bewusstsein

Über die Bewusstseinsentwicklung der Menschheit

Als sich die Menschheit noch in ihren Ursprüngen befand, in einer noch raum- und zeitlosen Welt, und das geistige Menschsein noch Symbole prägten, entstanden Dinge, die, wie im Schatten menschlicher Unbewusstheit ruhend, darauf warteten ihren Ausdruck zu entfalten.

Allmählich entstanden da aus der alten Seele der Urzeitmenschen die Dinge in der Welt, erhielten Räumlichkeit und Tiefe, stiegen daraus erscheinend hervor, wurden sichtbar. Das aber geschah erst Jahrtausende nachdem die Menschen, als sogenannte »Primitive«, ihre Höhlen verließen. Sehr viel später erst erfand der Mensch die »Perspektive«, womit er dem Raum ein Maß verlieh, worin er die Welt und darin sich selbst abbilden konnte.

Erst in der Renaissance, im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, entstand zum ersten Mal das, was man als »Ich-Empfinden« bezeichnen kann. Der Mensch erkannte sich im Raum, als Teil der Perspektive eines Anderen. Meistersinger und Troubadoure verwendeten auf einmal dieses Wort »Ich« in ihrer romantischen Poesie. Man begann da immer mehr Wert auf die eigene Individualisierung zu legen, sich damit aber gleichzeitig zu »entsachlichen«. Alles Übersinnliche zog sich da zurück in die Schichten des Unterbewussten.

Man gewann damals auch einen neuen Zugang zu dem, was man heute gewöhnlich »Zeit« nennt. Uhren stellte man zum ersten Mal im 13. Jahrhundert auf. Ab diesem Moment aber erhielt die Zeitwahrnehmung eine vollkommen andere Qualität. Zeit wurde metrisch und blieb nicht mehr nur zyklisch. Woran die Menschen im Sonnenlauf als Zeit gewöhnt waren, wo jeder Moment anders ist vom vorherigen, sollte von da an immer wenigeren erfahren werden, als stattdessen als Quantität gemessen und abgelesen zu werden.

Die im Tages- und Jahreslauf der Sonne ablaufenden, natürlichen Vorgänge abstrahierten immer weiter in ein Stunden- und Minutenmaß. Das konkrete Empfinden eines reinen Jetzt, wurde durch die Aufteilung in die Phasen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, aus dem Bewusstsein immer weiter verdrängt.

Die perspektivische Welt

Wie bereits angedeutet entwickelte man in der Renaissance die perspektivische Veranschaulichung des Raumes. Seit spätestens damals wurde das Auge zum Sinnesorgan mit der höchsten Bedeutung. Und damit einher ging die Entwicklung von Sehhilfen wie auch Mikroskopen und Teleskopen.

Bei alle dem empfand sich der Mensch immer mehr als Maß aller Dinge. Kein Zufall also, dass es in dieser Zeit auch zu einer Humanistischen Bewegung in Europa kam, deren zentrales Bestreben die Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten zum Ziel hatte.

Es war die Zeit in der das menschliche Ego entstand, wo das was man »die Seele« nennt, mehr und mehr ins Unterbewusstsein hinabsank. Während man in den Jahrhunderten zuvor noch ausgiebig über das Wesen der Seele nachsann und sich in einer Art »Seelengebäude« empfand, sollte das, wie es scheint, spätestens zur Wende in die Neuzeit in sich zusammenfallen.

Geblieben von dem was man damals Seele nannte, ist was sich nur noch auf medizinischer Sicht der modernen Psychologie verdichtete, zu einer rein materiellen Auffassung ihres Wesens.

Es war auch die Zeit in der ein Kopernikus die Erde als zuvor himmlischen Mittelpunkt, auf die Ränge von etwas Altem verfrachtete, und mit einer übergroßen Sonne als Zentrum der Welt, die Erde in die Beiläufigkeit absinken ließ.

Davor hatte Ptolemäus aus der Erdscheibe eine Kugel gemacht, was Christoph Kolumbus durch seine Reise nach Westen über das Meer etwas widersprüchlich bestätigen sollte. Doch es wurde aus der zweidimensionalen Sicht auf die Welt der Erdscheibe, eine Kugel in der Dreidimensionalität eines Planetensystems. Schließlich sollte durch Keplers astronomische Forschung über die elliptische Bewegung der Erde und der Planeten um die Sonne, das alte Weltbild endgültig einstürzen.

Interessant das zu dieser Zeit auch der Kolonialismus begann. Aber auch die allmähliche Zergliederung der Welt und der Gesellschaft setzte damals ein. Länder durchzogen Grenzen, Religionen trennten Konfessionen.

In dieser Zeit begann sich der Mensch im Raum wahrzunehmen, empfand sich »maßstabsgetreu« in die Welt gesetzt. Das war die Zeit eines Martin Luther und der Reformation des Christentums, wo es im christlichen Westen durch die Überlegenheit einzelner Nationen, gleichzeitig zu einer Aufteilung in unabhängige Staaten kam.

In diesem Verlauf veränderte sich natürlich auch das Bewusstsein des Menschen, dessen ursprünglich ganzheitliche Sicht auf die Welt, sich immer mehr zu einem Tunnelblick zusammenzog, wo das Werk des Einzelnen, wo Erfindungen und Spezialisierung, zu einer Aufsplittung des Miteinander führen sollten. Dabei blähte sich das Ego des Einzelnen anscheinend immer weiter auf und die Rechte der Persönlichkeit suchten nach Einhaltung, wenn auch als berechtigt wahrgenommen. So kam es auch zur Infragestellung dessen was Gott sei, woraus sich auch der Wunsch des Einzelnen nach Unabhängigkeit und Selbständigkeit entfaltete.

Je weiter sich also der den Menschen umgebende Raum ausdehnte, durch den Blick in die Ferne mit Ferngläsern und Teleskopen, desto mehr schien auch das Ego des Individuums danach zu gieren, nur für sich Platz einnehmen zu wollen. Nicht mehr das Persönliche bestimmte die Realität des Einzelnen, sondern immer mehr ein sachliches Empfinden. Man versuchte sich einem Außen anzugleichen, sich zu »normalisieren« an den gegebenen Maßstäben. Diese Entwicklung sollte zu dem führen, was man die »Moderne Welt« nennt.

In diesem Verlauf der Geschichte lösten sich die Erinnerungen an die Ursprünge immer weiter ab, durch ein Streben nach zukünftigem Fortschritt. Das Spähen in die Ferne machte eine Rückbesinnung, und das was Religion eigentlich ist, immer überflüssiger. Eine Vorstellung von Ursprüngen passte da einfach nicht mehr in das abstrakte Empfinden einer an Uhren abzählbaren Zeit, zumal einem Ursprung ja nie eine Vergangenheit vorausging.

Der Ursprung ist immer gegenwärtig. Er ist kein Anfang, denn aller Anfang ist zeitgebunden. Und die Gegenwart ist nicht das bloße Jetzt, das Heute oder der Augenblick. Sie ist nicht ein Zeitteil, sondern eine ganzheitliche Leistung, und damit auch immer ursprünglich.

– Jean Gebser im Vorwort zu seinem Buch »Ursprung und Gegenwart«

Die aperspektivische Welt

Allmählich entwickelte sich aus einer perspektivischen, räumlich bezogenen und visuellen Welt etwas, dass einen abstrakten, jedoch messbaren Zeitfaktor, in ein modernes, materialistisch geprägtes Bewusstsein integrierte. So konnte die Welt empfunden werden als etwas, worin sich das Ego eines Individuums in einer vierdimensionalen Welt der Raumzeit bewegt. Hier und Jetzt wurden messbare Größen.

Das ist das Bewusstsein des 20. Jahrhunderts, wo sich das zeitlich Abstrakte gar in einem räumlich Abstrakten manifestierte, insbesondere in der Kunst des Surrealismus. Da nämlich erhob man sich hinweg über die Begrenzungen dessen, was über die Jahrhunderte seit Beginn der Neuzeit, als perspektivisch abbildbarer Raum bewusst werden sollte. Nicht nur entwickelte da ein Albert Einstein seine Relativitätstheorie, Ernest Rutherford sein Atommodell oder Werner Heisenberg die Quantenmechanik; es entstand da auch eine neue, zeitgemäße Spiritualität.

Immer aber galt der Grundsatz, dass nichts Neues entdeckt oder erkannt werden kann, ohne dabei vom Alten auszugehen. Man musste also immer eine Quintessenz voraussetzten, auf die sich das Neue beziehen lässt, auch wenn das spätestens seit dem 20. Jahrhundert kaum noch geschehen war.

Geistige Mutationen

Ursprung einer jeden Gegenwart bildet ein spirituelles Selbst. Dieses Selbst wandelt sich, meist sprunghaft, im Laufe der Zeit in seiner Wesentlichkeit. Der Kulturphilosoph Jean Gebser (1905–1973), dessen Werk wir uns im Folgenden genauer ansehen wollen, sprach hier von »Mutationen der Entwicklung«. Etwas Neues wurde entdeckt oder durch kosmische Einflüsse notwendig, so dass es mit einer natürlichen Reaktion darauf, schier übergangslos zu neuen Entwicklungen kam.

In ihren Forschungen fanden Ende des 19. Jahrhunderts die Naturwissenschaftler Albert Michelson und Edward Morley, dass sich das Licht, nicht wie zuvor angenommen (etwa von Isaac Newton), unendlich schnell ausbreitet. Auch das Licht benötigt eine bestimmte Zeit um von seinem Ursprung, seiner Quelle aus, ein entferntes Objekt zu erreichen. Mit dieser Erkenntnis sollte sich natürlich die ganze bisherige Sichtweise auf die Realität ändern, ist es doch insbesondere das Licht, durch das der Mensch die Welt wahrnimmt und womit er eben das entwickelte, was wir als die »perspektivische Welt« oben einführten.

Auf Grundlage der Erkenntnis von der konstanten Ausbreitungsgeschwindigkeit von Lichtwellen, entwickelte Albert Einstein dann seine Theorie der Relativität, wo sich Raum, Zeit, Masse und Energie, immer relativ zum Beobachter verhalten, je nachdem wo sich er und das beobachtete Objekt gerade befinden, ob und wo sie sich bewegen.

Diese Feststellungen sollten einen ähnlichen Entwicklungssprung der Menschheit auslösen.

Zuvor aber ereigneten sich andere Mutationen des Bewusstseins, wie etwa die oben angedeutete, sich im Mittelalter offenbarende Erkenntnis des Heliozentrismus, mit der Sonne als Mittelpunkt der Welt.

Selbst aber wenn diese Erkenntnisse sich auf die physisch beschreibbare Natur der Dinge beziehen, sind sie doch auch spirituell in dem Sinne, als dass sich menschliches Bewusstsein auf einmal weit über das bisher Erkannte erhebt. Nur aber erfolgte das ganz und gar außerhalb eines linear messbaren Zeitempfindens, schlug es doch eine Bresche in den an Uhr und Kalender ablesbaren Größenordnungen – was insbesondere für Einsteins Relativitätstheorie zutrifft.

Bewusstseins-Mutationen sind Anfänge eines neuen Zeitabschnitts in der langen Entwicklungsgeschichte der Menschheit, wenn sie auch nur erfolgen können, da ihnen andere solcher Evolutionssprünge des menschlichen Geistes vorausgingen; etwas das seit eh und je präsent war und auch jetzt für immer in uns fortlebt.

Es geht dabei um die Vollendung eines Integrationsvorganges dessen was war, in das was ist: Etwas entfaltete sich, eine spirituelle Wirklichkeit wohnte diesem Vorgang einer Bewusstseinsmutation bei, das Ewige hatte teilgenommen an der Einleitung zu einer neuen Entwicklung.

Diese hier beschriebene Entwicklung hat aber weniger mit dem zu tun, was man unter Fortschritt versteht. Fortschritt ist immer eine Bewegung fort, weg von dem was ist, ein Entfernen vom Ursprung. Das aber trifft eben nicht zu auf das, was Gebser als »Mutation des Bewusstseins« beschrieb, ist der Entwicklungsschritt der Mutation doch eine Steigerung der bewussten Wahrnehmung von Dimensionalität. Wenn Einstein also eine Theorie entwickelte, die die Raumzeit relativierte, erweiterten sich die bis dahin vorausgesetzten vier Dimensionen (dreidimensionaler Raum plus eindimensionale Zeit) um eine weitere, fünfte Dimension.

Das Wesen des eigentlichen Ursprungs vom Bewusstsein aber schien damit weiter zu »verarmen«, da man sich von der ursprünglichen, ungeteilten Essenz des Seins erneut entfernte. Jean Gebser sah in dieser Erkenntnis aber auch eine Chance. Denn dies zu begreifen heißt, dass man die ultimativen Ursprünge in unserer Welt und auch in uns, zu einer Selbstverwirklichung bringen kann, um sie dabei in ihrer Eigentlichkeit zu erkennen. Denn diese Anfänge des Bewusstseins erhielten ihre Strukturen bereits während der Anfänge unserer planetarischen Menschheitskultur.

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