Meister Eckhart - ewigeweisheit.de

Ein Lebemeister und Lehrmeister der Spiritualität: Meister Eckhart

Man nannte ihn das Genie der deutschen Mystik: Meister Eckhart von Hochheim. Er erfüllte tatsächlich seine Rolle im Leben, der er in seinen berühmten Reden der Unterweisung auch entspricht. Wer zum ersten Mal mit ihm in Berührung kommt, wird schnell Feuer fangen. Kein Wunder, stillte er doch die Bedürfnisse seiner Zeitgenossen, die sich nach Lebensweisheit und Erkenntnis sehnten.

Zu Meister Eckharts Lebzeiten, befand sich Deutschland in einer Zeit des Umbruchs. Die Kirche bedrohten sektiererische Bestrebungen. Vielerorts riefen die Menschen nach Reformen. Eckharts Zeitgenossen waren den reinen Dogmen- und Moralpredigten der Kirche, längst überdrüssig. Das alte Glaubenssystem der Kirche galt im Spätmittelalter als überholt. Eher wünschte man sich eine vielmehr unmittelbare religiöse Erfahrung des Gotteswortes – etwas, dass sich auch im alltäglichen Umgang mit sich selbst, den Anderen und der Welt, direkt und trefflich anwenden ließe.

In dieser Zeit erfuhr auch die deutsche Mystik eine neue Blüte. Breite Schichten des Volkes sehnten sich nach göttlichem Heil, nach einem »Innewerden Gottes in der eigenen Brust«, im Erlebnis der Unio Mystica – der spirituellen Einswerdung, wo sich, in einer »Mystischen Hochzeit«, die menschliche Seele gleichsam mit Gott vermähle.

Besonders Frauen der höheren Gesellschaftsschicht, besaßen eine regelrechte Sucht nach religiös-mystischer Unterweisung und spiritueller Vision. Ihr fast unstillbarer Bildungshunger, ließ dominikanische Frauenklöster darum wie Pilze aus dem Boden schießen.

Die bezaubernde Mystik eines beinahe Unbekannten

Wenn Meister Eckhart dieses Begehren der Menschen, aber so gekonnt zu stillen vermochte, wer dann war dieser sagenhafte Mann?

Dazu existieren heute nur wenig äußere Daten, noch sind Bilder von ihm bekannt (das im Internet am weitesten verbreitete Bild, das angeblich Meister Eckhart in schwarzer Robe, Mütze und weißer Lilie haltend darstellt, ist in Wirklichkeit ein Gemälde von Giovanni Bellini, auf dem man Teodoro von Urbino sieht). Sein Leben lässt sich darum nur mit dürftigen Strichen zeichnen. Wenn man über sein äußeres Leben erfahren will, ist man darum auf nur spärliche Notizen angewiesen.

Eckhart kam um 1260 in der Nähe von Gotha in Thüringen, als Sohn des Rittergeschlechts von Hochheim zur Welt. Schon früh trat er dem Erfurter dominikanischen Predigerorden bei. Bald schon erkannten die Mitglieder seine außergewöhnliche Begabung zur Rede. Und so entsandte man ihn um 1300 schließlich an die Universität Paris – in jene Stadt, die einst die geistige Metropole des damaligen Abendlandes war.

Schon 1303 kehrte Eckhart mit einem Magister-Titel nach Erfurt zurück, wo man ihn nun zum »Meister« wählte – einem Titel, mit dem man ihn seither ansprach. In den Folgejahren wurde Meister Eckhart mit hohen Ämtern betraut, die in den kommenden beiden Jahrzehnten seine Verantwortlichkeiten über die Geografie Böhmens, bis in den Elsaß hin ausdehnten.

Mit den Schriften, die Meister Eckhart hinterlassen hat, gelingt es ihm, ganz deutlich das Verhältnis von Denken, Sein und Leben zu bestimmen. Fragen nach dem, was nun Wirklichkeit sei, beantwortete Eckhart damit, dass das Sein keine besondere Weise benötige, um zu existieren. Das galt für ihn auch für das Leben im Allgemeinen. Es mag manchen sicherlich wie eine Unterstellung oder gar als Widerspruch erscheinen, doch ich fragte mich, ob wohl auch die französischen Existenzialisten Eckharts Schriften lasen? Selbst wenn sich ihre Vertreter als Atheisten bezeichneten, klingt bei ihnen eine ähnliche Selbstverständlichkeit an, die schon Jahrhunderte zuvor, Meister Eckhart für das Leben eines Menschen voraussetzte.

Auch wenn er heute zu den wohl am meisten zitierten »christlichen Mystikern« zählt, lässt sich nicht vermeiden, den Begriff »Mystik« an sich, sogar von Meister Eckhart her abzuleiten – war er doch nicht etwa irgendein Mystiker gewesen, sondern selbst das (deutsche) Original.

Zentraler Sinn seines Werkes, war die Wahrheit des Evangeliums hervorzutreiben und in diesem Sinne, seinen Mitmenschen praktisch fruchtbar zu machen. Das bedeutet, dass Eckhart die christliche Mystik aus den Formen der Aristokratie herausführte, die ja noch etwa bei Bernhard von Clairvaux (1090–1153) so hoch gepriesen wurde. Eckhart hingegen richtete seine Predigten und Traktate an jedermann, bot jedem an der dazu bereit war, geglaubte Wahrheit in sich Wirklichkeit werden zu lassen.

Ein Freigeist

Es schien das, fast schon eine Grunderwartung der Menschen in Deutschland gewesen zu sein, denn nicht zufällig rumorte es im dortigen Christentum gewaltig. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts, wimmelte es in Deutschland von »ketzerischen« Bewegungen und Sekten. Was als Religion empfunden wurde, war nicht mehr allein das, was die Prediger von den Kirchenkanzeln riefen. Religion wurde als etwas erkannt, das vielmehr in jedem Menschen als Christentum lebendig ist. In dieser Zeit entstanden etwa die Lehren von einem inneren Himmel, der im ewigen Leben in der Zeit, aus einem reinen, wesenseigenen Gott heraus existiert.

In diesem Zusammenhang stand auch das Werk Meister Eckharts. Man könnte sogar sagen, dass er in dieser Zeit zum geistigen Brennpunkt wurde, wo alle Strahlen diesen neuen, mystischen, doch von der Kirche als häretisch eingestuften, christlichen Strömungen, in seinem Wirken zusammenliefen.

Es war auch die Zeit, wo in mehreren europäischen Ländern die Glaubensgruppe der »Brüder und Schwestern vom freien Geiste« eine pantheistische Theologie verbreitete. Grundlage ihrer theologischen Ideale war, dass der Mensch eben nicht von Gott isoliert im Exil auf Erden lebte, sondern man wusste, dass Gott in allen Dingen der Welt entdeckt werden kann, und damit Gott und Kosmos auch identisch sind.

Diese Glaubensgruppe bezog ihren Namen aus dem Bibelwort:

Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit

– 2. Korinther 3:17

Allerdings kann man bei den Brüdern und Schwestern vom freien Geiste, nicht von einer einheitlich organisierten Sekte ausgehen. Eher war es ein lockerer Verband rechtgläubiger Menschen, die vielmehr versuchte, die Individualisierung der Beziehung von Mensch zu Gott in ihren Lehren zu intensivieren.

Welche Rolle aber spielte dann noch die katholische Kirche? Diese Fragen dürften sich im 14. Jahrhundert wohl etliche deutsche Geistliche gestellt haben. Darum scheint es wohl kein Zufall gewesen zu sein, dass sich solche Gruppierungen wie die Brüder und Schwestern vom freien Geiste, der Verfolgung ausgesetzt sahen. Schon ab dem 15. Jahrhundert war diese spirituelle Bewegung wie vom Erdboden verschwunden.

Im Fadenkreuz der Inquisition

Die Katholische Kirche verdächtigte natürlich auch Meister Eckhart wegen »häretischer Überzeugungen«. Doch er selbst bestritt immer jede Nähe zu unkirchlichen Häresien. Das man ihn verdächtigte war wohl insbesondere dem Umstand geschuldet, dass seine Lehren immer tiefer ins gläubige Volk drangen. Erst beobachtete man ihn aus dem Verborgenen, bis sich die Kirchenoberhäupter in ihrer Feindseligkeit öffentlich gegen ihn wandten.

Er wusste allerdings ganz genau, dass er keinem Forum als nur der Pariser Universität und dem Papst zur Rechenschaft verpflichtet war. Trotzdem erklärte sich Meister Eckhart dazu bereit, Rede und Antwort zu stehen. Er wusste ganz genau, und sprach das auch an, dass man ihn wohl kaum zu seiner Verteidigung einberufen hätte, wenn sein Ruf beim Volk nicht so gut gewesen wäre. Es war ihm natürlich klar, dass er damit ganz kühn ansprach, was der katholische Klerus stets berechnend vermied. Fast schon wahnwitzig, doch eben darum, wenn offiziell auch aus fadenscheinig anderen Gründen, verdüsterte ihm die Heilige Inquisition seinen Lebensabend.

Der Erzbischof von Köln, Heinrich von Virneburg, der auch der Verfolgung der Brüder und Schwestern vom freien Geiste mit energischer Hingabe nachging, eröffnete gegen Meister Eckhart im Jahre 1326 ein Inquisitionsverfahren. Der Grund der Anklage lautete: »Verbreitung glaubensgefährlicher Lehren in deutschsprachigen Predigten vor dem Volke«.

Ehe also Eckharts Saaten aufgehen konnten und im Volk Früchte tragen, wurden sie von der Kirche auf diese Weise niedergetreten. Solch übles Bestreben, scheint bis heute in unserem Geistesleben nachzuwirken. Denn was den Menschen eine direkte, innere Gotterfahrung näherbringt und sie mit wahrer Lebensweisheit sättigen würde, scheint in der verweltlichten Form des Christentums immer tiefer zu versickern. Dumm nur, wenn verweltlichter Glaube oder sogar Atheismus, das Christentum gleichsetzen, mit diesen alten Verfehlungen der Inquisition.

Doch vielleicht gerade deshalb, geht ein Suchen durch unsere Zeit, wo immer mehr Menschen das reine Vernunftdenken einfach nicht mehr reicht. Man versucht sich wieder an tiefere Quellen anzuschließen – etwas, dass die katholische Kirche anscheinend schon lange nicht mehr bedienen kann, da sie nach wie vor ihre Rolle, nur als moralische Anstalt erfüllt. Von der Vermittlertätigkeit eines wahren, mystischen Gotterfahrens, scheint sie sich damit aber immer weiter zu entfernen.

Von der Betrachtung der Wirklichkeit

Fast siebenhundert Jahre nach Eckharts Tod, bleibt sein Werk noch immer eine Quelle wahrer Weisheit. Was sich verändert hat natürlich, ist das äußere Weltbild. Denn die Menschen seinerzeit sahen sich noch im Mittelpunkt der Welt, wo himmlische Körper in ätherischen Schalen, eine Erde im Zentrum umkreisten, umgeben von einem herrlichen, ewig reinen Feuerhimmel.

Letztendlich aber spielen die Unterschiede der Vorstellungsweisen vom kosmischen Weltbild, für den Einzelnen eine wohl eher nebensächliche Rolle, insbesondere dann, wenn es um Lebensfragen geht. Engel und Teufel und all die himmlischen Heerscharen sind eben »nur« symbolische Größen und Mittel der Veranschaulichung. Was nicht bedeutet, dass sie nicht auch tatsächlich existieren.

Wie sich den wissenschaftlichen Erkenntnissen neuerer Zeit entnehmen lässt, dehnen sich die Größenordnungen des Kosmos weit über die menschliche Auffassungsgabe aus. Vielleicht war das den Alten bereits bewusst, wenn sie etwa sagten:

Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.

– Exodus 20:4

Da Eckharts Gedanken im Grunde aber ganz auf die Ewigkeit ausgerichtet waren, galt ihm alles Gleichnishafte als vergänglich. Alle Wirklichkeit der Natur und Geschichte befand sich für Meister Eckhart in der höheren Wirklichkeit der Seele aufgelöst. Es war ein ausgesprochen mächtiges Lebensgefühl, dass sich jenseits aller Dinglichkeit bewegt. Nur in Demut darum, bewährte sich für ihn die Göttlichkeit, da erst durch sie sich zeigt, dass sich im Endlichen das Ewige und im Sterblichen das Unbegrenzte regt.

Philosoph der Christus-Religion

Sein religiöses Erleben versuchte Eckhart auszugleichen mit weltlichen Erfahrungen. Er brachte sie in seinen Schriften so zusammen, dass sie dem Leser eine einheitliche Schau widerspiegelten: im Himmlischen und Weltlichen, nicht getrennt voneinander existierend, sollte sie der Einzelne in sich selbst finden und darin auch erkennen können. Er war eben nicht allein nur ein Mann der Religion sondern auch ein Philosoph des Christentums. Weniger sollte man ihn aber als Seher wahrnehmen, als vielmehr einen Meister der Begriffsformung. Sein intellektuelles Werkzeug war das der klassischen Scholastiker, wo platonisch-aristotelische Begriffe zu einer Einheit verschmolzen und woraus die christliche Dogmatik entstand.

Es wäre jedoch zu einfach, Meister Eckharts Werk auf dieser Stufe zu belassen. Im Unterschied zu seinen spirituellen Vorgängern nämlich, verwendete er auch die monistische Seinslehre des Arabers Avicenna (Ibn Sina) und die Emanationslehre des Plotinus. Darin geht die Welt hervor, aus einem stufenweisen Fall des höchsten seienden Einen. Dabei ist es gar nicht notwendig, besonders viele neue Begriffe und philosophische Vorstellungen zu erfinden oder einzuführen. Eher kommt es auf die Fähigkeit an, diese so zu vereinfachen, dass sie einem tatsächlich im Leben helfen – was Meister Eckhart in seinem Werk allemal gelang.

Je älter die Grundkonzepte sind, derer sich ein Philosoph in seinen Ableitungen bedient, um so besser. Denn selbst jene Wirklichkeitsempfindungen, die sich auf die Gegenwart beziehen, können durchaus durch Hilfe älterer Begriffe so beschrieben werden, dass sie die Sichtweise auf das Beschriebene sogar noch konzentrieren und auf diese Weise verfeinern. Alles was Meister Eckhart in seinem Werk vollbrachte, war, einer transzendenten Geisteswelt einen neuen Mittelpunkt zu verleihen – und damit einen neuen Sinn.

Wege in den einigen Urgrund

Willst Du den Kern haben, so musst du die Schale zerbrechen.

In diesem simplen, doch aussagekräftigen Zitat, bezieht sich Meister Eckhart auf das Denken. Für ihn war es wie eine Schale, die sich zwischen uns und unsere eigentliche Wirklichkeit drängt. Die Begriffe in unserem Denken verwenden wir als »zugerichtete« Wörter, den eigentlichen Sinn der dahinter liegenden Wahrheit aber, umschließen sie wie ein Gefäß. Das begriffliche Denken ist etwas, wie der Name des Wortes schon sagt: wir begreifen, erfassen etwas, wie ein Gefäß das wir berühren, anfassen, etwas nach dem wir greifen.

Auf das Gefäß aber kommt es nicht an. Einzig der Inhalt zählt und auf ihn muss jeder in seinem Leben eigene Antworten finden. Erst damit kann er die Grundlagen schaffen, um seine Persönlichkeit zu dem zu formen, was seiner Lebensaufgabe entspricht.

Das genau war auch Meister Eckharts Ziel. Er versuchte in seinen Predigten »Religion« zu lehren und zwar ihrem wortwörtlichen Sinne entsprechend: als Rückverbindung unseres so weitläufigen Weltbewusstseins, an den ewigen Urgrund der Einigkeit allen Seins. Dieser »Ewigkeitsgrund« aber darf nirgends sonst gesucht werden, als im Kern unseres eigenen Wesens. Für Meister Eckhart bildet er die schöpferische Einheit, aus der die ganze Individualität des sinnlichen und geistigen Daseins stammt.

Wenn Religion also meint, zu jenem Urgrund zurückzuführen, begibt man sich als religiöser Mensch (andere nennen das heute vielleicht »spirituell«), auf die Suche nach einem Weg dorthin. Es ist ein Weg aus der Zerstreutheit all der vielen Willens(ab)gründe, zurück in die eigentliche Wesenseinheit des Lebens. Nur in ihr kann man zu wahrem Menschsein erwachen.

Für Eckhart sieht sich der Mensch im Ich getrennt von anderen Seelendingen oder von anderen »Ichen«. Wer sich diesem Drang aber dereinst zu entziehen vermag, der wird auch zur Stille seines ungeteilten Wesens zurückfinden – etwas, worin echter Segen liegt. Erst aber wenn alles Wünschen und Sehnen, alles Wissen- und Sehenwollen verschwunden sind, wird dieser einige Urgrund als wahrer Kern unseres Wesens erlebt.

Was dieser einige Urgrund ist, lässt sich letztendlich nicht beschreiben, ist die Beschreibung einer Sache doch immer weniger, als das Beschriebene selbst. Was dieser Urgrund aber sein könnte, das ließe sich höchstens herleiten aus dem, was er nicht ist. Denn als Einheit, kann er nicht das sein, was unsere Seelen als die Welt des Daseins empfinden. Sie nämlich ist die Vielfalt und Mannigfaltigkeit, aller gezeitigten Dinge, die voneinander unterschieden und daher immer getrennt existieren. Wenn jener einige Urgrund aber all das nicht ist, so ist er wohl ein grenzenloses, unbeschränktes, zeitloses und darum ewiges Sein. Was aber räumlich und zeitlich begrenzt ist, ist letztendlich auch dem Leid unterworfen. Das unbegrenzt Ewige aber kann darum nur als vollkommene Seligkeit erfahren werden.

Sobald wir uns durch solche Beschreibungen ein Bild von dem machen, was wir hier als den einigen Urgrund allen Seins bezeichnen: haben wir uns da nicht bereits aus ihm herausbewegt? Doch auch das würde seinen Zweck erfüllen. Schließlich ereignet sich mit diesem Ausgang, ja die Befreiung einer Daseinsform. Und so etwas ließe sich durchaus auch als Wiedergeburt deuten.

Der einige Urgrund, von dem oben die Rede war, kann hierdurch als Quell unseres Daseins erfahren werden, im Wunsch ihn zu erkennen können wir uns ihm nähern, indem wir auf unser Lebensziel zuschreiten. Sobald wir dann diesen Urgrund in uns, als unsere letztendliche Wirklichkeit finden, haben wir das Sein seiner Wirklichkeit, als Grund der Welt gefunden und erfahren. Sein ist Eins.

Zwischen Wagemut und Genialität

So wie der Leser das vielleicht als recht wagemutige Behauptungen empfinden könnte, so muss es auch schon den Zuhörern Meister Eckharts Predigten ergangen sein. Der deutsche Philosoph und Theologe Nikolaus von Kues (1401-1464) hielt Eckhart darum »nicht für jedes Gemüt zuträglich«. Der Meister aber war sich immer der Kühnheit seiner Worte bewusst. Niemand brauchte ihm sagen, dass er in den Köpfen des gemeinen Volkes allenfalls Verwirrung stiftete. Und jene Wahrheiten über die Meister Eckhart schrieb und predigte, schienen höchstens einige kongenialen Geister erfassen zu können.

Könntet ihr mit meinem Herzen erkennen, so verstündet ihr wohl, was ich sage; denn es ist wahr, und die Wahrheit spricht es selbst. […]

Wer diese Rede nicht versteht, der bekümmere sein Herz nicht damit. Denn solange der Mensch dieser Wahrheit nicht gleicht, so lange wird er diese Rede nicht verstehen. Denn es ist eine unverhüllte Wahrheit, die da gekommen ist aus dem Herzen Gottes unmittelbar.

– Aus Predigt 2, Predigt 32

Diese Wahrheit brach schon fast aus seinem Inneren hervor. Nicht aber war sie vielfältig, wie man meinen könnte. Wer das riesige Schriftwerk Meister Eckharts kennt, weiß, das er immer wieder aus einem zentralen Kerngedanken, alle übrigen Sinnzusammenhänge entwickelte, die als Worte, wie aus seiner Seele geboren wurden. Wer diesen Grundgedanken in Meister Eckharts Lehre nicht erkannte, fand sich wohl leicht verstrickt, in einem schier unentwirrbaren Durcheinander von Unklarheiten. In Wirklichkeit aber sah Eckhart, durch seinen tiefen Blick in die Geheimnisse des Göttlichen, alle Vielfalt im all-einigen, unendlichen Sein aufgehoben und zur Einheit zusammengefasst.

Im Wesenskern der menschlichen Seele und dem göttlichen Seinsgrund, erkannte er eine Gleichartigkeit, worin Gott und Mensch einander verbunden sind – wenn auch auf unbeschreibliche, unerfassbare Weise. In jenem Kern fließen Menschsein und Gottsein zusammen. Und so wie sich vom wesentlichen Urgrund, dem Wesenskern allen Seins, eine Ausbreitung der Existenzen ergibt, so wiederum ergibt sich aus ihnen eine einzigartige Mannigfaltigkeit unzähliger Daseinskerne. Sie gleichen Saatkorn und Frucht zugleich, sind Urbilder der werdenden und der entstandenen Dinge. Diese Dinge aber existieren nicht etwa voneinander abgetrennt, sondern bilden gemeinsam ein System. Auch darin bestätigt sich das einige Sein, seine Einheitsnatur.

Die Vielheit aller Wesen sammelt sich somit als Einheit im Universum der geschaffenen Welt, in der sich all die unzähligen Urbilder in der Einheit einer ewigen Welt wiederfinden.

Sein als reines Erkennen

Nicht davon bin ich selig, dass Gott gut ist. Ich will auch niemals danach begehren, dass Gott mich selig mache mit seiner Gutheit, denn das vermöchte er gar nicht zu tun. Davon allein bin ich selig, dass Gott vernünftig ist und ich dies erkenne. Ein Meister sagt: Gottes Vernunft ist es, woran des Engels Sein gänzlich hängt. […] Des Engels Sein hängt daran, dass ihm die göttliche Vernunft gegenwärtig ist, worin er sich erkennt. […] Wenn wir Gott im Sein nehmen, so nehmen wir ihn in seinem Vorhof (des Tempels), denn das Sein ist sein Vorhof, in dem er wohnt. Wo ist er denn aber in seinem Tempel, in dem er als heilig erglänzt?

– Aus Predigt 10

Meister Eckhart bestimmte hieraus zugleich die Zuordnung des Wesen Gottes und des Menschen. Das Sein in Gott, ist reines Erkennen. Und so ruft dieser eine Gott durch sein Erkennen die Dinge ins Sein. Logischer Schluss wäre damit ja, dass je nach Erkenntnisvermögen, etwas oder jemand, entsprechend viel von Gott, vom Einen und vom Einssein mit Gott besitzen würde.

Im absoluten Erkennen ist damit die Einheit Gottes erfasst, aus dem das Sein ausströmt. Was dieses Erkennen erkennt, ist sein eigenes Sein, was es in seinem Spiegelbild erschaut. Darin erkennt das absolute göttliche »Vernunft-Sein« die Urbilder der Schöpfung – das, was der griechische Philosoph Platon die »Ideen« nannte.

Doch bei alle dem, war für Meister Eckhart Gott nicht ein jenseitiges Ideal einer alles bewegenden, tragenden und schöpfenden Weltsubstanz. Vielmehr waren alle Dinge für ihn Gott, aus denen er sich aber auch wieder, bis zum ausdehnungslosen Punkte, jederzeit zurück- und zusammenziehen kann, so dass Gott eben nicht mehr das ist, als was er darin gegenwärtig war. Damit verwendete Eckhart den Gottesbegriff stellvertretend für das eine und reine Sein, worin sich ein ewiger Vorgang von Werden und Entwerden vollzieht. »Gott« ist damit nicht mehr, als ein Name, der allein der religiös-philosophischen Anschauung seines Seins dient.

Dieser eine, ewige Weltprozess aber, bleibt immer nur die eine Seite des »Einen Seins«. Es gibt damit notwendiger Weise auch eine andere Seite. Das ist die ewige Stille, die Eckhart die »Gottheit« nannte – ein in sich ruhendes, kosmisches Potential, aus dem Gott wirkend hervortritt und in dessen Stille »Er« sich auch wieder zurückzieht. Aus der »gottgebärenden Gottheit« geht »Gott« also hervor und fließt auch wieder in sie ein.

So wie aus Gott die Dinge entstehen und aus ihrem Sein wieder in ihn zurückkehren, so wird auch Gott selbst und vergeht wieder, durchläuft eine Entwicklung und hat damit seine Geschichte. Die »Gottheit« hingegen, verharrt in ungetrübter Stille. Darin ist alles eins und daraus werden alle Entwicklungsbewegungen stetig neu hervorgebracht. Der Name »Gottheit« steht damit also für die schöpferische Einheit die den (be)wirkenden, schöpferischen Gott gebiert und in die er sich wieder zurückzieht.

Das Leben, das darum lebt, dass es lebt

Solche feinen Unterschiede, im sprachlichen Kontext zu schaffen, gelang Meister Eckhart anscheinend zum ersten Mal in der Geschichte der Deutschen. Nicht ohne Grund nennt man ihn daher den Begründer der deutschen Prosa. Es war wohl die Klarheit und Einfachheit seiner Sprache, die ihm ermöglichte, solche doch ganz einleuchtenden Schemata zu finden, woraus sich das Göttliche erklären ließ.

Eckharts Theologie war immer experimentell und auch spekulativ. Seine Weisheitslehren aber sind aktuell geblieben und auch heute noch für seine Leser erlebbar. Wer sich daher um eine weltoffene christliche Spiritualität bemüht, ist bei Meister Eckhart an der richtigen Adresse. Er wird ihn begeistern und wird ihn verwirren – doch weder langweilt, noch enttäuscht er den Leser. Der deutsche Mystiker Johannes Tauler (1300-1361) schrieb über ihn:

Er sprach nach der Ewigkeit und ihr nehmt es nach der Zeit

Diese »Zeitigung des Ewigen« erlebt jeder Mensch, immer wieder in seinem Leben. Zuerst zeigt er, sich selbst gegenüber, Bereitschaft, sich von Gewesenem zu lösen. Das setzt aber eine temporäre Abgeschiedenheit voraus, die aber keinen Zwang darstellen darf, sondern einen freiwilligen Rückzug, voll Gelassenheit und Annehmen des Seins, wie es eben gerade ist.

Nicht zu vermeiden ist der Schmerz, denn jeden Wachstumsprozess begleiten bekanntlich individuelle Leiden. Und zwar so lange, bis von allem Unbrauchbaren abgelassen wurde, alte Verkrustungen abgeworfen und aus den Schalen alter Ängste entledigt, ein Mensch das Wesentliche im eigenen Leben erhält. Erst dann kann er in ein neues Leben »geboren werden«, durch eine Transformation, wo er vom Dunkel zurück ins Licht schreitet. Dann erlangt er eine Fruchtbarkeit, aus der Neues hervorgeht und sich die Wirkungen des Handelns auf erwünschte Art und auch zum Wohle anderer manifestieren: Voraussetzung für jeden Erfolg im Leben.

Niemals aber behauptete Meister Eckhart, seine Schriften und predigten könnten jedem Sucher tatsächlich den Weg zu Gott weisen – weniger noch wolle er das!

Es gibt keine Anleitung zur Erkenntnis, zur Erleuchtung und weniger noch zum Gottfinden. Vielmehr lag ihm daran, den Zuhörern und Lesern seiner Predigten und Traktate, zum Durchbruch zu verhelfen, das heißt, jemandem, der einen langen Weg der Selbstfindung hinter sich hat, zur Entscheidung zu verhelfen. Es lag ihm aber daran, die Menschen aus dem Starrsinn ihres Alltagsbewusstseins hinauszustoßen.

Meister Eckhart wollte das Wesentliche im Menschen in eine Welt des freien Geistes entbinden, auf das jemand zu einem tätig-nützlichen Diener der Gemeinschaft werde.

Das alles war, in unbeirrbarer, leidenschaftlicher Entschlossenheit, Meister Eckharts beständiges Bemühen.

 

 

2 Kommentare
  1. Meister Eckhart war einer der
    Meister Eckhart war einer der großen Lehrer der Neuzeit. Zumal er auch so schrieb, dass er damit jeden ansprach – ganz gleich, welchen Glaubens er ist.

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