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Ikhwan As-Safa: Die Brüder der Reinheit und Treuen Freunde

Zwischen dem 8. und dem 10. Jahrhundert, wirkte im irakischen Basra eine Bruderschaft muslimischer Eingeweihter. Basra war damals eine Stadt höchster Gelehrsamkeit, die die gesamte, damalige westliche Welt beeinflussen sollte. Die Mitglieder dieser aus dem Verborgenen wirkenden Bruderschaft aber, waren Asketen, die eine umfassende Enzyklopädie der Esoterik schufen, die nicht nur auf die Geheimbünde Europas ganz wesentlichen Einfluss ausüben sollte.

Die Angehörigen dieser Bruderschaft, bildeten eine Art Freimaurerloge, denn man war darum bemüht, das im inneren Kreis besprochene Wissen stets geheimzuhalten. Auch die in Deutschland entstandenen Rosenkreuzer-Logen, müssen in diesem Zusammenhang genannt werden, soll ihr legendärer Bruder C. R. ja mit eben genau dieser muslimischen Bruderschaft in Verbindung gestanden sein.

Im Kreise treu ergebener Gefährten

Der arabische Name dieser Bruderschaft lautet „Ikhwan As-Safa wa Khullan Al-Wafa wa Ahl Al-Damd wa Abna Al-Majd“, was frei übersetzt soviel bedeutet wie „Brüder der Reinheit und treuen Freunde, Menschen, die des Lobes wert sind, Söhne der Herrlichkeit“. Man nennt sie heute kurz die „Brüder der Reinheit“, einem Namen, der einer alten Legende entstammt.

Es ist die persische Dichtung „Kalilah wa Dimnah“, deren Titel sich aus den Namen der beiden Schakale zusammensetzt, Kalilah und Dimnah, die die Rahmenhandlung dieser Fabelsammlung bilden. Ihren Ursprung aber haben diese Fabeln eigentlich in der alten indischen Dichtung Panchatantra (wörtlich „Fünf Prinzipien“) aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., die aus der Feder des indischen Gelehrten Vishnu Sharma stammen. Sehr wahrscheinlich aber wurden diese Dichtungen aus einer mündlichen Tradition überliefert, die noch weit älter ist.

In der indischen Urfassung werden die beiden Schakale „Karataka und Damanaka“ genannt: der „entsetzlich Heulende und der Sieger“, die darin wohl für die menschlichen Eigenschaften von Pessimismus, Opferrolle und Zweifel auf der einen, sowie Optimismus, Vertrauen und Gelassenheit auf der anderen Seite stehen.

Die jüngere, arabische Version, die im 8. Jahrhundert in Basra, von dem persischen Autor Ibn al-Muqaffa (724-759) verfasst wurde, diente aber, wie auch die ursprünglich indische Fassung, nicht nur der Unterhaltung. Es waren vielmehr Lehrgedichte, die dem Zuhörer die fünf Prinzipien vom weisen Umgang mit anderen Menschen nahelegten: Über den Verlust von Freunden, das Gewinnen neuer Freunde, die Ursachen des Streits, die Trennung und schließlich die Vereinigung in Freundschaft.

Kalilah wa Dimnah

Im zweiten Abschnitt dieser Sammlung von Fabeln, die über das Gewinnen neuer Freunde spricht, ist die Rede von einer Taube, die mit ihren Freunden dem Netz eines Jägers entkommt. Diese Tiere nennt Ibn al-Muqaffa „Ikhwan As-Safa“: Die treuen Freunde. Und es war die Maus die ihnen half zu enfliehen. Sie nämlich war so gnädig an den Maschen des Jägernetzes so lange zu nagen, bis sich ihre Tierfreunde daraus befreien konnten. Von dieser Selbstlosigkeit der Maus war einer der treuen Freunde, eine Krähe, nun so beeindruckt, dass sie bald Freundin der Maus wurde. Ihr schlossen sich bald auch eine Schildkröte und eine Gazelle an, die zu jenen treuen Freunden der Taube gehörten. Die Gazelle aber wurde erneut eingefangen. Doch es dauerte nicht lange, bis ihr die Freunde zu Hilfe kamen und sie durch sie wieder befreit wurde. Wegen ihrer Langsamkeit nun aber wurde nun die Schildkröte gefangen. Die Gazelle aber bot sich dem Jäger als Köder an, damit die anderen treuen Freunde die Schildkröte wieder befreien konnten. Am Ende aber waren alle Tiere in Sicherheit.

Aus dieser Fabel also ging der Name „Ikwhan al-Safa“ hervor, da die Gruppe von Tieren, sich so eindrucksvoll umeinander kümmerten, frei von Selbstbezogenheit und Egoismus und daher eben „rein“.

König Dabshalim besucht den Brahmanen Bidpay – ewigeweisheit.de

Auf dieser persischen Miniatur sieht man den indischen Radscha Dabschalim (links), der den brahmanischen Eremiten Bidpay in seiner Höhle aufsucht, um von ihm das wahre Geheimnis hinter der Fabelsammlung Kalilah wa Dimnah zu erfahren. Jener Eremit aber zitiert dabei auch aus den islamischen Überlieferungen des Koran.

Heilige Zeremonien, ausgerichtet nach den Sternen

Jene Bruderschaft, die sich also nach dieser Fabel den Namen „Brüder der Reinheit und Treuen Freunde“ gab, trafen sich regelmäßig, an drei Nächten im Monat:

  • In der ersten Nacht, zu Anfang des Monats, hielt man gemeinsam Oratorien und gab persönlich Reden;
  • die zweite Nacht, die in der Mitte des Monats abgehalten wurde, beinhaltete Lesungen astronomischer und astrologischer Texte, unter freiem Sternenhimmel, wobei sich die Teilnehmer dem Polarstern zuwandten;
  • in der dritten Nacht schließlich betete man philosophische, metaphysische Hymnen (darunter das „Gebet von Platon“, das „Flehen von Idris“ oder die „geheimen Psalmen des Aristoteles“).

Wahrscheinlich aber feierten sie auch drei Jahresfeste:

  • zum Eintritt der Sonne in den Widder (Frühlingstagundnachtgleiche),
  • in den Krebs (Sommersonnenwende) und
  • den Eintritt der Sonne in die Waage (Herbsttagundnachtgleiche).

All das ereignete sich wohl ganz im Sinne der Weisen von Harran, jener Stadt in Mesopotamien (heute Türkei), die im 7. Jahrhundert Zentrum der Alchemie und Astronomie gewesen war.

Einweihungsgrade der Brüder der Reinheit

Die Bruderschaft gliederte sich in vier Grade (oder Klassen), die sich aus ihrem „Seelenstand“, dass heißt, aus ihrer moralischen Entwicklung und ihrem Alter ergaben:

  • Der „Handwerker“ begann mit frühestens 15 Jahren dem Orden beizutreten. Er sollte sich da in Frömmigkeit und Mitgefühl üben.
  • Der „politische Führer“ war jemand, der mindestens 30 Jahre alt sein musste, um so hohen Erfordernissen wie Großmut, Freundlichkeit und Zuverlässigkeit gerecht zu werden. Sie nannte man auch die „Guten und Ausgezeichneten“.
  • Jene die man die „Könige“ nannte, waren mindestens 40 Jahre alt und waren gewissermaßen Juristen, die sich in der Gesetzgebung auskannten und stets der Wahrheit gemäß handelnd, als „Ausgezeichnete und Edle“ bezeichnet wurden.
  • Alle die das 50. Lebensjahr vollendet hatten, durften den Kreis der „Propheten und Philosophen“ betreten, dem letzten und höchsten Rang der Brüder der Reinheit. Den Titel dieses Kreises trugen sie, da man von ihnen so hohe Maßstäbe verlangte, die sie zu Koryphäen machten und die, hätten sie in der Zeit von Sokrates, Jesus oder Muhammad gelebt, mit diesen wohl auch hätten verkehren dürfen.

Rasail Ikhwan As-Safa: Die Enzyklopädie der Brüder der Reinheit

Berühmt sind die Brüder der Reinheit heute vor allem für das gigantische Schriftwerk, dass sie hinterließen. In 52 Briefen geht es da um so Themen wie Mathematik, Musik, Magie, Naturwissenschaften, Psychologie und Religion, wie darin auch ganz alltägliche und gesellschaftliche Themen besprochen werden. Die Brüder der Reinheit versuchten darin die Kenntnisse der Muslime zu vereinigen, mit dem damaligen Kenntnisstand der westlichen Philosophie und Wissenschaften. So erhielt die islamische Kultur, von innen heraus (esoterisch), eine ganz neue intellektuelle Dimension.

In diesen Briefen, die in der Geschichte der arabischen Literatur einen hohen Rang einnehmen, konzentriert sich das Wissen sufischen Denkens, denn es heißt darin zum Beispiel:

Wisse, o Bruder, dass deine Seele möglicherweise ein Engel ist und in Wirklichkeit Eins werden kann, wenn du dem Weg der Propheten und der Meister der göttlichen Gesetze folgst.

– Aus dem Rasail Ikhwan As-Safa, 4. Buch

Die gesamte Schöpfung wird letztendlich zu Ihm (Allah) zurückkehren, da Er die Quelle ihrer Existenz, Substanz, Unsterblichkeit und Vollkommenheit ist.

– Aus dem Rasail Ikhwan As-Safa, 3. Buch

Im ersten Buch jener „Briefe der Brüder der Reinheit“, das sich mit der Mathematik befasst, sind vierzehn Briefe enthalten. Diese Schriften sind Abhandlungen in Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Geographie und Musik, wie auch Traktate über Logik und Analysis.

Das zweite Buch befasst sich mit Naturwissenschaften und enthält siebzehn Briefe über das Wesen von Materie und Form, über Erzeugung und Vernichtung der Dinge, über Metallurgie, Meteorologie, sowie Untersuchungen über das Wesen der Natur, worin Pflanzen und Tiere klassifiziert werden. Auch Fabeln werden darin besprochen.

Mit Psychologie befasst sich das dritte Buch dieser Enzyklopädie. Es umfasst zehn Briefe über die Wissenschaften der Seele und des Intellekts. Es geht darin um die Natur des Intellekts und des Verstandes, die Symbolik zeitlicher Zyklen, die Essenz dessen was Liebe ist, Auferstehung, Hermetik von Ursache und Wirkung.

Im vierten Buch geht es um die Theologie. Darin wird in elf Briefen die Vielfalt religiöser Sekten besprochen, die Eigenschaften echten Glaubens, die Natur göttlicher Gesetze, Politisches, doch auch das Wesen der Magie.

Identität der Brüder der Reinheit

Eine Reihe von Theorien kreist um die Autoren dieser vier Bücher. Einige Mitglieder der Ikhwan As-Safa sind heute jedoch bekannt. Zu ihnen zählte etwa der arabische Freidenker und Dichter Abul Ala Al-Maarri (973-1057). Er war jedoch jemand, der die Dogmen der Religionen seiner Zeit (Islam, Judentum, Christentum und Zoroastrismus) vehement ablehnte, ja sogar scharfe Kritik daran übte. Al-Maarri pflegte einen asketischen Lebensstil und war strikter Veganer. Wenn wir zuvor sagten, dass Ziel der Brüder der Reinheit eine intellektuelle Vereinigung des Wissens im Westen, mit den Weisheiten des Islam gewesen ist, so trifft das wohl zu auf Al-Maarri, dessen bekanntestes Werk „Sendschreiben über die Vergebung“ oft mit Dantes Göttlicher Komödie verglichen wurde.

Auch der islamische Theologe Ibn Ar-Rawandi (825–910) zählte zu den Mitgliedern der Ikhwan As-Safa. Man zählt ihn heute aber zu jenen, die man vielleicht als Gegener des Islam bezeichnen könnte. Und solch Betitelung hatte er sicherlich entsprochen, war die Vehemenz, mit der er gegen die Buchreligionen wetterte, doch wahrhaft ausgeprägt. Er prangerte Aberglauben und religiösen Dogmatismus gleichermaßen an, die stattdessen durch ein Recht auf Vernunft, gegen Traditionen, Gebräuche und Autorität, ersetzt werden sollten.

Wahrscheinlich war auch der berühmte persisch-islamische Theologe, Philosoph und Mystiker Al-Ghazali (1058-1111) von den Brüdern der Reinheit beeinflusst.

Offen bleibt jedoch, wer die anderen Mitglieder dieser Bruderschaft waren und wie viele ihr tatsächlich angehörten. Über sich selbst schrieben die Ikhwan As-Safa als  „Schläfer in der Höhle“ (Rasail Ikhwan As-Safa, 4. Buch) – Wissende also, die sich in die Verborgengeut zurück gezogen hatten. Ihr Verheimlichen hatte wohl seine guten Gründe, denn sie waren sich durchaus bewusst, dass ihre esoterischen Lehren hätten zu Unruhen führen können. Sie wussten um das große Unglück der Nachfolger des Propheten Mohammed (as), hatten also guten Grund aus dem Verborgenen heraus zu wirken und unerkannt zu bleiben – ein Bewusstsein das sogenannten „Esoterikern“ heute abhanden gekommen zu sein scheint.

 

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