. Chr.) gelangte auf seiner mystischen Reise zur Merkaba, wo er seine visionäre, alles verändernde Erfahrung machte, und kehrte danach auch wieder zurück. Auch der Name Rabbi Jischmael ben Elischa (70-135 n. Chr.) muss hier genannt werden, der, wie sein Zeitgenosse, zu solch mystischem Erleben gekommen war, worüber er in seinem Buch »Maase Merkaba« schrieb: der »Vision der Merkaba«.

Neben den Buch Hesekiel aber gehört zur Literatur der Merkaba-Tradition auch die apokalyptische Schrift des Hebräischen Henochbuchs. Und in diesem Zusammenhang ist da auch die Rede von Rabbi Jischmael. Der berichtet von seinem Aufstieg zum Tor des siebten Himmels, wo er sich davor fürchtet, von den Wächterengeln in die Tiefe gestürzt zu werden. Doch da erscheint Rabbi Jischmael als Beschützer der Erzengel Metathron, der »Fürst des Antlitzes«, der ihn bei der Hand nimmt und in den siebten Himmel geleitet, wo er die hell strahlende Merkaba schaut. Jischmael fragt ihn daraufhin wer er sei, worauf ihm Metathron antwortet, er sei der Mensch Henoch gewesen, wurde aber von Gott aus der Generation der Sintflut entrückt und zum Engel verwandelt.

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