Jiddu Krishnamurti - ewigeweisheit.de

Wer war Jiddu Krishnamurti?

Viele spirituell gesinnte Menschen halten den aus Indien stammenden Jiddu Krishnamurti für einen der wichtigsten Weisheitslehrer des 20. Jahrhunderts. Seine lebenspraktischen Lehren nämlich behielten bis heute ihre Wichtigkeit, im Denken des Abendlandes.

Er selbst fühlte sich keiner religiösen, spirituellen Schule oder Weisheitstradition verpflichtet. Auch darum sucht man bei ihm vergeblich nach einer neuen Philosophie oder Weltanschauung. Eher glich das, worüber er in seinem Leben, oft vor einem Publikum von tausenden Menschen sprach, praktischen Unterweisungen. Er hatte erkannt, und damit vorausgesetzt, dass jedem Menschen die Fähigkeit gegeben ist sich weiterzuentwickeln. Darum sprach er in seinen Vorträgen eben über jene Dinge, die jeden von uns in seinem täglichen Leben betreffen.

Krishnamurti (1895-1986) kannte die Probleme der Menschen der modernen Gesellschaft, die geprägt sind von einem Verlangen nach Sicherheit. Menschen bedrückt heute eine innere Spannung. Und die resultiert wohl aus einer eigentlichen Angst des Menschen vor dem Leben an sich. Darauf versuchte Krishnamurti seine Zuhörer in seinen Reden anzusprechen.

Seinen Zuhörern vermittelte er dabei jedoch immer etwas weniger, als das sie sich von seinen Ansprachen erhofften. Denn die eine oder der andere, erwarteten da vielleicht eine neuartige Methode, mittels derer sie sich von ihren alltäglichen Sorgen und Ängsten befreien konnten. Was Krishnamurti jedoch vermittelte, basierte eher auf einer vollkommenen Einfachheit. Er sprach die Probleme des Menschseins direkt an und erschütterte dabei vielleicht auch mühsam errichtete Gedankengebäude des Intellekts vieler seiner Zuhörer. Manch einer mag seine Lehre darum gar als anarchisch und zerstörerisch empfunden haben. Seine vermeintlichen Angriffe aber zielten vielmehr auf die Fesseln ab, mit denen sich die Menschen an ihre vermeintliche Wahlfreiheit zu binden pflegten.

Der neue Weltlehrer?

Helena Petrovna Blavatsky (1831-1891), die Begründerin der modernen Theosophie, schrieb 1889 im Schlusswort ihres Buches »Der Schlüssel zur Theosophie«:

[…] abgesehen davon, dass eine große, allen zugängliche Literatur zur Verfügung steht, wird der nächste Impuls, eine große geeinte Gemeinschaft von Menschen vorfinden, die bereit sind, den neuen Fackelträger der Wahrheit willkommen zu heißen. Er wird das Denken der Menschen für seine Botschaft vorbereitet finden, eine geeignete Sprache, in die er die neue Wahrheit, die er bringt, kleiden kann, und eine Organisation, die seine Ankunft erwartet und die ihm die rein mechanischen materiellen Hindernisse und Schwierigkeiten aus dem Weg räumen wird.

– Helena P. Blavatsky in »Der Schlüssel zur Theosophie«, S. 214f

Wenn darin zu lesen ist von einem »nächsten Impuls«, der mit dem Auftreten eines »Fackelträgers der Wahrheit« eingeleitet werden sollte, meinte sie damit den kommenden Weltlehrer des Wassermannzeitalters: Maitreya. Die Mitglieder der Theosophischen Gesellschaft sollten ihm da den Weg bereiten, damit er seine Aufgabe, die Botschaft der Wahrheit zu verkünden, auch erfüllen kann. Das zumindest war die Sichtweise der Theosophen Annie Besant (1847-1933) und Charles Webster Leadbeater (1854-1934). Sie fühlten sich durchs Blavatskys Aussage in ihrem Buch dazu inspiriert, die baldige Ankunft Maitreyas selbst miterleben zu dürfen, am Ende aber selbst zu inszenieren.

Jiddu Krishnamurti mit Charles Webster Leadbeater - ewigeweisheit.de

Der junge Jiddu Krishnamurti (links) mit Charles Webster Leadbeater (rechts), um 1909.

Im Frühling 1909 traf Leadbeater am Privatstrand des Hauptquartiers der Theosophischen Gesellschaft in Adyar, Madras (heutiges Chennai in Indien), einen vierzehnjährigen Jungen. Es war der Sohn von Jiddu Narayaniah, einem südindischen Brahmanen aus dem Stamm der Telugu. Narayaniah arbeitete damals für die Theosophische Gesellschaft (Blavatsky hatte ihn im Jahr 1882 in die Theosophische Gesellschaft aufgenommen). Er lebte mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen (von denen der ältere der beiden eben Jiddu Krishnamurti war) neben dem Gelände der Theosophischen Gesellschaft.

Charles Webster Leadbeater nun, eine äußerst umstrittene Figur (später aus der Theosophischen Gesellschaft ausgeschlossen), dessen umfassendes, okkultes Wissen die Führung der Gesellschaft damals durchaus respektierte, kam zu der Überzeugung, dass der junge Krishnamurti ein geeigneter Kandidat für das Vehikel des Weltlehrers Maitreya darstelle. Er nahm Krishnamurti, wie auch seinen jüngeren Bruder Jiddu Nityananda, darum unter seine Fittiche. Ende 1909 nahm Annie Besant, damals Präsidentin der Theosophischen Gesellschaft, Krishnamurti und seinen Bruder in die Gesellschaft auf und adoptierte beide Jungen im März des folgenden Jahres. In diesem Jahr noch erklärte Annie Besant den jungen Krishnamurti zum kommenden »Weltlehrer«.

Zu Füßen des Meisters

Ende 1910 brachte die Theosophische Gesellschaft das erste Schriftwerk Krishnamurtis heraus, mit dem Titel »Zu Füßen des Meisters« – veröffentlicht unter dem Pseudonym »Alcyone«. Der junge Krishnamurti soll es bereits im Alter von 14 Jahren verfasst haben. In diesem Bucht bezieht er sich immer wieder auf »den Meister«, der laut legendärer Überlieferung eben jener gewesen ist, der auch auf Helena P. Blavatsky oder Alfred P. Sinnet, in ihrer schriftstellerischen Arbeit seinen Einfluss ausübte: der tibetische Meister Kuthumi. In seinem Vorwort zum Buch schrieb Jiddu Krishnamurti dazu:

Dies sind nicht meine Worte. Es sind die Worte des Meisters, der mich gelehrt hat.

Gemäß Aussagen Leadbeaters, erhielt der junge Krishnamurti in einem Zeitraum von etwa fünf Monaten, zwischen den Jahren 1909 und 1910, während er schlief, in einem mystischen Prozess eine spirituelle Unterweisung von Meister Kuthumi. Hieraus soll das Buch »Zu Füßen des Meisters« entstanden sein: Ein Buch das heute zu den spirituellen Klassikern der Weltliteratur zählt und über 100 Jahre (!) immer wieder neu aufgelegt wurde.

Drei Ordensgründungen

1911 dann gründete ein damaliger Redner auf den Kongressen der Theosophischen Gesellschaft in Adyar, George Arundale (1878-1945; ab 1933 selbst Präsident der Gesellschaft), den »Orden der aufgehenden Sonne« in Benares (heute Varanasi, Indien). Er gründete diesen Orden als Studiengruppe, eben wegen Krishnamurtis, oben genanntem Buch. Krishnamurti stand also im Mittelpunkt dieses Ordens. Bereits aber im Mai 1911 musste Besant diese von Arundale gegründete Studiengruppe und den damit verbundenen Orden, wieder auflösen, da durch ihr Fortbestehen es sonst wohl zu schwierigen Auseinandersetzungen in der Theosophischen Gesellschaft gekommen wäre.

Bereits aber im April 1911, hatte Besant den »Orden des Sterns im Osten« gegründet, mit Sitz in Benares. Der Name des Ordens entstand in Anlehnung an den Stern von Bethlehem, um damit das angekündigte Herannahen des Maitreya, der neuen Manifestation Christi, symbolisch anzudeuten.

Besant und Leadbeater sollten als Protektoren des neu gegründeten Ordens fungieren und wurden dazu offiziell von der Theosophischen Gesellschaft ernannt. Oberhaupt des Ordens aber wurde der damals gerade einmal 16 Jahre alte Jiddu Krishnamurti. Was sich in jenen Tagen über diesen Orden verbreitete, fand weite Beachtung in der Öffentlichkeit. Sogar die weltweite Presse schrieb darüber (darunter die New York Times, Los Angeles Times und andere). So hieß es etwa im März 1926 im amerikanischen Boston Daily Globe:

Unabhängig davon, ob man an diese ‚Wiederkehr Christi‘ glaubt oder nicht, zeigt die ganze Welt Interesse an dieser Frage. In vielen Fällen haben Vertreter orthodoxer religiöser Organisationen ihre Aufgeschlossenheit für diesen Glauben zum Ausdruck gebracht. […] Es gibt eine weit verbreitete Erwartung eines solchen Ereignisses, das sich über konfessionelle und religiöse und sogar nationale Grenzen hinwegsetzt […]

Die Haltung der Menschen in den Industrienationen damals, war geprägt von einem Schwanken zwischen Aufbruchsstimmung und gleichzeitig diffuser Zukunftsangst. Eben darum war es möglich, dass Menschen aus diesem Gefühl einer Endzeitstimmung, durchaus offen waren für solche Verlautbarungen (was im Übrigen ja auch in esoterischen Kreisen der Gegenwart wieder Thema zu sein scheint). Viele Menschen damals waren des Lebens überdrüssig, was bei manchen gar in eine Faszination vom Tod mündete.

Ziel des von Besant und Leadbeater gegründeten Ordens auf jeden Fall, war die Ankunft des Weltlehrers vorzubereiten, und dafür alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, was ihnen damals auch tatsächlich gelang. Denn bereits 1913 hatte der Orden des Sterns im Osten weltweit mehr als 15.000 Mitglieder, worunter die meisten auch der Theosophischen Gesellschaft angehörten.

Mit dem Erreichen seiner Volljährigkeit dann, begann Krishnamurti in mehreren Ländern Vorträge zu halten. Am 28. Dezember 1911, während einer Zeremonie, die Krishnamurti zum Abschluss der jährlichen theosophischen Konvention zelebrierte, wurden Berichten zufolge, die Anwesenden plötzlich von einem seltsamen Gefühl »ungeheurer Kraft« überwältigt. Sie schien durch Krishnamurti zu fließen und auf sie überzugehen. Leadbeater schrieb dazu:

Es erinnerte einen unwiderstehlich an den rauschenden, mächtigen Wind und die Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten. Die Spannung war enorm, und jeder im Raum war zutiefst betroffen.

Am nächsten Tag verkündete Besant auf einer Versammlung der Esoterischen Sektion der Theosophischen Gesellschaft zum ersten Mal, dass es nun offensichtlich sei, dass Krishnamurti tatsächlich der auserwählte Körper sei, in dem sich der Christus manifestiert hatte (der Name »Krishnamurti« bedeutet gemäß Hindu-Tradition »wiedergeborener Krishna«).

Annie Besant im Jahr 1922 - ewigeweisheit.de

Annie Besant im Jahr 1922.

Die Jahre nach 1912

In der folgenden Zeit kam es zu einigen Kontroversen. Krishnamurtis Vater Narayaniah, richtete sich im Jahr 1912, in einem vertraulichen Brief, an den damaligen Generalsekretär der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft, Rudolf Steiner (1861-1925). Darin schrieb er über seine Verstimmungen hinsichtlich dessen, was da mit seinem Sohn geschah. Er wollte auf keinen Fall, dass sein Sohn Krishnamurti (und dessen Bruder) in die Obhut Leadbeaters kam, worum er auch Annie Besant bat, doch seiner Bitte anscheinend nur unzureichend nachgekommen wurde. Auf jeden Fall war es die Entscheidung Rudolf Steiners, auch im selben Jahr noch die Abspaltung der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft von der Muttergesellschaft zu veranlassen. Doch schon etwas zuvor, hatten Anhänger Rudolf Steiners, im Jahr 1912 die Anthroposophische Gesellschaft gegründet.

Neun Jahre später, im Jahr 1921, fand der erste internationale Kongress des Ordens des Sterns des Ostens in Paris statt. 2.000, der damals weltweit etwa 30.000 Mitglieder, nahmen daran teil. Im folgenden Jahr 1922 hatte Krishnamurti, während eines mehrmonatigen Aufenthalts in Ojai (Kalifornien), eine Reihe spiritueller Erfahrungen. Seit dieser Zeit begannen Gerüchte zu kursieren, über seltsame Ereignisse unter den Mitgliedern des Ordens des Sterns im Osten. Diese Ereignisse von Ojai blieben außerhalb der theosophischen Führung allerdings unbekannt.

1926 zählte der Ordens des Sterns im Osten etwa 43.000 Mitglieder. Zwei Drittel davon gehörten auch der Theosophischen Gesellschaft an. Doch schon seit 1922 hatte sich Krishnamurti in seiner zugesprochenen Rolle als neuer Weltlehrer anscheinend nicht mehr wohlgefühlt. Ausschlaggebend dafür war, neben den genannten und anderen Kontroversen, dass sein jüngerer Bruder Nitya im November 1925 völlig unerwartet verstorben war.

Im Juni 1927 änderte man den Namen des Ordens des Sterns im Osten, da ihn die Mitglieder als nicht mehr zeitgemäß empfanden. Die Worte »im Osten« nämlich, deuteten auf einen »kommenden« Weltenlehrer hin. Doch die Tage der Erwartung waren ja vorbei, da Krishnamurti nun das irdische Vehikel geworden sei, durch das Maitreya spreche. Man änderte darum den Ordensnamen auf »Orden des Sterns«.

Zu den Gipfeln spiritueller Erkenntnis

Am 2. August 1929 dann löste Krishnamurti den für ihn gegründeten Orden des Sterns vor 3.000 Mitgliedern auf. Dieses Ereignis glich einem Erdbeben für die Theosophische Gesellschaft Adyar. Viele der mit dem Orden in Verbindung stehenden Menschen sahen sich um ihre Hoffnungen betrogen (folgende Zitate sind entnommen aus Krishnamurtis damaliger Rede):

Wir werden heute Morgen sprechen über die Auflösung des Ordens des Sterns. Einige Menschen werden darüber erfreut sein, andere eher traurig. Die Freude oder Trauer darüber soll uns hier aber nicht beschäftigen, denn es geht einzig um die Sache, die unvermeidbar ist. […] Ich behaupte, dass die Wahrheit ein pfadloses Land ist, und dass man sich ihr auf keinem Weg nähern kann, weder durch eine Religion noch durch eine Sekte. Das ist meine Meinung, und daran halte ich absolut und bedingungslos fest.

Krishnamurti erklärte den Mitgliedern des Ordens, dass die Wahrheit eben grenzenlos sei, und es keine Bedingungen gäbe die zu ihr führten. Gemeinschaften die sich darum aber bemühten Wahrheit zu organisieren, hätten alle die Erfahrung gemacht, wie unmöglich es in Wirklichkeit ist, Wahrheit als Glauben zu organisieren.

Da der Glaube eine ganz individuelle Sache ist, kann und soll man ihn nicht organisieren. Einmal organisiert, stirbt der Glaube und verliert seine Lebendigkeit. Er wird zu einem Dogma, einer Sekte oder einer Religion, die stets sich und ihren Weg den Menschen aufzwingt.

Auch wenn nicht von der Hand gewiesen werden kann, dass erst durch die Religionen Menschen zu einer Bewusstheit des Universalen fanden, hatte Krishnamurti darüber hinaus deutlich gemacht, dass das, was wir als »Göttliche Wahrheit« kennen, nicht aus himmlischen Gefilden auf die Erde heruntergeholt werden kann, sondern der Einzelne sich darum bemühen muss, selbst zur Wahrheit aufzusteigen.

Sie können den Berggipfel nicht ins Tal versetzen. Wer den Gipfel erreichen will, muss das Tal durchqueren, die Steilhänge erklimmen, ohne Angst vor den gefährlichen Abgründen.

Dieses Aufsteigen zu den Gipfeln spiritueller Erkenntnis und göttlicher Schau, so Krishnamurti, muss jeder Mensch in sich selbst erfahren. Er glaubte, das Leben selbst sei Gott, und jede Handlung manifestiere sich durch Gott. In dieser Erkenntnis erst vermag ein Mensch seine wahrhaftige Einzigartigkeit zu spüren, die ihm ein Fundament ist, worauf er aufbauen kann.

Wie aber soll das geschehen, wenn man sich in organisierte Gruppen flüchtet, die einem Anweisungen geben, wie man das Leben zu leben hat?

Krishnamurtis Kunst der einfachen Rede

Über all die vielen Jahre, seit seiner Jugend, in der man ihn ja bereits zum Weltlehrer ernannt hatte, vermochte Krishnamurti seine Zuhörer immer wieder daran zu erinnern, dass jeder zuerst einmal Mensch und so wie der Rest der Menschheit ist. Nichts unterscheidet einen Menschen in Wirklichkeit von einem anderen.

Was Krishnamurti den Menschen lehrte, ging dabei über menschengemachte Glaubenssysteme, nationalistische Weltanschauungen und Sektierertum weit hinaus. Seine Lehren gaben den Menschen auf ihrer Suche nach Wahrheit einen neuen Sinn, lenkten ihr Denken in eine neue Richtung, wobei das, was er lehrte, zeitlos war.

Krishnamurti lag nichts daran eine besondere Schule oder einen neuen Kult zu gründen. Niemals wollte er, dass man in ihm einen Guru sah. Seine Zuhörer bekamen von ihm anstelle dessen ein Gefühl frischer Direktheit. Er sprach nie belehrend, sondern ganz unmissverständlich, wie ein Freund zu seinen Freunden. Trotzdem versuchte er seinen Zuhörern dabei zu helfen, ihr Leben auf Erden zu ergründen. Und das gelang ihm auch, denn nicht zog er Schlüsse aus erlerntem Wissen, sondern aus seinen eigenen Einsichten, die er aus Lebenserfahrungen gewann. Auch wenn der Kern seiner Botschaft, über all die vielen Jahre unverändert blieb, vermochte er vielen Menschen zu helfen, sich ihres eigenen Lebens immer mehr bewusst zu werden.

Die Essenz seiner Lehren aber bildete kein Lernsystem, das viele Schritte umfasste oder eine Anleitung für ein besseres Leben gab. Man sollte vielmehr einfach anfangen, um schließlich einen Ort in sich selbst zu erreichen, den jeder erreichen kann, doch eben nur durch ein Leben an sich. Er wollte die Leute von allem befreien, was sich zwischen ihnen und ihrem Schöpfer befand. Er bot dem Leben seiner Zuhörer nicht noch mehr, mit dem sie sich beschäftigen sollten. Vielmehr lag ihm daran zu vermitteln, dass es eher darum ging, zuerst einmal zu erkennen was ihr Leben alles nicht ist, um daraus zu schlussfolgern was es letztendlich sein muss. Denn aus solch totaler Negation, erhält man eben die Essenz dessen, was positiv ist im Leben.

Nun, wie können wir dabei vorgehen? Ich glaube, es gibt nur einen Weg: durch Negation zum Positiven zu kommen; durch das Verstehen, was es nicht ist, herauszufinden, was es ist. Zu sehen, was man tatsächlich ist, und darüber hinauszugehen.

– Krishnamurti in einem öffentlichen Vortrag in Saanen (Schweiz), 16. Juli 1970

Solche und andere interessante Einfachheiten vermochte Krishnamurti in seinen Reden eben jedem einzelnen seiner Zuhörer direkt und persönlich zu vermitteln, wobei sich dabei wohl jeder fühlte, als würde Krishnamurti auf seine speziellen Probleme direkt eingehen. Seine Wortwahl vermochte bei jedem, besondere Lebensthemen anzusprechen, wobei er dabei jedoch nie versuchte seine Zuhörer für sich zu gewinnen, damit sie seinem eigenen Weg folgten. Im Gegenteil! Er nahm seine Zuhörer mit, jeden Einzelnen, und führte sie zu sich und ihren Themen.

Ich bin niemand. So einfach ist das. Ich bin niemand. Aber was wichtig ist, ist, wer Sie sind, was Sie sind.
– Jiddu Krishnamurti

Solcherart und andere Aussagen Krishnamurtis, ließen jedoch auch viele Menschen mit unbeantworteten Fragen zurück. Aber wie er eben sagte, war die Wahrheit ein pfadloses Land. Wichtig war ihm dabei, in seinen Reden den Menschen ein Vertrauen zu vermitteln, ein Vertrauen in ihr Leben. Er wusste eben, dass die meisten unserer Schwierigkeiten aus einer Angst vor dem Leben resultieren. Vertrauten wir aber dem Leben, so wie es ist, statt uns davor zu fürchten, würde es uns auch nicht verraten – nur wir selbst könnten uns verraten.

Jiddu Krishnamurti in den 1920er Jahren - ewigeweisheit.de

Jiddu Krishnamurti in den 1920er Jahren.

Über die Freiheit

Die Menschheitsgesellschaft war für Krishnamurti letztlich ein Produkt der Interaktionen von Individuen. Darum vertrat er die Ansicht, dass ein grundlegender Wandel in der Welt nur entstehen kann, wenn sich das Individuum dazu entschließt, aus freien Stücken, einen radikalen Wandel in sich selbst zu vollbringen. Stets betonte er die Notwendigkeit einer »Revolution«, doch keineswegs einer äußeren oder politischen, sondern einer von innen heraus entfesselten Wende – durch eine ganzheitliche Transformation des Menschen eigenen Bewusstseins.

Die meisten Menschen heute jedoch leben in einem ewigen Gestern, was ihre Erwartungen stets auf das ausrichtet, das sie bereits kennen. Und diese Haltung prägen vor allem die bildhaften Vorstellungen ihrer Anschauung von sich selbst und der Welt. Diese manifestieren sich in Symbolen und Überzeugungen von etwas: Da »bildet« man sich eine Meinung über, »macht sich ein Bild« von etwas.

Heute dominieren Bilder unser Bewusstsein in fast allen Lebensbereichen, tauchen in unserem Denken auf und beeinflussen unser tägliches Handeln. Oft sind es Vorstellungen, in denen solche Bilder auftauchen, aus denen viele unserer Probleme entstehen. Dann trennen solcherart Bilder sogar Menschen voneinander, da sie zu geistigen Konzepten werden, mit denen wir in die Welt blicken. Doch was wäre, wenn jeder Mensch einzigartig ist und sich eben nicht in Bilder und Schablonen irgendwelcher Voreingenommenheit einfügen lässt? Könnte sich der Mensch dann von seinen erworbenen, bildhaften Inhalten lösen? Würde er sich damit sogar von allem Äußerlichen, nur Vordergründigem entfernen?

Wohl gelänge ihm nach und nach, in sich eine Verbundenheit mit allen anderen Menschen zu erfahren. Und eben darin läge wahre Selbstbestimmung und nicht mehr die scheinbare »Freiheit der Wahl«, eine Freiheit sich eine Meinung zu »bilden« über dieses oder jenes, über seine Mitmenschen und über sich selbst.

Freiheit ist keine Reaktion auf irgendein altes Handeln oder eine gewesene Lebenshaltung, von der man sich löste. Je mehr ein Mensch sich Dinge, Haltungen und Verbindungen für sein Leben auserwählt, desto mehr Stränge binden ihn daran, was ihn dementsprechend unfrei macht. In wahre Freiheit hingegen begäbe sich einer, der einfach nur beobachtete, ohne in eine beabsichtigte Richtung zu schauen. Er hätte keine Angst mehr davor, für das was er tut, bestraft zu werden, wie er ebensowenig hoffen würde, dass jemand sein Tun belohnt.

Freiheit entbehrt einfach jeden Motivs, denn sie wird nicht erreicht am Ende eines angetreten Weges im Leben, sondern beginnt bereits mit dem ersten Schritt ihres Antritts. Und solch Beginn unserer Lebensreise kann jeden Tag, in diesem Moment von Neuem beginnen, indem man beobachtet, urteilsfrei, um dabei seine eigentlichen Unfreiheiten zu entlarven.

Was es heißt zu meditieren

Für viele bedeutet Meditation so etwas wie ein Mittel zur Beruhigung des Gedankenflusses. Krishnamurti hatte versucht seinen Schülern die Meditationspraxis als etwas nahezulegen, dass sie befähigen sollte sich von Wissen zu befreien und sogar ein Ende allen Wissens anzustreben, im Sinne einer Freiheit von Bekanntem.

Meditation ist darum kein Mittel zum Zweck, mit der man irgendwann ein Ziel erreicht – Erleuchtung oder Ähnliches – oder irgendwo ankommt, oder sein geistiges Dasein perfektioniert. Krishnamurti galt Meditation im Gegenteil dazu, als Ende allen Strebens, innerhalb des menschlichen Lebens, als eine Bewegung aus der Zeit heraus. Denn jeder Gedanke ist Zeit, da er entsteht aus unseren gemachten Erfahrungen und aus dem Wissen das wir erlernten. Und damit ist jeder Gedanke untrennbar mit der Vergangenheit und darum mit der Zeit verbunden. Für Krishnamurti aber war die Zeit der psychologische Feind des Menschen.

Des Menschen Handeln basiert auf Wissen und damit auf Zeit, so dass er anscheinend dazu tendiert, immer von der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen, doch dabei immer abhängig bleibt von Zeit. Wenn der Mensch jedoch die Bewegung seines eigenen Bewusstseins begreifen lernt, wird er die Trennung zwischen dem Denker und dem Gedanken, dem Beobachter und dem Beobachteten, dem Erfahrenden und der Erfahrung, erkennen. Dann wird ihm klar, dass diese gerade beschriebene Trennung eine Illusion ist und wird allmählich lernen, sein fragmentiertes Wesen zu einen und damit auch in sich eins zu werden. Dann gibt es nur noch reines Beobachten, was reine Erkenntnis ist, ohne jeden Schatten der Vergangenheit und damit getrennt von aller Illusion der Zeit. In solch zeitloser Einsicht erfährt der Meditierende dann eine entscheidende Veränderung seines Geistes. Dies ist der Anfang wahrer Meditation.

 

2 Kommentare
  1. Sehr geehrter Herr Oezkan,
    Sehr geehrter Herr Oezkan,
    danke für diesen wertvollen Beitrag über Jiddu Krishnamurti. Er beschreibt einen „Geistigen Wegweiser“, wie wir ihn uns wünschen – und wie wir sie auch im Westen hatten und noch haben. Dankbar bin ich über Ihren Hinweis auf die Verbindung von Vater Krishnamurti zu Rudolf Steiner. Wie verwantwortungsvoll! Die Konsequenzen, die Rudolf Steiner 1912 und Jiddu Krishnamurti 1929 zogen, zeigen die Wahrhaftigkeit dieser geistigen Lehrer. Die Tragik der neueren Theosophie um Blavatsky, Besant und Leadbeater war ihre fehlende Christus-Erkenntnis. Die Christologie von Rudolf Steiner mit seinen hohen geistigen Fähigkeiten könnte noch heute eine Lösung für die verwirrend-gespaltene Christenheit sein: So die Führenden in den Institutionen die Einsicht und den Verzicht auf eigene Machtpositionen aufbrächten…
    Herzlichen Dank und freundliche Grüße von Peter Götz

    1. Sehr geehrter Herr Götz,
      Sehr geehrter Herr Götz,

      was Sie schreiben trifft gut die Thematik der Theosophischen Gesellschaft, zu damaliger Zeit.
      Vielleicht lassen Sie uns darüber einmal austauschen, zum Beispiel am Telefon.

      Auf das, worauf Krishnamurti (Krishna-Christus-Analogie) hindeutete, war insbesondere die eigene Verantwortung, die jeder von uns aufzubringen vermag und das in dem gerade aufdämmernden neuen Zeitalter.
      Das ist wohl auch einziger Garant dafür, das die menschliche Spezies überlebt. Denn Wissen allein – und das ist ja was Geheimwissenschaft beinhaltet – wird in dieser nahenden Zeit immer weniger eine Rolle spielen. Oder sagen wir: Wissen wird sich wandeln (müssen), zu einem Erkennen, wie sich die Stärken der eigenen Lebensrolle, zum Wohle der Mitmenschen offerieren lassen.

      Wie sehen Sie das?

      Mit freundlichen Grüßen
      S. Levent Oezkan

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