Wer sich ernsthaft mit der christlichen Mystik des 16. Jahrhunderts befasst, kommt unweigerlich in Kontakt mit dem Werk der spanischen Geistlichen Teresa von Ávila. Ihr nämlich war damals gelungen, die inneren Verbindungen zwischen Gott- und Selbsterkenntnis so gekonnt zu beschreiben, dass sie damit vielen Menschen, auch außerhalb der Kreise kirchlicher Gelehrsamkeit, zu positiveren Sichtweisen auf ihr Leben verhalf.
Teresa praktizierte, wie sie es nannte, ein »Inneres Beten«. Das war für sie ein
Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt.
– Aus ihrer Biografie »Buch meines Lebens« (1565)
Sie sah darin ein »Eingangstor« dass sich in ihr Inneres hin öffnete, worin sie in meditativer Andacht, in der Gegenwart Gottes verweilen konnte. Das bestand darin, dass sie in sich des Christus gewahr wurde und sich auf diese Weise intuitiv ihrem Allerheiligsten näherte, der, wie sie es nannte, Inneren Burg der Seele. In kontemplativer Übung kam sie so in Kontakt mit einer inneren Wahrheit, etwas, was ja in jedem Menschen gegenwärtig ist, doch bei den meisten noch darauf wartet entdeckt zu werden.
Hierfür schöpfte Teresa Weisheiten aus verschiedenen geistlichen und literarischen Traditionen ihrer Zeit, was sie zu regem Austausch brachte mit Menschen unterschiedlicher spiritueller Kreise ihrer Zeit.
Zwar greift ihre bildhafte Sprache vor allem Archetypen der christlichen Kultur auf. Doch dürften auch Texte aus dem mystischen Islam eine wichtige Rolle für sie gespielt haben. Da käme etwa in Frage das im 9. Jahrhundert entstandene »Maqamat Al-Qulub«, die »Wohnungen der Herzen«. Es ist das Buch des persischen Sufi-Heiligen Abu Al-Hasan Al-Nuri (840-908) der darin einen Weg durch eben solche spirituellen »Wohnungen im Herzen« beschreibt, wobei er seine dafür verwendete Herz-Metaphorik wohl auf die bewusst gewordene Seele eines Menschen bezog.
Auch ein Zeitgenosse Al-Nuris, der chorasanische Sufi Al-Hakim At-Tirmidhi (820-930) spricht in seinem Traktat »Gawr Al-Umur«, zu deutsch »Die Tiefe der Dinge«, von sieben strahlende Burgen:
Das äußere Herz ist die erste dieser Burgen – dieser Medinas aus Licht. Mit anderen Worten: das Licht hat sieben Medinas. Die erste Medina ist das äußere Herz; dann kommt das Gewissen, dann die äußere Umhüllung, dann das innere Herz, dann die innere Umhüllung, dann der Herzensgrund und endlich der Wesenskern des Herzens. […] Der Wesenskern des Herzens ist das innere Herz des Herzensgrundes, und dieser, der Wesenskern, ist die Quelle des Lichtes. Und diese ganze Struktur ist nach Art von sieben ineinander liegenden Medinas angeordnet.
Wir können also davon ausgehen, dass die Parallelen zwischen Teresas Werk und dem was aus dem Sufismus bekannt ist, über das hier besprochene Bild der Seelenburg, nicht ganz und gar rein zufällige Übereinstimmung waren. Aber auch wenn Teresa sehr wahrscheinlich das Bild von der »Inneren Burg der Seele« nicht neu erfand, war sie doch die erste, die es in aller Einzelheit ausarbeiten sollte, zur Weitergabe an die Ordensschwestern späterer, in Spanien entstehender Klöster.
Von der Klosterschwester zur Heiligen
Teresa kam 1515 im damals kastilischen Königreich zur Welt, in Ávila, einer Stadt der zentral gelegenen Hochebene des heutigen Spanien. Sie war das dritte Kind der Doña Beatriz de Ahumada (1495-1528), die aus einer berühmten kastilischen Adelsfamilie stammte. Ihr Vater war der Händler Alonso Sánchez de Cepeda (1471-1543), der einer jüdische Familie entstammte. Wie aber auch andere spanische Juden, zwang man ihn zum Christentum zu konvertieren. So also musste er dafür sorgen, dass seine jüdischen Wurzeln verheimlicht blieben, um nicht sein Standesrecht als Händler zu verlieren.
Als Teresa 13 Jahre alt war starb ihre Mutter. Sieben Jahre später verlies sie ihre Familie, um 1535 in das Kloster »Karmel von der Menschwerdung« einzutreten, was jedoch gegen den Willen ihres Vaters geschah.
Nachdem sie 1537 ihr Ordensgelübde ablegte, wurde Teresa ernsthaft krank. Zwar kann heute keine Diagnose mehr gestellt werden, doch litt sie sehr wahrscheinlich an Epilepsie. Auch gibt es Annahmen, dass sie immer wieder schwere Depressionen quälten. Ihr Zustand auf jeden Fall verschlechterte sich in den darauf folgenden zwei Jahren drastisch. Damals entglitt sie den Händen des Todes nur knapp. Für drei Jahre war sie, durch eine Art Lähmung, an ihr Bett gefesselt. Aber auch nach ihrer langsamen Genesung, wurde sie immer wieder von schweren, inneren Krankheiten heimgesucht.
Viele Jahre nach dieser Zeit, im Jahr 1554, erlebte sie eine außergewöhnliche, mystische Erfahrung. In kontemplativer Betrachtung versenkte sie ihre Aufmerksamkeit in ein besonderes Andachtsbild des leidenden Jesus, das man den »Schmerzensmann« nennt. Darin wird Jesus nicht tot am Kreuz, sondern lebendig und stehend, mit seinen Kreuzigungswunden und der Seitenwunde (Lanzenhieb) dargestellt. Es war diese Erfahrung die in ihr einen wichtigen seelischen Prozess einleitete, durch den sie eine innere Umkehr und Befreiung erfuhr, wovon sie später als den Beginn eines »neuen Lebens« sprach. Seit damals entwickelten sich ihre spirituellen Fähigkeiten, woraus ihr eine besondere Begabung zu religiöser Askese erwuchs, die sich bis zu ihrem Tod im Jahr 1582 (67 Jahre alt) immer weiter vervollkommnen sollte.
Zwei Jahr nach der eben geschilderten mystischen Erfahrung mit dem Bild des Schmerzensmannes, erfuhr sie an Ostern 1556 dann das, was sie später ihre »spirituelle Verlobung« nannte. Dieses und weitere wichtige Ereignisse in den Folgejahren, erschienen ihr als eine Hinführung zu dem, was sie im Jahr 1572 erfuhr: Ihre »Spirituelle Hochzeit«, die »Unio Mystika« mit Gott.
Auf dem Weg zum Tor der inneren Seelenburg
Was in Teresa von Ávila durch die angedeuteten mystischen Erfahrungen entstand, veranlasste sie in der Stadt Ávila zur Gründung einer neuen Ordensgemeinschaft, die sie die »Unbeschuhten Karmelitinnen« nannte. »Unbeschuht« deutet schlicht auf die Armut, Demut und Askese der Ordensschwestern hin.
In den folgenden sechzehn Jahren gründete sie weitere Nonnen- und Mönchsklöster. Damals begann auch ihr enges Zusammenwirken mit dem spanischen Mystiker Johannes vom Kreuz (1542-1591). Es war für Teresa eine besondere Zeit, in der sie den Gipfel ihrer Spiritualität erklimmen sollte. Sicherlich begünstigte das auch die zu dieser Zeit in Spanien besonders günstige gesellschaftliche Stimmung. Was jedoch einherging mit der damals rasanten kolonialistischen Expansion des Spanischen Königreichs, wenn auch Teresas kämpferischer Geist gänzlich spiritueller und nicht säkularer Natur war.
Im Jahr 1577 entstand dann das, dem wir unsere Betrachtungen im Folgenden widmen wollen: Teresas Buch mit dem Titel »Moradas del Castillo Interior«, die »Wohnungen der inneren Burg«. Wenn hier das Adjektiv »innen« mit anklingt, ist das ein wichtiger Hinweis auf das, worauf sich Teresa in diesem Buch im Wesentlichen bezieht: die Seele – weshalb manche Übersetzungen auch von der »Seelenburg« sprechen – einem Bild, das in Teresa schon viele Jahre lebendig war, bevor sie begann darüber zu schreiben. Vermutlich hatten sie auf ihrem mystischen Weg die Schriften eines Pseudo-Dionysius Areopagita inspiriert, einem namentlich nicht weiter bekannten christlichen Autor des 6. Jhd. n. Chr. Er nämlich beschreibt einen grundsätzlichen Stufenweg, auf dem ein Mensch zur Erleuchtung geführt werden kann, indem er zuerst eine
- Reinigungs- beziehungsweise Läuterungsphase durchläuft, die »Purgatio«,
- dann tatsächlich zu Erleuchtung finden kann, »Illuminatio«, um schließlich in der
- »Unio« die Einswerdung seiner Seele mit Gott erlebt.
Dieser dreistufige Weg diente Teresa als erstes Schema, woraus sie das mystische Bild ihrer Seelenburg entwickelte. Sie weitete es aus auf sieben, zu einem Zentrum hin geordnete Ebenen, die für sie die Wohnungen der Seele bilden. Sie beschreibt sie in ihrem Buch als archetypisch angelegte Erlebensräume, in denen sie, während ihres eigenen Entwicklungsprozesses, mystische Erfahrungen machte. Diese heilige Zahl Sieben stellt ja auch in anderen Geheimlehren der Welt die Anzahl der Stufen in Richtung Vollendung und Vollständigkeit dar. Hieraus entwickelte sie also ihren geistigen Reifungsweg, worauf sich einer bewegt zuerst durch vier äußere Wohnungen, die sie als die Stationen auch ihres Läuterungsprozesses beschreibt, den sie dann aber als Elemente zur Erleuchtung erfuhr, in den darüber liegenden drei inneren Wohnungen.
Die vier äußeren Wohnungen
Wenn Teresa das Sinnbild der Seelenburg beschreibt, will sie damit ihren Lesern nahelegen, sich in dieser mystischen Festung selbst zu erfahren – wo jedem, vor seinem inneren Auge, sein ganz eigener Seelenbau erscheint. Manch Suchender aber findet da nur in die Vorhöfe, denn Torwächter am Eingang zur Seelenburg halten ihn zurück, so, wie Teresa sagt
[…] als seien sie unfähig, in ihr Inneres einzutreten, weil sie die Gewohnheit, sich immer nur mit dem Ungeziefer und dem Viehzeug auf der Ringmauer abzugeben, schon fest im Griff hat […]
– Die Sieben Wohnungen der Seelenburg 1:1:6
Wer also überhaupt erst einmal das Tor zur Burg erreichen will, muss sich in innerem Gebet und Reflexion über sein Wesen als Mensch, frei gemacht haben von negativen Einflüssen, was Teresa als »Ungeziefer« bezeichnet. Ohne das bleibt jemand für immer im Außen, kann sich seinem Inneren nicht nähern. Und je weiter man damit vom Zentrum entfernt bleibt, entsprechend gefährdet ist sein Seelenleben, da man in tiefen Unmut hinabgedrängt wird, was einhergeht mit einer Tendenz, immer wieder neuen, nur weltlich-körperlichen Versuchungen zum Opfer zu fallen.
Es ist das, worin Teresa die Dunkelheit des Bösen sieht, das seinen finsteren Schatten auf die äußeren Wohnungen der Seelenburg wirft, so dass die eigentlich kristallklare, sonnenhafte Lichtquelle im Zentrum bedauerlicherweise unerkannt bleibt. Darum fordert Teresa den Leser ihres Buches dazu auf:
(die) Seele als eine gänzlich aus einem einzigen Diamanten oder sehr klaren Kristall bestehende Burg zu betrachten, in der es viele Gemächer gibt, so wie es im Himmel viele Wohnungen gibt […]
und schreibt dann weiter:
[…] richtet eure Augen auf die Mitte, die der Raum oder der Palast ist, wo der König weilt […] So gibt es auch um diesen Raum herum viele weitere und genauso über ihm, denn die Dinge der Seele muss man sich immer in Fülle und Weite und Größe vorstellen […]
[…] Es gibt […] viele Seelen, die sich im Wehrgang der Burg aufhalten, also dort, wo die Wächter sind, und denen nichts daran liegt, hineinzugehen […] weil es ihnen schon zur Gewohnheit geworden ist, sich immer nur mit dem Ungeziefer und dem Viehzeug auf der Ringmauer abzugeben […] dass eine solche Seele fast schon wie dieses geworden ist […] wenn […] (die Seele) in eine Todsünde (z. B. Stolz, Habsucht, Neid) fällt. Es gibt keine noch so düsteren Finsternisse und nichts so Dunkles und Schwarzes, dass das nicht noch viel schwärzer wäre.
– Die Sieben Wohnungen der Seelenburg 1:1:1, 1:2:8, 1:1:5f, 1:2:1
Jedoch: der Anblick der Burg könnte sich als strahlend und schön darbieten. Darum spricht Teresa über die Seelenburg als
orientalische Perle, diesen Baum des Lebens, der inmitten der lebendigen Wasser des Lebens, in Gott selbst, gepflanzt ist.
– Die Sieben Wohnungen der Seelenburg 1:2:1
Nur aber in demütiger Haltung und Öffnung hin zum »innerem Gebet« sei es einem überhaupt möglich, in die ersten Wohnungen der Selbsterkenntnis einzutreten. Jemand aber, der diese ersten Wohnungen der Inneren Burg betritt, wird, ganz ohne es zu bemerken, begleitet von schädlichen Wesenheiten, dem oben zitierten »Ungeziefer«. Es hindert ihn daran, des heiligen Leuchtens aus dem Palast des Königs gewahr zu werden. So verbirgt sich ihm alles Gute, dass davon ausgeht. Über den innersten Raum der Seelenburg nämlich schreibt Teresa, dass sich darin eine große Kostbarkeit in der Gegenwart des Königs befindet: Ein unzerstörbarer, reiner, leuchtender Diamant.
Die ersten Wohnungen der Burg, in die der Wehrgang führt, belauert also »Ungeziefer« und »Gewürm«: Metaphern die Teresa für die geistige Haltung von Menschen gebraucht, die allein die Annehmlichkeiten im Leben und das Vergnügen bevorzugen. Sie malt mit Hilfe dieser Sinnbilder die scharfen Grenzen auf, die die Gegensätze von Gutem und Bösem verdeutlichen sollen. Denn in der zweiten Wohnung will sie ihre Lesenden dazu bringen, das »giftige Zeug« (wieder also das »Ungeziefer«) sehr ernst zu nehmen. Sie will dem so Erfahrenden zu einem konsequenten Handeln verhelfen. Denn wenn uns da noch die rechte Entschlossenheit fehlt, können wir
nicht von den Gelegenheiten ablassen […] den Schlangen und dem giftigen Zeug zu entfliehen […] wenn wir noch in unseren Spielereien, Geschäften, Vergnügungen und in den Täuschungsmanövern der Welt stecken […]
[…] und die Tugenden haben noch nicht einmal das Laufen gelernt […]
– Die Sieben Wohnungen der Seelenburg 2:1:2, 2:1:7
Was Teresa hier andeutet ist etwas, das jedem auf dem Weg ins Innere der Burg widerfährt, doch mahnt sie zu unbedingter Beharrlichkeit, um nicht zurückzufallen (2:1:9).
In der dritten Wohnung beschreibt sie Menschen, die, wie sie meinen, sich schon lange genug in Tugendhaftigkeit übten um
[…] andere belehren zu können und mehr als Recht zu haben, wenn sie diese Dinge spüren.
– Die Sieben Wohnungen der Seelenburg 3:2:1
Sie aber erliegen laut Teresa einer schlimmen Täuschung. Denn wenn wir konkret weiterkommen wollen
Schauen wir auf unsere eigenen Fehler und lassen wir die fremden, denn es ist den so korrekten Leuten sehr eigen, sich über alles zu entsetzen […]
– Die Sieben Wohnungen der Seelenburg 3:2:13
Was Teresa zu den ersten drei Wohnungen der Seelenburg sagt, bedeutet ein aktives Bemühen darum, unser Bewusstsein nach innen zu kehren, um uns damit zu lösen, von einem im Außen suchenden, sinnesbegierigen Ich-Bewusstsein.
Beim Übergang zur vierten Wohnung dann verlagert sich der Schwerpunkt vom Ich in Richtung Selbst, wo sich Aspekte zu zeigen beginnen, die jenseits rein persönlicher Charakterstrukturen eine Rolle spielen – etwas also, das sich in seinem Erfahren bei Menschen im Allgemeinen ähnelt und somit eine besondere Ethik direkt erfahrbar macht, weil jetzt die Gottheit die Führung zu übernehmen beginnt, um darin den Lesenden in ein mystisches Erfahren zu führen.
Dabei ist die Seele womöglich ganz bei ihm (Gott) in den Wohnungen […] das Denken aber in den Außenbezirken der Burg, wo es unter tausend wilden und giftigen Bestien leidet und durch diese Leiden Verdienste sammelt. […]
– Die Sieben Wohnungen der Seelenburg 4:1:9
Um jetzt das Wesen des Geistlichen zu beschreiben, bedient sich Teresa einerseits einer Wasser- andererseits einer Duft-Metaphorik, wenn sie schreibt:
Sobald […] dieses himmlische Wasser aus […] der Tiefe hervorzuquellen beginnt, sieht es so aus, als dehne und weite sich […] unser ganzes Innere […] die Seele kann nicht […] verstehen was das ist […] Sie nimmt einen Duft wahr […] wie wenn es in jenem inneren Abgrund ein Kohlenbecken gäbe, auf das man duftendes Räucherwerk streute. Man sieht weder die Lichtglut, noch wo sie ist, aber die Wärme und der Duftrauch durchdringen die ganze Seele, und oft genug hat auch der Leib Anteil daran […] Das ist nämlich nicht etwas, was man sich vormachen kann […] oft gerade dann, wenn die Seele am achtlosesten ist.
– Die Sieben Wohnungen der Seelenburg 4:2:6, 4:2:9
Es geht hier vor Allem um ein passives Empfangen und kein aktives Tun, auch wenn beide nur eine dünne Linie trennt. Worauf sich Teresa in diesem Zusammenhang bezieht, ist die Fähigkeit eines Menschen, in sich zu bemerken, ob er durch seine wahren Seelenkräfte ein solches Empfangen wirklich erfährt oder ob es ihm nur die selbstüberschätzende Einbildungskraft seines Ego vorgaukelt. Nur wer diesen Unterschied in sich zu bemerken lernt, beginnt sich in wirklichen Austausch mit der Gottheit zu begeben und kommt dabei in Berührung mit den Wurzeln seiner Seele. In dessen Mitte nämlich soll sich später die »Unio Mystica« ereignen. Das erkennend, wird sich der Suchende einer inneren Kraft gewahr, die ihm ein Gefühl des Vertrauens verleiht, auf seinem weiteren Weg.
Die drei inneren Wohnungen
Hierauf nun beschreibt Teresa von Ávila den Weg in eine Richtung, auf dem sich der Reisende vorbereitet auf die nahende »Hieros Gamos«, die innere, heilige Hochzeit, wo es zur ersten wirklichen Begegnung mit dem zukünftigen »Gemahl« kommen soll, das heißt, zur Hochzeit mit der Gottheit. Teresa dazu:
Da sie (d. h. die Kräfte der Seele) hier alle für die Dinge der Welt und uns selbst ganz […] im Tiefschlaf liegen ([…] ist man wirklich gleichsam bewusstlos […]), ist es hier nicht nötig, das Denken mit einem Kunstgriff aufzuheben. […]
In diese Wohnung hier aber können sich die (giftigen) Eidechsen nicht (mehr) hineindrängen, mögen sie noch so wendig sein […]
– Die Sieben Wohnungen der Seelenburg 5:1:3, 5:1:5
Denn nun verschafft Gott dem Suchenden die Gewissheit, dass seine Seele aus diesem Zustand des Unbewussten erwachen kann. Allmählich nähert sie sich dabei ihrem göttlichen Gemahl, womit beide ein immer größeres Gefallen aneinander finden, wie es Teresa beschreibt. Da nämlich erinnert sich der seelische Funke an seine ursprüngliche Einheit mit Gott. In dieser Erfahrung wird ein Mensch quasi entrückt, in einen schnell vorübergehenden Zustand völligen Losgelassenseins. Mittels einer schönen Metapher versucht Teresa diesen Vorgang zu verdeutlichen:
Die Raupe […] verendet, während aus eben dieser Hülle (also dem Kokon) ein winziger, sehr anmutiger, weißer Schmetterling ausschlüpft.
– Die Sieben Wohnungen der Seelenburg 5:2:2
Was sie damit versinnbildlicht, meint die in der fünften Wohnung vollzogene Wandlung vom Ich, der erdgebundenen Raupe, ins Selbst, dem dann ins Freie entschlüpften Schmetterling, der sich allein am goldenen Licht der Sonne orientiert. Er steht allegorisch für den Gläubigen der sich nach der höchsten Gottheit hin ausrichtet (etwas, das Menschen schon vor 3.000 Jahren im Alten Ägypten als einen latenten Monotheismus probten, in der Anbetung der Sonnenscheibe Aton).
Jedenfalls will sich der besagte Falter dem Licht der Sonne immer weiter nähern, um darin zu verbrennen und so schließlich seine endgültige Metamorphose zu erfahren. Worauf Teresa von Ávila damit anspielt, dem begegnen wir auch in Goethes West-östlichem Diwan, in dem Gedicht »Selige Sehnsucht«:
Nicht mehr bleibest du umfangen
In der Finsternis Beschattung,
Und dich reißet neu Verlangen
Auf zu höherer Begattung.
Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du Schmetterling verbrannt.
Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.
Mit dem »Verbrennen des Schmetterlings«, was das »Sterben und Werden« der Seele allegorisiert, öffnete das Tor in die siebte Wohnung und führte die Seele damit auf den Weg zu ihrer vollkommenen Vereinigung mit ihrem Ursprung – mit Gott.
Wenn es nun einem Menschen gelingt, seine Sinneswahrnehmungen durch vollkommene innere Einkehr, vorübergehend außer Kraft zu setzen, vermag seine Seele den Weg durch das Tor von der sechsten in die siebte Wohnung der inneren Burg zu durchschreiten. Da dann endlich öffnen sich die Augen seiner Seele, wie Teresa sagt, um sich intuitiv den dafür wichtigen Visionen gewahr zu werden – etwas, das sich abspielt zwischen tiefstem Schmerz und höchster Wonne, wo
[…] die Seele von der Liebe ihres Bräutigams (Gott) bereits verwundet (ist) […]
– Die Sieben Wohnungen der Seelenburg 6:1:1
»Verwundet« meint hier jedoch die Entzündung eines magischen inneren Feuers, dass einen Menschen dann zu höchster Ekstase verzückt, wobei er dem wahren Wesen seiner Seele begegnet.
bei dem (König) des Himmels sage ich euch, dass es dazu mehr Mut braucht, als ihr meint; denn für ein so großes Unterfangen ist unsere Natur sehr verschüchtert und unzugänglich. So bin ich überzeugt, dass es unmöglich wäre, wenn Gott diesen Mut nicht gäbe […] soweit ich es verstehe, muss das dann sein, wenn er Verzückungen gewährt (der Seele), wodurch er sie ihren Sinnen entreißt […]
Und mit gewaltigem Ungestüm schießt eine so mächtige Woge empor, dass das Schifflein unserer Seele in die Höhe getrieben wird. Und so wie weder ein Schiff noch sein Steuermann oder alle anderen, die es lenken, imstande sind, es dort zu halten, wo sie möchten, wenn die Wogen wütend anrollen, so kann das Innere der Seele noch viel weniger dort bleiben, wo sie möchte, noch durchsetzen, dass ihre Sinne und Seelenvermögen mehr tun als ihnen befohlen wird, denn das Äußere lässt sich hier davon nicht beeindrucken.
[…] allein beim Aufschreiben versetzt es mich ins Staunen, wie sehr sich hier die große Macht dieses großen Königs und Herrschers zeigt.
– Die Sieben Wohnungen der Seelenburg 6:4:2, 6:5:3f
Beim Übergang von der sechsten in die siebte Wohnung der inneren Seelenburg befiehlt der Bräutigam (das ist Gott), alle Türen und Tore zu den Wohnungen zu schließen, auch jene der Burg und ihrer Ringmauern. Damit, so Teresa, entzieht Gott der Seele den Atem, damit sie außerstande sei zu reden. Dann wird der besagte Seelen-Schmetterling sich ins Liebesfeuer stürzen, um darin zu sterben und eins zu werden mit seinem göttlichen Bräutigam.
Hiermit also beschreibt Teresa, dass der Seelen-Schmetterling viel größere Leiden zu ertragen hat, als dem »Ich« je zu ertragen möglich wäre. Und doch bleiben ihre dabei beschriebenen ekstatischen Zustände dennoch nur ein Vorstadium. Die eigentliche Unio Mystica, die zur vollkommenen Verwandlung führende mystische Vereinigung der Seele mit Gott, wird erst in der innersten Wohnung zur Vollendung gebracht. Und das ist eben die siebte Wohnung, in der es endlich zur »geistlichen Vermählung« kommen wird.
das ist der Ort, wo der kleine Schmetterling […] stirbt, und das mit überaus großer Freude, da sein Leben nun bereits in Christus ist.
– Die Sieben Wohnungen der Seelenburg 7:2:5
Gott zeigt sich von da an nicht mehr in bildhafter Vision, sondern wird von der Seele in »erhabener Verstandesschau« erblickt, wie es Teresa beschreibt. Sie verwendet dafür die Allegorie eines Regentropfens der vom Himmel in einen Fluss fällt und so mit ihm eins geworden, sich aus seinem Wasser ja nicht mehr trennen lässt. Der Seelen-Schmetterling brachte damit den Zweck seiner mystischen Reise zur Erfüllung.
Aus dem Ei, einem Sinnbild für den Urzustand der Prima Materia (Urmaterie), begann zu keimen das, was sich zur wurmähnlichen Raupe entwickelte. Sie erfuhr daraufhin ihre schutzbedürftige Verpuppung und Metamorphose, aus der dann einem Schmetterling die Befreiung gelingt, um dem Licht der Sonne (Gott) entgegenzufliegen – als Symbol vollkommener Lebendigkeit. Doch gleichzeitig nähert er sich so auch einer Gefahr, wenn er seine zarte Körperlichkeit dem brennenden Licht der Sonne aussetzt.
All das eben Gesagte ist ein Gleichnis, um daraus eine Licht und Schatten verkörpernde Ebenbildlichkeit zu erschaffen, wie eben auch zwischen Gott und dem Menschen. Denn so gelingt Gott sein Bild als Spiegelung in den Archetypus des Selbst eines Menschen einzuschreiben (C. G. Jung).
Die Heilige Vereinigung von Gegensätzen
In der Hebräischen Bibel begegnen wir der Metapher der ehelichen Beziehung zwischen JHVH und der Schechina, zwischen dem göttlichen Herrn und seinem Volk. Im 5. Kapitel des Hohelied Salomos lesen wir dazu:
[…] liebe Braut, ich bin gekommen in meinen Garten.
– Hohelied 5:1
wobei hier der Garten das irdische Paradies meint und die Braut die Gläubigen, die sich darin in Erwartung versammeln. Verschiedene andere Verse des Hohelieds aber scheinen ganz explizite Bilder sinnlicher Körperlichkeit zu beschreiben, so dass manche gar von einem erotischen Buch sprechen. Erotik meint hier aber zuerst einmal das, was ihr Namensgeber, also der alt-griechische Gott Eros, seiner mythischen Bedeutung nach ist. Die alten Orphiker verehrten ihn im Symbol einer Schlange, die die beiden Hälften des kosmischen Eis aus dem sie schlüpfte – eine obere himmlische und eine untere irdische –, seitdem wieder zu vereinigen sucht. Und das ist gewiss auch ein Charakteristikum, das sich uns im Bild von der Seele vorstellt, deren Aufgabe zu sein scheint, den irdisch inkarnierten Menschen mit dem Himmlisch-Göttlichen symbolisch zu verbinden.
Aus Perspektive einer jüdischen Esoterik aber meint solch Allegorie die Manifestation des göttlichen Funkens, in der im Menschen einwohnenden Seele, die ihrer wahren Rolle gemäß, allein Gott ähnlich zu werden versucht, ist doch Gott ihrer und der Ursprung aller Seelen. Man könnte auch von einer Geburt Gottes im Grund der Seele sprechen, eingeleitet durch den göttlichen Logos, dessen magnetisches Wirken die Seele eines Gläubigen anzieht.
Wenn wir also den zuvor benutzten Eros-Begriff in Kontext eines Gottesglaubens hier neu zu deuten versuchen, geht es dabei nicht um ein ich-bezogenes Verlangen, sondern um die Sehnsucht des Mystikers, sich Gott ganz und gar hinzugeben. Man könnte darum auch sagen, dass das, was im Hohelied Salomos gewöhnlich mit Sexualität assoziiert wird, eine »Religion der Mystik« ist, die Menschen nach außen hin verborgen, doch ebenso wie den Liebesakt im Geheimen vollziehen.
Mystik und Alchemie
Wenn wir bei Teresa von Ávila über die inneren Wohnungen der Seelenburg lesen, konnten wir sehen, dass diese keineswegs starr anmutende innere Behältnisse sind. Sie bilden vielmehr ein intuitiv, im Geiste gezeichnetes Bild, das gleichsam einen »Gebärraum« entstehen lässt, aus dem jemand, sich seines göttlichen Ursprungs bewusst geworden, die Entbindung seines wahren Selbst vollziehen kann und sich damit allem Dunkel der Unwissenheit entledigt.
Dabei weist die Metaphorik von der innersten Wohnung hin auf einen in jedem Menschen enthaltenen Schatz, der ihn seine individuell veranlagten Begabungen erkennen und zum Wohle aller anwenden lässt. Doch jemand erreicht diesen geheimen Ort in sich nur, der eine Konfrontation mit dem eigenen Unbewussten wagt, um seine Schattenanteile zu finden – durch eine intensive und rückhaltlose Form der Introspektion.
Die Allegorik der Alchemie erscheint mir als ein geeignetes Werkzeug, um die Stationen dieses, vor allem mystischen Prozesses noch näher zu veranschaulichen. Man könnte damit nämlich das »Böse«, was mit dem besagten »Getier« und »Ungeziefer« in unser Leben kommt, das heißt also die Schattenanteile die das Selbst verdunkeln, identifizieren mit der alchemistischen »Nigredo«, der Schwärzung, der ersten Phase bei der Bereitung des Steins der Weisen. Durch demütiges Bemühen kann es dann zum »Sterben« des Alten kommen, was Alchemisten als die »Putrefactio« bezeichnen, die »Fäulung« und damit Auflösung aller Verschalungen, Hüllen und Verdunkelungs-Aspekte. Nach einer darauf folgenden Läuterungsphase, klärt sich entsprechend das Bewusstsein, so dass das besagte Ungeziefer an einem keine Angriffspunkte mehr findet. Damit erst ist eine Wiedergeburt in ein neu erstarkendes Ich-Bewusstsein machbar, dass ein »Durchlässiger-Werden« ermöglicht, wodurch sich die wahre Gestalt eines Menschen Selbst zu zeigen beginnt. Es ist das, was laut Teresa einen Ruhepol schafft, für Denken und Vorstellungskraft, ein Fundament für wahre Fortentwicklung.
Ab hier dann nämlich hat sich jemand in die vierte Wohnung seiner Seelenburg begeben. Da beginnt das wahre Selbst eines Menschen zunehmend die Führung zu übernehmen. In der Symbolsprache der Alchemie entspräche das der »Albedo«, der Weißung, womit alle dunklen, alten Widrigkeiten abgewaschen wurden. Erst da beginnt das Numinose, Ehrfurchtgebietende des göttlichen Selbst, aus einem Menschen hervorzuschimmern.
Um ab diesem Stadium sich weiterzuentwickeln, bedarf es jedoch außerordentlicher Kraft. Zuerst muss da begonnen werden mit einem freiwilligen Ersterbenlassen allen egozentrierten Denkens, Empfindens und Handelns. Da tritt einer ein, in die Phase veränderter Bewusstseinszustände, die ihn allmählich alle Getrenntheit vom Göttlichen überwinden lassen, wo jemand beginnt zu erkennen, dass sein Selbst seinen Erleuchtungszustand erfahren hat – das heißt, sowohl ein vollkommenes Bewusstsein der eigenen Innenwelt erlangt wurde, als auch ein damit einhergehender Wunsch, sich seinen Mitmenschen im Außen, in liebevollem Tun zuzuwenden.