Die Legende der „Männer der Höhle“ oder „Siebenschläfer“, ist im Westen seit frühchristlicher Zeit bekannt. Besonders aber Muslimen ist sie wichtig, erwähnt sie doch der Koran, in der 18. Sure Al-Khaf – „die Höhle“.
Aus welcher Zeit die Geschichte aber tatsächlich stammt ist unbekannt. Es besteht jedoch Anlass zur Vermutung, dass sie sich im Zeitraum zwischen dem 3. und 7. Jhd. n. Chr. in Kleinasien ereignete beziehungsweise dort wiederholte.
Mit den Siebenschläfern sind sechs Jünglinge gemeint, die ein Schafhirte mit seinem Hund zu einem Versteck in einer Höhle führte. Sie alle waren Christen.
Viele Jahre zuvor, hatte der aus Tarsus stammende Apostel Paulus die Botschaft der christlichen Evangelien in Kleinasien verbreitet. Doch immer noch zwang man die Bürger des römischen Reichs, ihre Kaiser als Götter zu verehren und ihre Götzenbilder anzubeten. Wer sich etwa zum jungen Christentum bekannte, wurde verfolgt, gefoltert und hingerichtet.
Die Legende von der lästigen Fliege
Sechs junge Edelmänner genossen die Gunst des römischen Kaisers Decius (201-251 n. Chr.). Eines Tages saßen sie mit Gästen am Hofe des Kaisers zu Tisch, als diesen plötzlich eine lästige Fliege störte, die sich von ihm auch nicht verscheuchen ließ.
Nicht verjagen sie die Fliege.
Sie umschwärmt ihn, sticht und irret
Und verwirrt die ganze Tafel,
Kehret wieder wie des hämischen
Fliegengottes Abgesandter.
– Goethe, West-östlicher Diwan
Kaiser Decius, der sich ja selbst als Gott bezeichnete, aß und trank jedoch wie ein Mensch und geriet wegen einer kleinen Fliege in Zorn – verlor fast den Verstand. Die klugen Jünglinge sahen darin aber ein Zeichen des erhabenen Weltenschöpfers: das Insekt war ein Abgesandter des Teufels. Sie wussten: die frohe Botschaft, die der Heiligen Paulus verkündete, war die einzig wahre Religion. Im Koran heißt es dazu:
Unser Herr ist der Herr der Himmel und der Erde. Außer ihm werden wir keinen anderen Gott anbeten, sagten wir sonst doch etwas Unrechtes.
– Sure 18:14, Al Khaf, die Höhle
Sieben Heilige in der Höhle
Für ihren Glauben gaben die Edelmänner ihre hohen Stellungen auf und verzichteten auf alle Vorzüge ihres weltlichen Lebens am Hofe des Kaisers. Also entsagten sie dem Götzendienst und bekehrten sich zum Christentum. Doch weil darauf die Todesstrafe stand, mussten sie fliehen. Auf ihrer Flucht trafen sie auf einen Hirten, den ein eigenartiger Hund begleitete. Das Tier ließ sich nicht verscheuchen, wollte sein Herrchen nicht verlassen. Es schien als erfülle der Hund eine „höhere Pflicht“, die darin bestand, die sieben Heiligen zu begleiten.
Der Hirte kannte die Gegend hier sehr gut und führte die Edelmänner in eine geräumige Höhle, die sich im Berg Encülüs befindet, 12 km nord-westlich der südanatolischen Stadt Tarsus, nahe des Dorfes Dedeler (deutsch: „Großväter“). Dort versteckt, beteten die Jünglinge gemeinsam zu Gott:
Unser Herr, gewähre uns Barmherzigkeit von Dir aus und bereite uns einen Weg in unserer Sache.
– Sure 18:10, Al Khaf, die Höhle
Kaiser Decius aber machte ihren Aufenthaltsort ausfindig. Auf seinen Befehl hin wurden sie dort im Jahre 251 n. Chr. eingemauert. Das aber war auch das Todesjahr des Kaisers.
Und der Fürst, dem sie entflohen,
Liebentrüstet, sinnt auf Strafen,
Weiset ab so Schwert als Feuer,
In die Höhle sie mit Ziegeln
Und mit Kalk sie lässt vermauern.“
– Goethe, West-östlicher Diwan
Die sieben Heiligen fielen in einen tiefen Schlaf. Laut Koran, schliefen sie in der Höhle 309 Jahre lang. Ihr Hund aber lag wachend am Eingang.
Du könntest sie für wach halten, doch sie schlafen; und wir werden sie auf die rechte Seite und auf die linke drehen, während ihr Hund seine Vorderpfoten auf der Schwelle ausstreckt. Hättest du sie so erblickt, würdest du dich gewiss vor ihnen zur Flucht kehren und wärest mit Grauen vor ihnen erfüllt.
– Sure 18:18, Al Khaf, die Höhle
Gewiss erinnert die Sitzhaltung des Hundes, der „seine Vorderpfoten auf der Schwelle ausstreckt“, an den alt-ägyptischen Schakal Anubis – dem heiligen Wächter des Totengerichts. Der Schakal, als Verwandter des Hundes, war im alten Ägypten das Tier, dass man mit der westlichen Wüste assoziierte. Im Westen aber geht die Sonne unter, weshalb diese Himmelsrichtung seit Alters her mit dem Tod in Verbindung gebracht wird. Dort in der Unterwelt leben die Seelenführer, die in der alt-ägyptischen Mythologie eben Hunde, Schakale oder Wölfe verkörpern.
Blick aus der Höhle der Siebenschläfer in Dedeler, in der Nähe der alten Stadt Tarsus (Türkei).
Das Erwachen der Siebenschläfer
Lange nachdem die sieben Heiligen in der Höhle entschlafen waren, stieß ein ansässiger Bauer auf die Höhle, deren Eingang jene alte Mauer versperrte. Er aber wollte sie als Schaftstall nutzen und entfernte darum das alte Mauerwerk. Doch da erschien den Heiligen in der Höhle, der Erzengel Gabriel und erweckte sie nach ihrem hunderte Jahre langen Schlaf. Jener Erzengel war es auch, der dem Propheten Mohammed (as) die heiligen Verse des Koran eingab. Wenn Gabriel nun, auch diese sieben Förderer der Christenheit erweckte, ist es wohl kaum verwunderlich, dass Muslime von Jesus (dem Propheten Isa ibn Maryam) mit Achtung sprechen.
Einer dieser sieben Heiligen auf jeden Fall, verließ die Höhle, um für sich und seine Gefährten Brot zu holen. Er aber fand sich selbst in der Fremde und traf auf dem Weg niemanden den er kannte. Einem Bäcker gab er eine seiner Silbermünzen, die noch eine Prägung mit dem Bild des Kaisers Decius besaß. Erstaunt darüber kamen mit dem Bäcker die Bürger des Ortes zur Höhle und fanden dort alle Heiligen lebendig. Sie erschraken aber über ihre furchterregende Erscheinung, strahlten ihre Gesichter doch hell wie das Licht der Sonne. Dann aber fielen sie erneut in tiefen Schlaf, woraus sie jedoch nie mehr erwachten.
Gemäß einer anderen Version der Sage, schliefen die sieben Heiligen dort 172 Jahre lang und erwachten im 4. Jhd. in der Regierungszeit des Kaisers Theodosius. Als der Bauer jene Mauer entfernen ließ, kamen die Heiligen zum Vorschein und segneten Kaiser und Bischof, und legten vor ihnen Zeugnis ab, über die Worte des Heiligen Paulus. Dann aber entschliefen sie erneut.
Das Sternbild Großer Bär (Großer Wagen).
Astrale Geheimnisse der Siebenschläfer-Legende
Seit alter Zeit assoziierte man die sieben Sterne des Großen Bären (Großer Wagen) mit den Heiligen der Siebenschläfer-Legende. Dieses Sternbild dreht sich unentwegt um die Pol-Achse des Nordhimmels, geht also nicht auf und unter, wie etwa die 12 Sternbilder des Tierkreis. Da sie also dort stets um den Polarstern kreisen und zu jeder Jahreszeit sichtbar sind, sah man in ihren Lichtern, die Entsprechungen jener sieben christlicher Helden, die dereinst wieder erwachen, um auf Erden zu erscheinen.
Die Höhle galt den Weisen des Altertum als gleichnishaftes Bild des Weltalls. Hier weihte man die Initianten in die heiligen Mysterien ein. Die Fackeln die am Höhlengrund flackerten, standen dort an Stelle der Sterne. So war die Höhle ein inneres Weltzentrum der Einweihung. Damit kann die Höhle der Siebenschläfer durchaus als Allegorie auf den Himmel gesehen werden.
Im Mittelalter wurde die Sage der Siebenschläfer dann auch mit der Artuslegende assoziiert. Vom legendären König Artus (dessen Name bedeutet im alt-keltischen „Bär“, artos) glaubte man, dass er niemals starb, sondern mit sieben seiner treuesten Ritter in einer Höhle schläft, von wo aus er dereinst wiederkehren soll.
Die Sure Al-Nadjm, „der Stern“, nennt Allah (Gott) den Herrn des Sirius (Sure 53:49).
Ursprünge und Deutung
Die Legende der Siebenschläfer könnte aber sehr wohl älter sein, als die christliche oder islamische Überlieferung. Wahrscheinlich liegen ihre Ursprünge im buddhistischen oder hinduistischen Kulturkreis. Vielleicht kam die Legende später durch die alt-persische Religion der arischen Zoroastrier in den Westen (vergl. Matthäus 2). Auch in Nordeuropa war die Geschichte schon lange bekannt, bevor man sie mit jenen sieben Heiligen assoziierte. In frühchristlicher Zeit erzählte man sie darum vielleicht einfach neu.
Wenn es in Sure 18:18 nun heißt, dass „sie auf die rechte Seite und auf die linke sich drehen“, lässt sich daraus ein astrales Geheimnis ablesen: das Wenden nach Rechts und Links steht für die Bewegung der Planeten. Sie sind eben keine Fixsterne, sondern bewegen sich von Rechts nach Links, das heißt, im Uhrzeigersinn durch den Tierkreis – eben genau so, wie die sieben Hauptgestirne (Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus und Saturn) über den Himmel.
Der Hund ist eindeutig assoziiert mit dem Hundsstern Sirius, fährt Sure 18:18 doch fort mit: „während ihr Hund seine Vorderpfoten auf der Schwelle ausstreckt“ – das heißt, der Hund bewegt sich hier nicht, ist also fix. Schon im Altertum erkannte man in Sirius den hellsten Fixstern am Nachthimmel und nannte ihn auch den „achten Planeten“.
Und er (Gott) ist es, der Herr des Sirius ist
– Sure 53: 49, Al Nadschm, Der Stern
Den alten Arabern galt der Sirius als Ursprung allen Glücks und Unglücks. Ähnliche Bedeutung maßen ihm auch die alten Ägypter zu. Nach langer Abwesenheit vom Nachthimmel, erwartete man sein Erscheinen sehnlichst. Denn mit seinem ersten Auftauchen vor Sonnenaufgang, begann die, für die alt-ägyptische Ackerbaukultur, so lebensnotwendige Nilschwemme, von der eben Glück und Unglück des gesamten Pharaonenstaates abhingen.
Sieben kosmische Urkräfte
Aus Perspektive dieser kosmischen Zusammenhänge, hat die Siebenschläferlegende gewiss auch eine hermetische Bedeutung: Das Oben entspricht dem Unteren, das Unten dem Oberen. Die makrokosmischen Geheimnisse der sieben klassischen Planeten und des Sirius am Himmel, äußern sich auf mikrokosmischer Ebene, im Mysterium der Siebenschläfer und ihrem Hund in der Höhle. Die sieben Sterne des Großen Bären bilden die spirituelle Oktave zu den sieben Planeten, während die sieben Planeten also die Oktave der Siebenschläfer sind. So stehen die Siebenschläfer, die sieben klassischen Planeten und die sieben Sterne des Großen Wagen, im Kraftstrom der sieben kosmischen Urkräfte.
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Als ich Ende Januar 2 Wochen
Als ich Ende Januar 2 Wochen in Sansibar verbrachte, hatte ich einen Koran dabei; mir viel auf wie oft darin von biblischen Personen die Rede ist; – ich fragte einen gleichaltrigen Einheimischen (Sansibars Bevölkerung ist zu 97% Muslim), wie sie den Koran verstehen können mit all diesen biblischen Geschichten! Seine Antwort war: „Ich und meine Freunde haben alle neben dem Koran auch eine Bibel zu Hause und lesen in beiden Büchern“! Seither lese ich jeden Tag früh am Morgen in der Bibel und im Koran je einen Abschnitt!