Im 10. Jahrhundert des ersten Bulgarischen Königreichs, lebte und wirkte ein christlicher Priester namens „Bogomil“, der einst im mazedonischen Bogomila zur Welt kam. Das Wenige, das über ihn bekannt ist, stammt aus Predigten orthodoxer und katholischer Geistlicher, deren Schriften sich jedoch gegen ihn richteten. Sein Wirken begann während der Regentschaft des Zaren Peter I. von Bulgarien, zwischen 927 und 969.
Sein Auftreten war von so immenser Kraft, dass sich um ihn eine Gemeinschaft versammelte, die auch seinen Namen trug: Die Bogomilen. Aus der sogenannten „Predigt gegen die neu aufgetretene Bogumilen-Häresie“ des bulgarischen Gelehrten und Priesters mit dem Namen Kosmas (der wie Bogomil im 10. Jahrhundert lebte), lassen sich wichtige Details über die Verbreitung des Bogomilentums in Bulgarien finden. Wie von Kosmas darin beschrieben, ist Bogomils Leben in Geheimnisse gehüllt. Denn manch einer glaubte, dass sein Name „Bogomil“ das Pseudonym von dem in der 2. Hälfte des 10. Jahrhundert lebenden Priesters Jeremias gewesen sei.
Jeremias war der bulgarischer Autor der apokryphen Erzählung mit dem Titel „Die Geschichte vom Kreuzbaum“ darin beschrieb er den Baum, aus dessen Holz das Kreuz Christi verfertigt wurde, wobei er seine Quellen dazu aus dem Alten und dem Neuen Testament, sowie früheren apokryphen Schriften bezog. Da Jeremia in seinem Buch jedoch das Kreuz verherrlicht, ist es unwahrscheinlich, dass es sich bei ihm um die selbe Person wie Bogomil handelte, zumal die Bogomilen eine Verehrung des Christus-Kreuzes ablehnten.

„Die, die Gott lieb hat“
Der Name Bogomil setzt sich zusammen aus dem slawischen Wort „Bog“, Gott, und „Mil“, „der Liebe“, so das jenes Priesters Name soviel bedeutete wie „Der, den Gott lieb hat“ oder auch „Der Mann den Gott lieb hat, da er betet“. Dieser Name ist seiner Bedeutung nach ähnlich mit dem der Glaubensgemeinschaft der „Messalianer“ (von syrisch „Msallyana“, „Dem Betenden“), mit denen man die Bogomilen (als die „Gottesfreunde“) gleichsetzte. Dies wissen wir aus einem alten Sendschreiben des Patriarchen von Konstantinopel Theophylaktos (917-956) an den bulgarischen Zaren Peter (Originaldokument befindet sich im italienischen Mailand).
Für unsere weiteren Betrachtungen interessant sein dürfte dabei die Tatsache, dass die Messalianer eine besondere Form eines Spiritualismus pflegten, der der persischen Religion des Zoroastrismus sehr ähnelt, hinsichtlich des Glaubens an einen Dualismus, wo die Welt als ein Kampfgebiet angesehen wird, in der sich die Zwillinge „Ahura Mazda“, der Gute Geist und der Böse Geist „Ahriman“, gegenüberstehen. Die Messalianer bekannten sich zu einem besonderen Glauben: Vom Urvater Adam wurde über all die unzähligen Generationen hinweg an seine Nachkommen fortgepflanzt, die in jedem Menschen lebendige Seele; doch in jeder dieser Seelen, so glaubte man, wohne ein Dämon. Durch eine bestimmte Gebetsübung aber wussten die Messalianer dies diabolische Wesen auszutreiben, damit an seiner statt Raum gegeben würde, damit darin ein reiner, göttlicher Geist einkehre.
Auch mit den Paulikianern, einer durch den antiochischen Bischof Paulus von Samosata (200-275 n. Chr.) entstandenen, christlichen Bewegung, stehen die Ursprünge der Bogomilen in Zusammenhang. Denn wie sie, verurteilte man vor ihnen die Paulikianer als Häretiker, die ihre Lehren aber schon zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert im Byzantinischen Reich verbreiteten. Anfang des 9. Jahrhunderts kamen ihre Nachfahren in den Balkan, wo ihre Glaubenslehren durch die Bogomilen zu neuer Blüte fanden.
Die Bogomilen haben […] eine wahrhaft erstaunliche Kulturblüte auf dem Balkan hervorgebracht, die trotz gewaltiger Verfolgungen weder durch die offizielle bulgarische Kirche noch durch die oströmische Staatsmacht unterdrückt werden konnte und die einige Jahrhunderte dauerte […] – Aus „Die verhüllten Götter – Neue Genesis der italienischen Renaissance“ von Hans Mühlestein, 1957
Bei dem hier Gesagten muss berücksichtigt werden, dass das meiste Wissen, das heute uns über die Bogomilen vorliegt, von ihren Gegnern stammte, zu denen in der damaligen Zeit verschiedene Gelehrte der orthodoxen und katholischen Kirche gehörten. Dennoch ist uns Vieles der Lehren der Bogomilen, in leicht abgewandelter schriftlicher Form oder durch mündliche Überlieferung, erhalten geblieben. Hier sei insbesondere hingewiesen auf die Schriftensammlung des byzantinischen Mönches Euthymius Zygadenu (aus der Mitte des 11. Jahrhunderts bis Anfang des 12. Jahrhunderts).
Eine Spirituelle Vernunft
In der Zeit des Übergangs ins Hochmittelalter, bildete die Glaubensgemeinschaft der Bogomilen für die verschiedenen, als Häretiker abgewerteten christlichen Religionsgemeinschaften des Ostens und des Westens ein wichtiges Bindeglied. Vermutlich hatten sie an einigen Orten des Balkan einen spirituell durchwirkten Boden vorgefunden gehabt, der bereits durch ältere religiös-kultische Weltanschauungen quasi vorbereitet war, und worin die überlieferten Lehren aus der Zeit des Urchristentums aufkamen. Was sich damals aus den Weisheiten der Christlichen Lehre verbunden hatte, mit den mehr als tausend Jahre älteren Lehren eines Dualismus, wie sie der persische Prophet Zarathustra gelehrt hatte, sollte sich mit dem Auftreten des Propheten Mani im 3. Jahrhundert n. Chr. verbinden im sogenannten Gnostizismus (von alt-griech, „Gnosis“, der „Erkenntnis“).
Hieraus entstand eine vollkommen neue Linie religiöser Spiritualität, die sich also von Persien aus durch Kleinasien und den Balkan bis nach Westeuropa entlang fortzeichnen sollte. Was da einst durch die Manichäer (Anhänger des Mani) im 4. Jahrhundert mit den Messalianern nach Anatolien und mit den Paulikianern im 7. Jahrhundert als gnostisches Christentum ins byzantinische Reich kam, sollte im 10. Jahrhundert einfließen in die Lehren der Bogomilen Bulgariens, von wo aus sich die christliche Gnosis zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert in Westeuropa weiter verbreitete mit den Katharern. Immer wieder darum, identifizierte man die Katharer (auch als „Albigenser“ bekannt) mit den Bogomilen, da sie mit ihrem gnostischen Lehrsystem in enger Verbindung zu ihnen standen.
Die Bogomilen und auch die Katharer lehnten es ab Untersuchungen anzustellen, die sich mit Vorstellungen über das Wesem des Heiligen Geistes beschäftigen. Auch Vorstellungen über die göttliche Geburt Jesu Christi, wie eine damit ja einhergehende Existenz als der Sohn Gottes, stellten die Bogomilen anders dar. Für sie war der Christus nur durch Gnade der Sohn Gottes, wie auch die anderen Propheten der Juden es waren. Auch was die sogenannten „Sakramente“ der orthodoxen oder katholischen Gemeinschaften anbelangt, lehnten sie ab, da sie es für unmöglich hielten, das ein Gläubiger durch besondere Zeremonien teilhaben könne an der ja unsichtbaren Wirklichkeit Gottes. Ikonen und sogar das Kreuz galten ihnen als Götzenbilder.
Nun könnte man bei dem zuletzt Gesagten auf die Idee kommen, dass die Bogomilen schon damals eine Haltung eingenommen hatten, die dem ähnelt, was manche heute vielleicht als „Spirituelle Vernunft“ bezeichnen. Darum auch interpretierten die Bogomilen das, was Jesus in den evangelischen Legenden als Wunder vollbrachte, in rein spirituellen Sinne und nicht als reale Ereignisse in der physischen Welt.
Auf dieser Haltung heraus, errichtete die Gemeinschaft der Bogomilen die Fundamente einer. für sie reinen und vollkommenen Kirche Jesu Christi. Es war ihnen das Gotteshaus ein Bethlehem, wo ihnen, in ihrer heiligen Messe, der Christus geboren wurde.
Diese spirituelle Geburt für die Gemeinde der Gläubigen zu vollziehen, war bei den Bogomilen die Aufgabe jener, die sie die „Perfecti“ nannten, die Vollkommenen. Sie nämlich waren von den Älteren zu „Gottesgebärern“ geweiht worden, durch das göttliche Wort, den „Logos“. Als jene, die sich unter den Bogomilen als solch wahrhaftige Christen erkannt hatten, wussten sie den in ihrem heiligen Ritus geborenen Messias selig zu preisen. Denn sie erkannten sich schon als arm im Geiste (Matthäus 5:3), als Salz der Erde (Matthäus 5:13), als Licht der Welt (Johannes 8:12).
Es ist die Lehre der Bogomilen, dass jeder Mensch, sofern er nur des Glaubens voll sei, ein „Gottgebärer“ sei! Das ist das, was die Bogomilen in Florenz schon während des 11. und 12. Jahrhunderts dauernd verkündeten: es löste sich von aller Mystik schließlich los, wurde zum Individualitätsprinzip, zum Genie-Prinzip – das heißt, zum schöpferischen Prinzip der Renaissance!
– Aus „Die verhüllten Götter – Neue Genesis der italienischen Renaissance“ von Hans Mühlestein, 1957
Das Gotteshaus der Bogomilen
Während die West- und Ost-Christen ihre großen Kirchen bauten, verzichteten die Bogomilen gänzlich auf solcherart Schritte zur Erbauung ihre religiösen Versammlungsorte. Ihr Gebäude waren sehr schlicht, umgeben von rohen Steinmauern und Dächern aus Stroh. Denn nichts sollte weiter darauf hindeuteen, dass es sich dabei um einen Tempel handelt.
Wer dort eintrat, fand kahle Wände und einfache Sitzbänke vor. Weder aber stützten Säulen die vergleichsweise niedrige Decke, noch schmückten Bilder, Reliefs oder Skulpturen den heiligen Raum. Nichts eben sollte die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf sich ziehen, als die Erfahrung der rituellen Handlungen in ihrem Gottesdienst. So also gab es auch keinen goldverzierten Altar, keine Trennwand für den Chor, nicht einmal eine Kanzel für den Priester war darin zu finden.
Im hinteren Teil des Raumes befand sich ein ganz einfacher Tisch, den ein weißes Leinentuch bedeckte. Darauf lagen handgeschriebene Kopien der vier Evangelien, der Paulinischen Bücher und wohl auch eine Schriftrolle mit gnostischen Hymnen, wie vielleicht die Hymne des Lieds von der Perle. Manchmal heißt es, dass auch die Psalmen und die tanachischen Prophetenbücher zu dem zählten, was man dort liegen sah.
Der bogomilische Priester trug das ganz schlichte Gewand eines Bettelmönchs. Er saß direkt neben diesem Tisch, während er sich in stiller Andacht das Gesicht mit seinen Händen bedeckte. Als er sich dann erhob, folgte seinem Vorbild die ganze Gemeinde, und man sprach gemeinsam ein Gebet in vollkommen geistiger Hingabe – eben als ein Bogomile, als „ein Freund Gottes“ der betet. Am Ende des Ritus stimmte die ganze Gemeinde mit ihm in das Vaterunser ein und alle schlossen mit einem gut hörbaren Amen.
Die Vollkommenen, die Gläubigen und die Hörenden
Die Autoren der kirchlichen Gegenseite, durch die wir ja überhaupt von den Bogomilen wissen, schreiben alle, dass die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft der Bogomilen in drei Kreise unterteilt war.
- Oben war da ja bereits der Name „Perfecti“ angeklungen, der für die „Vollkommenen“ der Bogomilen steht, die „Reinen“, die in die Mysterien eingeweiht waren.
- Ihnen unterstanden die „Credentes“, die „Gläubigen“, die als ihre Jünger einen Weg antraten, der sie ihrerseits zur Einweihung führen sollte.
- Schließlich gab es da noch, die ungetauften „Auditores“, die „Hörenden“.
Im 12. Jahrhundert, als sich die Lehren der Bogomilen in weiten Teilen Europas verbreiteten, betrug die Zahl ihrer gläubigen Anhänger, der Credentes also, nicht weniger als zweieinhalb Millionen. Die Perfecti hingegen waren nie sehr zahlreich. Sie aber führten die Gemeinschaft der Gläubigen, galten als ihre „Ältesten“, zu denen auch Frauen zählten. Zu ihren Pflichten gehörte das Predigertum, die Seelsorge in den Bogomilen-Gemeinden.
Als Missionare durchquerten die Perfecti verschiedene Länder, um ihre Lehren mit ihren apokryphen Büchern und Schriftrollen mit ihren Gnostischen Hymnen zu verbreiten. Alle denen sie in ihren Missionen begegneten, vermittelten sie ihren religiösen Geist, der diese tiefgreifend beeinflusste. So bereiteten sie tatsächlich eine Reformation des Christentums vor.
Die Perfecti heilten Kranke, vertrieben böse Geister und verbreiteten ihre apokryphe Literatur zusammen mit einigen Büchern des Alten Testaments, was den religiösen Geist der Nationen tiefgreifend beeinflusste und sie auf die genannte Reformation vorbereitete. Von allen Perfecti verlangte man ein zölibatäres Leben und einen Verzicht auf Fleischverzehr. Diese Anforderungen dienten wahrscheinlich dazu, ihre ungeteilte Hingabe an ihre Arbeit zu sichern.
In solch asketischem Leben aßen sie nur Gemüse, Fisch und fasteten streng, zu bestimmten Zeiten im Jahr. Auch war es den Perfecti verboten Besitz zu haben, wie ja im im Evangelium des Matthäus zu lesen ist, worin es heißt.
Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach.
– Matthäus 19:21
Ihrem äußeren Erscheinen nach glichen sie den Credentes, den gewöhnlichen Gläubigen. Damit sie sich aber untereinander in ihrer Geheimtradition erkennen konnten, besaßen doe Perfecti besondere Signale (wie vielleicht zu vergleichen mit den Handreichungen der Freimaurer). Um ihrem heiligen Auftrag gemäß den Glauben der Bogomilen verbreiten zu können, wurden die Perfecti von den Credentes unterstützt, die über fast vier Jahrhunderte als Kaufleute arbeiteten. Viele unter den Credentes zählten sogar zum alten Adel Bulgariens und Bosniens.

Die Taufe und die Tröstung
Die Aufnahme in den Kreis der Bogomilen, die hierbei zu Credentes wurden (zu Gläubigen), erfolgte durch einen durch die Perfecti durchgeführten Ritus. Dieser wurde durch eine Taufe vollzogen, in Form eines einmaligen Untertauchens. Die wahre Taufe Christi aber geschah für sie durch den heiligen Geist, womit jeder, der zu ihnen übertrat, nochmals getauft werden musste, auch wenn er als getaufter Orthodoxer oder Katholik zu ihrem Glauben übergetreten war.
So also wurde einer in den bogomilischen Glauben getauft. Sie hatten den Namen „Christ“ angenommen, waren von da an Anhänger Christi. Diese Taufe durfte jedoch nur an erwachsenen Männern und Frauen vollzogen werden. Eine Kindertaufe lehnten die Bogomilen ab. Wieso? Da sie der Meinung waren, dass die Taufe für Kleinkinder keinen Vorteil hätte, zumal sie ja eigentlich noch gar nicht glauben konnten. Zu den Credentes sollte nur zählen der, der sich zum persönlichen Glauben an den Christus bekannt hatte und an ihn als seinen Erlöser glaubte, was einherging mit einer Verleugnung seiner selbst.
Um in den Kreis der Perfecti aufgenommen zu werden, hatten die Bogomilen den heiligen Ritus der sogenannten „Christustaufe“ oder „Geisttaufe“. Darin erfuhren neue Perfecti ihre Initiation: das „Consolamentum“ (lateinisch für „Tröstung“). Sie vollzogen es ohne Anwendung von Wasser, wozu ein Ältester dem Initianden die Hände auflegte somit er fortan zu einem Perfecti und Missionar geweiht wurde. Jedes Mitglied konnte damit die Vollkommenheit Christi erlangen und selbst ein Christus (lateinisch „Gesalbter“) werden.
Hiermit dann musste der neu geweihte Perfecti sich feierlich dazu verpflichten, das, was sich ihm während der Taufe offenbarte, niemandem mitzuteilen, worauf man ihm das Evangelium des Johannes auf sein Haupt legte. Da riefen sie den Heiligen Geist an und beteten das Vaterunser. Daraufhin folgte ein zweiter Ritus. Nach einer Vorbereitungszeit, in der sich der neue Perfecti in sorgfältiger Gebetsübung spirituell reinigte, wurde der Neubekehrte zur vollständigen Einweihung geführt. Dazu wandte man ihn gen Osten, legte ihm wieder das Johannes-Evangelium auf sein Haupt, worauf alle anwesenden Männer und Frauen der Perfecti ihm die Hände auflegten und einen geheimen Dankes-Hymnus sangen.

Drei Göttliche Personen
Wie später die Bogomilen, so vertraten vor ihnen die Messalianer eine dualistische Auffassung vom Ursprung der Welt. In einigen wenigen ihrer erhaltenen Texte, konnte diese Lehre fortbestehen. Und das darin Beschriebene, sollte sich dann mit dem Wirken der Bogomilen im 10. Jahrhundert sogar tief in den traditionellen Überzeugungen der Bulgaren und anderer Menschen des Balkan verwurzeln.
Wie dem auch sei, teilten sich, laut dieser Lehre Messalianer, drei Wesen die Herrschaft im Universum:
- Der Vater hat sich das Überweltliche vorbehalten.
- Satanaël, sein ältester Sohn beherrscht die Erde.
- Sein jüngerer Sohn Michael aber waltet über die himmlischen Gebiete der Welt.
DIese beiden Söhne des überweltlichen Vaters standen sich im Glauben der Messalianer feindlich gegenüber, sollten aber, als Kinder dieses einen Vaters, sich dereinst versöhnen.
Ein Teil der Messalianer erwies beiden gleiche Ehrerbietung, wobei andere nur dem Sohn des Himmels dienen wollten, während sie in Satanaël ein gefährliches und schadenbringendes Wesen sahen. Doch gab es unter den Messalianern auch eine Gruppe, die sich vom jüngeren Sohn abkehrte, bloß dem Satanaël huldigten, dem Erstgeborenen des Vaters, dem Bildner der sichtbaren Welt.
Die Bogomilische Gnosis
Wie zuvor gesagt, waren die Bogomilen ja beeinflusst durch die Gnosis der Messalianer (über die Paulikianer). Nach ihrer Lehre nun erscheint Gott in menschenähnlicher Gestalt. Doch bildet seine Körpergestalt kein grob-irdischer Leib, sondern ist von geistiger Substanz. Als universale Einheit ging aus ihm die heilige Dreiheit hervor. So ist da, wie auch bei den Messalianern, die Trinität gebildet aus Vater, Sohn und Geist. Sie erscheinen den bogomilischen Perfecti in solch dreifacher Gestalt, wo der Vater einem Greise mit langem Bart ähnelt; der Sohn ist ein erwachsener Mann in einer lichtbringenden Blüte und der Heilige Geist gleicht einem Jüngling.
In dem Sohn und dem Heiligen Geist sah man nur vorübergehend persönlich gewordene Manifestationen des Vaters. Der Sohn kam zur Zeit auf die Welt („ging aus dem Vater aus“), wo er als der Christus scheinbar (!) von Maria geboren wurde. Aus dem Sohne aber ging der Heilige Geist hervor, so die Bogomilen. Beide kehrten nach vollbrachtem Werk wieder in den Schoß der universalen Gottheit zurück, wie die großen Ströme der Erde in einen Ozean zurückfließen.
Gottes älterer Sohn, von den Bogomilen Satanaël genannt, wie wir oben bereits sagten, war seinem Vater an Gestalt und Aussehen gleich. Er saß zu seiner Rechten und stand als Verwalter alles Irdischen über allen Wesen. Von dieser Hoheit und Macht jedoch berauscht, wandte er sich von Gott ab. Da überredete er einen Teil der gottdienenden Geister, sich des Joches ihrer Dienstbarkeit zu entledigen und stattdessen ihm zu folgen. Es ist das die Ansicht der Bogomilen gewesen, die auch schon im Prophetenbuch Hesekiel anklang, wenn es darin im 28. Kapitel heißt:
Ich werde meinen Thron auf den Wolken errichten und werde gleich sein dem Allerhöchsten
– Hesekiel 28:2
Doch Satanaël und seine Engelschar sollten ausgestoßen werden von Gott und stürzten in die damals noch formlose Erdenwelt. Doch er und seine Engel besaßen noch ihre schöpferischen Kräfte. Und damit eben erschuf Satanaël seine eigene Welt und wie Gott einen weiteren Himmel und eine weitere Erde. Was die mosaische Genesis als Schöpfung beschreibt, das galt den Bogomilen als diese Welt Satanaëls. Und eben das machte sie zu den Ketzern die man verfolgte wegen dieser Behauptung.
Was im Neuen Testament beschrieben wird, im 4. Kapitel des Matthäus-Evangeliums, als der „Berg der Versuchung“, an den der Satan Christus führte und von wo aus er ihm die Reiche der Welt zeigte, das galt den Bogomilen als Sinnbild für diese „zweite Schöpfung der Welt“. Und eben darum, dass Satanaël selbst diese Reiche hervorgebracht hatte, konnte er dem Christus versprechen, sie ihm zu schenken.
So also war der Gefallene Satanaël zum bösen Geist geworden. Er hatte die Welt erschaffen und darin auch den Menschen – Adam. Ihn schuf er, damit er sich selbst und seine Nachkommenschaft an Satanaël, den Erschaffer und Besitzer der Erde verkaufte, so die bogomilische Lehre. Doch dann sandte Gott den Erzengel Michael, Satanaëls jüngeren Bruder, in Gestalt eines Menschen.
Wenn es um den Sieg über das Böse ging, erkannten darin die Bogomilen den Erzengel Michael in Jesus Christus wieder. Womöglich fanden sie dazu in den Bibelversen, die vom Abstieg Jesu Christi in die Unterwelt und der in der Johannes-Offenbarung stehenden Erzählung vom Sturz des Drachen (Satans) durch Michael handeln. Zwischen Christi Kreuzigung und seiner Auferstehung, begab er sich ja ins überweltliche und ins unterweltliche Jenseits (das Totenreich), Das lassen esoterische Deutungen jener Verse zu, die man zum Beispiel im paulinischen Brief an die Epheser 4:9 findet, im 1. Buch Petri 3:19 und im 12. Kapitel der Johannes-Offenbarung.
Da entbrannte im Himmel ein Kampf; Michael und seine Engel erhoben sich, um mit dem Drachen zu kämpfen. Der Drache und seine Engel kämpften, aber sie hielten nicht stand und sie verloren ihren Platz im Himmel. Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen.
– Offenbarung 12:7ff
Michael wurde immer auch in vielen christlich-orthodoxen Ikonen aus der byzantinischen Zeit (sowie auch später in der christlichen Malerei), als Gestalt des Schutzes gemeinsam mit Johannes dem Täufer dargestellt in den Abbildungen der Christustaufe im Jordan. Nach bogomilischer Lehre wurde nach der Taufe durch Johannes im Jordan Michael von Gott „erwählt“, um dann den eben beschriebenen Sturz des Satan nach der Kreuzigung Christi zu vollziehen.
Für die Bogomilen waren der Heilige Geist, in Gestalt der Taube, die sich auf Jesu Haupt bei der Taufe niedersenkte, mit dem Erzengel Michael identisch. Er ging über in die menschliche Erscheinung Jesu, um den Satanaël zu besiegen und ihn in den hässlichen Satan zu verwandeln, der von da an kein Engel mehr war (verlor sein Name doch die Endsilbe „el“, die ja alle Engelnamen tragen).
Durch Satans Machenschaften kam es zur Kreuzigung Jesu Christi in dieser Welt, die laut bogomilischer Lehre ja ein Werk Satanaëls ist (siehe oben). Darum mussten die bogomilischen Perfecti entsprechend alle weltlichen Gelüste und Exzesse unbedingt meiden. Trotzdem gingen sie nicht so weit, den Credentes, ihren Gläubigen Askese zu empfehlen. Vielmehr galt ihnen das Gebet des Vaterunser als wichtigstes Mittel und als mächtigste Waffe gegen Satan und seine bösen Geister. Überhaupt war das Vaterunser das zentrale Gebet der Bogomilen, dass sie mehrmals täglich und auch in der Nacht beteten.
Das Innere Licht
In Erwartung des Hereinbrechens des Gottesreiches auf Erden durch die Wiederkunft Christi nämlich – das heißt des Zusammenbruchs der feudalistischen Gesellschaftsordnung – gilt es für jeden Bogomilen, in sich selbst ein Stück Gottesreich aufzurichten: so halte man die Dämonen des Bösen von sich fern, die in jedem Menschen lauern […] Zu dieser Selbsterleuchtung ist jedem Menschen die Kraft gegeben durch die Anwesenheit des „inneren Lichtes“ in ihm, das ja im Keim die ganze „göttliche Wahrheit“ enthält. Diese Lehre, die […] schon die Paulikianer gelehrt haben, ist nun aber von den Bogomilen außerordentlich verstärkt worden durch die Lehre von der besonderen, schöpferisch-aktiven Kraft des »inneren Lichtes«: nicht nur die abstrakte Welt des Geistes, das „höhere Jerusalem“, das nach den Paulikianern die wahre Mutter Christi, das heißt des Geistes ist, sondern jeder einzelne konkrete Mensch kann „Christus“ in sich gebären – jeder Bogomile ist ein „Theotokos“, das heißt ein „Gottesgebärer“, denn er trägt in sich den göttlichen Logos (des Johannes-Evangeliums) selber und gebiert ihn immer aufs neue, indem er andere lehrt! Diese „Gottesgeburt“ findet in jedem Menschen statt, der den Willen zum Guten, zum „Heiligen Geist Christi“, hat! In diesem Sinne wird beispielsweise Christi Auferstehung (die für die Bogomilen, als reine paulikianische Doketisten (die der Lehre folgten, dass der Christus Jesus nur anscheinend einen materiellen Leib besaß), ohnehin kein historisches Ereignis, sondern eine bloße „Schein-Auferstehung“ ist) rein symbolisch gedeutet: als Symbol für die wahre Auferstehung jedes einzelnen, die in seiner Sinnesänderung besteht.
– Aus „Die verhüllten Götter – Neue Genesis der italienischen Renaissance“ von Hans Mühlestein, 1957
Ein Totenkult aus Stein
Wie allerorts, so galten auch den Bogomilen ihre Grabsteine als Symbole der Ewigkeit. Manche dieser Steine, die „Stećci“ (Plural von „Stećak“, einem wahrscheinlich alt-slawischen Wort für ein „großes, stehendes Objekt“) stellen in manchen ihrer Motive, Mythen und Rituale dar, in Form heraldischer Symbole, die von den Taten der Bogomilen berichten sollen, für die sie gesetzt worden sind. Das macht aus diesen alten Nekropolen (von „Nekropolis“, dem griechischen Wort für die „Totenstadt“), ganz eigenartige Kultstätten des Todes. Das dieser Kult der Stećci von späteren Christen übernommen wurde, dass betonen neueste archäologische Erkenntnisse.
Die Formen, Inschriften und visuellen Darstellungen einiger dieser Steinmonumente beeindrucken durch die Einfachheit ihrer Ästhetik und ihrer unbekannten Herkunft. Sie haben eben nur sehr wenige Ähnlichkeiten, mit den, zu dieser Zeit in Westeuropa üblichen Kunststilen. Bis zu 70.000 dieser mittelalterlichen Grabsteine sind über Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Serbien und Montenegro verteilt – den Ländern eben, in deren Region die Bogomilische Bewegung ihre tiefen Spuren hinterlassen hatte.
Diese Stećci befinden sich meist auf erhöhten Flächen in der Nähe ehemaliger Siedlungen, in denen ja auch die Bogomilen lebten. Nach lokalem Glauben platzierte man die Nekropolen an diesen Stellen, damit die Seelen der Toten die der Lebenden von dort aus beobachten konnten. Viele Wissenschaftler sind der Meinung, dass das Aussehen dieser Skulpturen mit den dualistischen Glaubenslehren, wie eben denen der Bogomilen zusammenhängt, so etwa der Archäologe Alojz Benac (1914–1992).
Es gibt in der südlichen Balkanregion eine bemerkenswerte Anzahl solcher Nekropolen, die ein außergewöhnliches Zeugnis eines künstlerischen Erbes darstellen. Die meisten dieser Nekropolen, mit ihren verzierten Grabsteinen, wurde von den Bogomilen unterhalten. Das man sie dort aufstellte war wohl auch aus dem Grunde geschehen, da in dieser Landschaft des Balkan besondere magnetische Kraftströme wirken, Diese versuchte man wahrscheinlich mit dem Aufstellen der Steine ihrer Grabstätten zu fixieren.
In den Nachmittagsstunden zur Abenddämmerung im Frühling dann, treten durch Licht und Schatten die flach gemeißelten Figuren und Zeichen dieser Steinmonumente besonders scharf hervor, womit dem Sinnbildlichen ihrer Formen ein besonderer Zauber verliehen wird. Das sie von bogomilischen Steinmetzen hierfür entsprechend behauen wurden, war sicherlich kein Zufall, denn stellen viele davon adlige oder fürstliche Credentes dar, denen man die Steine zum ewigen Gedächtnis aufgestellt hatte. Nicht selten aber sind auch Tierfiguren oder symbolische Darstellungen von Pflanzen in den Steinen zu erkennen, die alle einer magisch-archaischen Volkskunst der Slawen angehören.
Interessant dabei ist, dass dieser alte Steinkult gewiss seinen Ursprung im manichäisch-iranischen Kult in Persien des 3. und 4. Jahrhunderts hat, Denn das war die Zeit, in der der zoroastrische Dualismus mit den jungen Christentum durch den Prppheten Mani ja zu dem verschmolzen, woraus die christliche Gnosis in die Welt kam – sich über die Paulikianer im Bogomilentum fortsetzte, um dereinst auch von den Katharern Südfrankreichs weitergeführt zu werden, wo ja auch bei den Katharern ein ähnlicher Steinkult zu finden ist.

Wie wir sehen konnten, hat die gnostische Bewegung der Bogomilen einen, auf und in der Erde bis heute ihre erkennbaren Spuren hinterlassen. Denn besonders wenn es um die Geheimlehren geht, mit denen sich viele von uns auch in der Gegenwart beschäftigen, so spielt da sicherlich eine christliche Lehre vom Dualismus eine mindestens ebenso wichtige Rolle, wie sie auch für Menschen des sogenannten Neuheidentums von Belang sein dürfte.
Auch wenn heute nur wenige Menschen je vom Bogomilentum hörten, trug die Verbreitung ihrer Lehren bis nach Frankreich (Katharertum) und von dort bis in die Region des heutigen Belgien (Waldensertum) dazu bei, dass manche zeitgenössische, esoterische Bünde, wie etwa auch die der Rosenkreuzer, überhaupt entstanden sind.