Im Goldenen Zeitalter, als der Mensch sich noch bewusst in seinem Astralgewand durch die Welt bewegte, war Erkenntnis Allgemeingut. Doch als der Mensch zunehmend Gefallen an irdischen Dingen fand, verlor er das Bewusstsein für das höhere Wissen.
Was die Menschen einst wussten, half ihnen sogar mit den anderen Lebewesen der Erde zu kommunizieren. So erzählen es die Legenden der Angehörigen der indigenen, der ursprünglichen Kulturen unseres Planeten.
Leider kam es ab einem gewissen Punkt in der Menschheitsgeschichte immer häufiger zum Missbrauch dieses magischen Urwissens. Man hatte das alte Geheimwissen missbraucht. Und so kam es, dass es die Weisen im Innern ihres Kulturkreises zu verbergen begannen, womit Wissen schließlich esoterisch wurde, geheim.
In der biblischen Genesis findet sich dazu ein Vers, der das „lodernde Flammenschwert“ nennt, dass den Zugang zum Baum des Lebens von da an für immer versperren sollte (Genesis 3:24), nachdem ja die ersten Menschen vom Baum der Erkenntnis von Gutem und Bösen gekostet hatten, worauf sie einander „erkannten“ und darum von (den) Elohim aus aus dem Paradies (aus der Zeit des Goldenen Geschlechts) vertrieben wurden.
Sie zeugten zunächst zwei Kinder, wovon eines aber das andere aus Neid erschlug. Dieser Brudermörder Kain verschwand, doch lebte fort im Verborgenen, während man seinen später auf die Welt gekommene Bruder Seth (Genesis 4:25), als ersten Gläubigen auf Erden verehrte.
Mit dieser recht heiklen Angelegenheit aber sollte auch von den Nachfahren jener „Gründer dieser Menschheit“ die bittere Erkenntnis vernommen werden, dass das Missverstehen verkündeter, jedoch heiliger Wahrheiten echte Gefahren mit sich bringt.
Es war das auch die Zeit als der Mensch begann sesshaft zu werden und in die natürlichen Kreisläufe der Natur Einfluss zu nehmen, durch den Ackerbau, den jedoch nur jene verstanden, die in die Mysterien der natürlichen Erdkräfte eingeweiht waren. Denn das ursprüngliche Wissen der indigenen Menschen wurde irgendwann von einer Hohen Priesterschaft verborgen gehalten und damit zu einem Geheimwissen. Das aber diente nicht allein, um damit die okkulten Weisheiten der Natur vor der Entweihung zu bewahren, sondern auch um ihrem Missbrauch vorzubeugen und die Unverständigen zu bewahren vor den gefährlichen Folgen ihrer eigentlichen Ahnungslosigkeit.
Es bildete das also die Stufe in der Menschheitsentwicklung, wo die großen Geheimnisse nur den darin Eingeweihten zur Verfügung standen, denn sie wollten behütet werden, damit man sie nur den dazu Berufenen enthüllte. Man hatte die Mysterien-Einweihungen einst also gegründet, als sich die Menschen immer mehr in Untaten zu vergehen begannen. Denn es war – und ist auch heute noch – eben leider so, dass die meisten Menschen allein auf die Befriedigung ihrer persönlichen Wünsche aus sind und somit mit dem Esoterischen Wissen, von dem hier die Rede ist, wirklich Schaden anrichten können, würden sie davon einfach nur erfahren.
Nur wer also eine angemessene charakterliche Festigkeit besaß, dem vertraute man die besagten Geheimnisse an. Entsprechend fanden die rituellen Handlungen der Einweihung in die Mysterien im Verborgenen statt und wurden vor Außenstehenden versteckt abgehalten. Wer initiiert wurde, der musste sich gar schrecklicher Prüfungen unterziehen, die ihn nahe an die Todesgrenze führten. Weniger also war und ist solches Geheimwissen etwas Intellektuelles, als vielmehr die Nachwirkung einer direkten Erfahrung, die sich jenseits allen Wortgebrauchs ereignet. Darum eben sind damals wie heute die Geheimnisse der Mysterienkulte der großen Mehrheit der Menschen unverständlich.
Nur also jenen, die geeignet dazu waren diese Geheimnisse zu empfangen, wurden durch auserwählte Wächter der Erkenntnis vermittelt, die in dieser Funktion als Hüter der Mysterien-Geheimnisse fungierten. Unzugänglich aber bewahrte man sie auf vor allen anderen Menschen. Während jene initiierte Weise in den Heiligtümern von einst eingeweiht wurden, ließ man in den Gemütern der Menge einen exoterischen, einen äußeren Glauben wachsen, der ihrem eigentlich kindlichen Gemüt gut entsprach. Gewiss finden sich Schattierungen davon bis heute auch in den Institutionen der großen Weltreligionen.
Zwischen Unwissenheit und geheimen Wissen
Auf seinem Weg zu wahrer Adeptschaft, rang der Kandidat weniger darum Äußeres zu erlangen, als gegen seine niedere Natur bestehen zu können. Somit warf er sein sinnbildliches „altes Kleid“ ab, an dem all seine Begierden, seine Ängste und sein Zorn so lange gezerrt hatten. Mit dem Ablegen dieses so schweren Gewandes, dass er, ohne es überhaupt bemerkt zu haben, in all den langen Jahren seiner Unwissenheit getragen hatte, wurde ihm gewahr, dass Furcht den Willen tötet und alles Tun eines Menschen damit zunichte macht.
Um die wahrlich harten Proben der Initiation zu bestehen, musste der Einweihungsschüler erst seine Leidenschaften beherrschen gelernt haben. Denn damit war er dann dazu im Stande, die Vorstellung des Lichtes seines inneren Gottes dauerhaft in seinem Bewusstsein zu behalten. Der Hierophant, der Hohepriester der Initiationsriten, stellte den Kandidaten wahrhaftig auf die Probe, so dass dieser seine Seelenstärke beweisen musste. Und wie schon zuvor angedeutet, fand alles das im Geheimen statt und es war den in die Heiligen Mysterien Eingeweihten bei Androhung des Todes verboten darüber zu sprechen.
Die inneren Lehren wurden eben niemals öffentlich gelehrt. Auch vermied die Priesterschaft um den Hierophanten, in einfacher und eindeutiger Sprache ihre geheimen Lehren auszudrücken. Im Gegenteil: Sie wurden sorgfältig vor den Uneingeweihten verborgen und in einer bewusst gewählten Unklarheit und mit Hilfe von Illustrationen dem Einweihungsschüler vermittelt. Aber ohne vorherige Unterweisung, hätte er sie nicht verstehen können.
So etwa wurde dem Schüler nahegelegt, dass das Mittagslicht der Sonne den Glanz des Sonnengottes Ra symbolisiert. Ihr Untergang aber stand für den Tod von Osiris. Die neue Morgendämmerung war Osiris‘ Auferstehung, verkörpert in Form des inkarnierten Lichtgottes Horus. Hiermit etwa wurde in der Mysterien-Religion der Alten Ägypter, den Einweihungs-Schülern der Zyklus der Sonne als Gegenstück zur unsichtbaren Welt der Initiations-Geheimnisse vermittelt.
Das Fahrzeug der Seele bewusst erlebt
Immer war die Thematik des Todes von zentraler Bedeutung für die Einweihung in die Ägyptischen Mysterien. Denn die Pharaonen und ihre Priesterschaft betrachteten unsere gegenwärtige Existenz in unserem lebendigen Körper immer nur als eine Zwischenstation. Wie auch unsere Beschäftigungen in diesem Leben, galten sie ihnen als ein Vorgeschmack und ein Gegenstück eines Lebens jenseits des Grabes. Kaum verwunderlich, dass das berühmte „Ägyptische Totenbuch“, das man auch das „Buch vom Heraustreten in das Licht des Tages“ nennt, für den Kandidaten einen wichtigen Leitfaden lieferte, mit dem er sich intensiv befassnen musste, um überhaupt für die Einweihung zugelassen zu werden.
Wie wir nun ganz zu Anfang sagten, sind sich die Menschen schon seit Jahrtausenden nicht mehr im vollem Umfang des Gewandes ihres Astralkörpers bewusst. Doch dieser „Sternenleib“ bildete immer das so wichtige Fahrzeug für die Seele, womit ein Mensch sich überhaupt seines astralen Seelenplanes gewahr wurde, um nach seinem Einweihungserlebnis sich seiner wirklichen Aufgabe auf Erden bewusst geworden zu sein.
Die Himmelskörper in ihrem leuchtenden Lauf über den nächtlichen und täglichen Horizont, stellten sich die priesterlichen Astronomen, diese „Geheimnislehrer des Himmels“ vor, als makrokosmische Entsprechungen des menschlichen Astralleibes auf Erden. Es war für sie eine mythische Form von Bildsprache, die sich ihnen da mit Leichtigkeit erschloss. Im Verbindung mit dem Einweihungs-Ritual betrachtet, waren diese astralen Lichtbahnen die Wege, auf denen sich die lichterfüllte Gottheit sowohl über den Himmel bewegte, wie auch entlang der Bahnen der Seele im Menschen. So nämlich verlieh sie ihm die Kraft, die Beziehungen zwischen seiner irdischen Existenz in seinem physischen Körper und dem Astralleib, der seine Lebensaufgabe zeichnend, sich scheinbar in den Himmel geschrieben zeigte.
Wie sich nun aus dem Ägyptischen Totenbuch entnehmen lässt, muss sich der Initiations-Kandidat als die sogenannte „Ba-Seele“ verkörpert empfinden, um überhaupt Einlass ins Jenseits zu bekommen. Der „Ba“ war in den ägyptischen Mysterien der Träger der unverwechselbaren Seelenqualitäten der menschlichen Persönlichkeit, die ihrerseits direkt mit dem besagten Astralleib in Verbindung steht.
Durch die Initiation erlebte der Kandidat eine heilige Erneuerung, ein wahrlich spirituelles „Neues Werden“ durch das Erleben seiner Wiedergeburt nach seiner initiatischen Todeserfahrung. Von da an wusste er seinen Körper als gehorsames Werkzeug zu verwenden. Er hatte die Essenz seines Wesens erlebt, das, von seiner Persönlichkeit umgeben, als sein wahres Ich die Macht der so erfahrenen, unsterblichen Geistes-Intelligenz von da an, voll zur Geltung bringen konnte.
Der griechische Philosoph Plutarch (45-125 n. Chr.) überließ uns dazu ein ganz wertvolles Wissen. Er selbst war ein Eingeweihter in das geheime sakrale Wissen und durfte darum nur Andeutungen machen darüber, was er in den Mysterien erfahren hatte. Doch was er in seinem Buch „Über Isis und Osiris“ beschrieb, das steht uns bis heute als kostbare Wissensquelle über die Ägyptischen Mysterien-Einweihungen zur Verfügung.
Der aus den Kriegern erwählte ward sofort unter die Priester aufgenommen und erhielt Belehrung in der Art von Philosophie, die meist in solche Fabeln und Erzählungen gehüllt ist, die undeutliche Abbilder und Durchblicke der Wahrheit enthalten, wie sie auch wirklich selbst dass ihre Götterlehre eine rätselhafte Weisheit enthalte. […] Die Vorsicht der Ägypter bei der Weisheit göttlicher Dinge war folgende: Es bezeugen dies auch die weisesten Griechen, Solon, Thales, Platon, Eudoros, Pythagoras, ja, wie einige behaupten, auch Lykurg; sie kamen alle nach Ägypten und hatten dort mit den Priestern Umgang. […] (Der Heliopolit Onyphis) insbesondere, der, wie es scheint, die heiligen Männer bewunderte und von ihnen bewundert wurde, ahmte deren symbolische und mysteriöse Ausdrucksweise nach, indem er seine Lehren in Rätsel einhüllte. […] Wenn du nun die ägyptischen Mythen über die Götter hörst, von ihrem Herumirren, von den Zerstückelungen und manchen anderen solcherart Ereignissen, so musst du dich an das vorher Bemerkte erinnern, um dich zu überzeugen, dass nichts von dem, was erzählt wird, wirklich so geschehen und vorgefallen ist.
– Über Isis und Osiris, Kapitel 9, 10, 11
Was Plutarch hier seinen Lesern rät, dass gilt nicht nur für die Geheimnisse der Ägypter, sondern auch für alle anderen, von denen die Eingeweihten erfuhren.
Wiederum aber lernen wir von Plutarch den legendären Mythos von Osiris und Isis. Er beginnt mit der Geburt von Osiris, von Horus, Isis und Typhon. Plutarch übernahm damit eine Gestalt der griechischen Mythologie in sein Buch, die ein Nachfahre der Gaia (personifizierter Planet Erde) und des Tartaros (personifizierter Teil der Unterwelt) war. Die Ägypter aber gaben dem Typhon den Namen „Seth“.
Bevor wir uns im Folgenden Plutarchs Mythos von Isis und Osiris ansehen, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, was wir oben über den dritten Menschensohn „Seth“ sagten. Laut dem Buch „Gott in der Geschichte“ des einstigen Botschafters beim Heiligen Stuhl in Rom, Freiherr Christian von Bunsen (1791-1860), gab es den Seth als ursprünglichen Gott der Semiten, dessen Stammbaum jedoch gleichlaufend gedacht werden muss mit dem Seth der Pharaonen der 18. Dynastie, wo man ihn als einen großen Gott des Lebens verehrte. Doch während der 20. Dynastie wurde aus ihm plötzlich ein böser Dämon.
Mit dem was einst, wie am Anfang des biblischen Buches Genesis beschrieben, sich als der „Sündenfall“ ereignete, sollte im Bewusstsein der kommenden Menschheit das einleiten, was wir zuvor als die Trennung von irdischem und astralem Leib erwähnten. Es war das Ende des besagten Goldenen Zeitalters. Und eben zu dieser Zeitenwende auch wurde aus dem Seth der böse Dämon Typhon (entsprechend der Schlange am biblischen Baum der Erkenntnis), der Osiris und Isis in die Irre führte.
Die Liebenden Osiris und Isis und der teuflische Typhon
Laut Plutarch hatten sich Osiris und Isis ineinander verliebt und vereinten sich. Lange Zeit herrschten sie als göttliches Königspaar über das Reich Ägyptens. Doch es kam der Tag als Typhon all das beneidete und nach Vernichtung des Reiches trachtete.
Er entwarf eine geheimnisvolle, wunderschön anmutende längliche Truhe und ließ sie in den Bankettsaal des göttlichen Königshauses bringen. Jedem, der darin im Liegen Platz finden würde, wollte er sie zum Geschenk machen.
So aber kam es, dass ausgerechnet Osiris sie als erster sah und sich hineinlegte. Daraufhin eilten die Anwesenden herbei, setzten einen ebenso langen Deckel auf die Truhe, vernagelten sie und trugen sie hinunter zum Nil, auf dessen Wasser die Flut sie ins Meer trug. Als die göttliche Mutter Isis hörte, was geschehen war, machte sie sich auf die Suche nach der Truhe.
Die Wellen des Meeres hatten sie inzwischen nach Byblos getragen (etwa 11.000 Jahre alte Stadt im heutigen Libanon). Mit der Landspülung kam sie zum Stillstand im Busch eines sagenhaften Tamariskenbaumes, dessen Zweige und Blätter um sie wachsend umschlossen und sie vollständig in sich verbargen.
Schon bald sprachen die Menschen in Byblos von diesem sagenhaften Baum, dessen Zweige wundervolle Blüten schmückten. Auch Malkander und seine Gattin Astarte (die man seit der 18. Dynastie auch in Ägypten kultisch verehrte), das Herrscherpaar von Byblos, bewunderte diesen Baum vor allem wegen seiner Größe. Man fällte ihn, um daraus eine Säule zu verfertigen die das Dach des Herrscherpalastes stützen sollte.
Mit Hilfe des Führers der Seelen in das Land des Todes, Anubis, den göttlichen Schakal, fand Isis eine Spur die sie zu der Truhe führte. So also kam auch sie nach Byblos und setzte sich dort an einen Brunnen, wo auf sie die Dienerinnen der Königin Astarte trafen. Sie ging auf sie zu, kämmte ihnen die Haare mit Ambrosia, was so verzaubernd duftete, dass die Dienerinnen auch im Palast über sie sprachen und sie bald schon dorthin eingeladen wurde.
Dort war sie bald beliebt und man machte sie zur Amme des kleinen Kindes der Königin. Irgendwann aber war die Zeit reif. Isis offenbarte sich als Göttin der Magie, beanspruchte die Säule des Daches für sich, nahm sie ab, entfernte das umwachsene Holz des Tamariskenbaumes, legte die Truhe frei und brachte diesen Sarg ihres Gatten in ein Boot, um den Körper zu ihrem Sohn, dem Lichtgott Horus zu bringen.
Horus verbarg den Sarg in einem dunklen Wald. Typhon jedoch stieß auf den Sarg, erkannte den Leichnam des Osiris darin, riss ihn in vierzehn Teile und zerstreute sie im ganzen Land (die mystische Bedeutung der Zahl Vierzehn bewegt sich in einem Feld esoterischer Transformationsprozesse, wie wir sie etwa beschrieben finden auch in den vierzehn Stationen des Kreuzweges Christi, in den vierzehn Versen der Tabula Smaragdina, in der Symbolik des vierzehnte Tarot-Bildes der Großen Arkana „Mäßigkeit“).
[…] Osiris wurde in vierzehn Glieder zerstückelt und in vierzehn Gräbern begraben. […] Die vierzehn Gestalten des Mondes, die Mondphasen, sind die vierzehn Stücke des zerstückelten Osiris. Der ganze Osiris ist die ganze Mondscheibe. […] Der Mond hat vierzehn Phasen vom Neumond bis zum Vollmond und vierzehn Phasen vom Vollmond bis zum Neumond. Während der vierzehn Tage, die zum Neumond gehen, ist keine Osiriswirkung da. Da wird der Mond von der Sonne so beschienen, dass er allmählich seine unbeleuchtete Fläche der Erde als Neumond zuwendet. Diese vierzehn Phasen vom Vollmond bis zum Neumond haben auch ihre Wirkung, und diese Wirkung wird für das ägyptische Bewusstsein erreicht durch die Isis. Diese vierzehn Phasen werden von der Isis regiert. […]– Aus „Ägyptische Mythen und Mysterien im Verhältnis zu den wirkenden Geisteskräften der Gegenwart“ von Rudolf Steiner, 6. Vortrag
Nun suchte Isis nach diesen vierzehn Teilen und fand sie alle. Doch ein weiterer Teil, das Geschlecht des Osiris hatte Typhon in den Nil geworfen. Als es die Fische fanden fraßen sie es.
Was geschehen war veranlasste den Horus gegen Typhon zu kämpfen. Er besiegte ihn, woraufhin überall verkündet wurde, dass Osiris von den Toten auferstanden sei.
Mystisches Leben und Ganzheit
Dies war lediglich eine grobe Zusammenfassung des Osiris-Mythos, von dem Plutarch aber wusste, dass darin sowohl eine makrokosmische wie auch eine mikrokosmische Bedeutung verborgen ist.
Osiris und Isis, als kosmische Gottwesenheiten, symbolisieren aus makrokosmischer Perspektive die Kräfte von Sonne und Mond. Mikrokosmisch bezieht sich der von Plutarch beschriebene Mythos auf das Mysterium der Initiation – die Stufe des Horus (oder Christus) der Männlichkeit. So symbolisiert er das mystische Leben des Eingeweihten.
Es lässt sich aus dem Mythos jedoch auch ein Hinweis auf einen Heilungs-Prozess beziehungsweise auf einen psychologischen Werde-Prozess ablesen, wo in einem Menschen eben durch negative Gefühle (wie zum Beispiel Wut, Hass, Angst, Neid – symbolisiert durch Typhon) sein Inneres, sein „Ich“ in viele Teile gerissen wird. Wenn Isis in diesem Mythos nun den Osiris wieder zusammensetzt und sie ihn als „eingeborenen Sohn Gottes“, als den Lichtgott Horus, wieder zur Welt bringt, ist das ein Symbol für die Beendigung der besagten „Zerrissenheit des Inneren“ eines Menschen, was sein wahres Lichtwesen wieder ganz werden ließ und er sich, seines Astralleibes wieder bewusst geworden, so der wahren Aufgabe in seinem Leben endlich nachkommen kann.
Die initiatische Verwandlung
Eine weitere wichtige Quelle für unsere Betrachtungen bilden die „Bücher der Metamorphosen“ des antiken Schriftstellers Apuleius von Madauros (123-170 n. Chr.).
Wie der Autor darin beschreibt, stieg der in die Mysterien der Göttin Isis Eingeweihte in den innersten Teil des ihr geweihten Tempels hinab. Da fand er sich an einem unbekannten Ort in nächtlicher Dunkelheit. Sie wurde plötzlich, zu seiner großen Verwunderung, durch ein grelles Licht unterbrochen, während er vollkommen unerwartet von riesigem Lärm erschreckt wurde.
Dies versetzte ihn in einen Zustand vollkommener Orientierungslosigkeit, besonders als er das Schreien vernahm, als würde man jemanden umbringen. Was er darauf gezeigt bekam (manche sagen ein Hierophant erhob vor ihm ganz langsam eine Weizenähre). sollte in ihm eine intensive religiöse Erfahrung auslösen, womit er die für das menschliche Leben so wichtige esoterische Bedeutung der zu Anfangs angedeuteten Agrar-Riten in sich selbst erkannte. Dabei machte er eine sehr intensive religiöse Erfahrung, wo er sich der Isis als Göttin der Wiedergeburt persönlich gegenüber sah.
Nun versuchten wir zwar den Ritus der Einweihung zu beschreiben, doch es ist – wie Sie sich ja sicherlich denken können – ganz und gar nicht möglich damit erfahren zu haben, was die Einzelheiten des Initiations-Erlebnisses beim Eingeweihten auslösten. Fest steht jedoch, dass ihn so die Angst vor seinem eigenen Tod verlassen hatte, was jedoch nur jene mit ihm teilten, die die selbe Erfahrung gemacht hatten. Unser intellektuelles Verständnis des eben beschriebenen Ritus bewegt sich jenseits der Einschränkungen, die der Geheimhaltungspflicht unterliegen.
So auf jeden Fall wurde der Initiand symbolisch durch das „Tor des Todes“ geführt, um sodann die aufeinanderfolgenden Stufen der Einweihung, der Erleuchtung und der Vollkommenheit zu erfahren. Während er da hindurchschritt, sah er vor seiner, in diesem geheimnisvollen Geschehen wahrhaftig erlebten Seele, wie sich ihm sein ganzes Leben mit allen guten und bösen Handlungen vor seinem Herzen offenbarte. So gelang ihm seinen eigenen Schatten, diesen „Hüter der Schwelle“ zu überwinden. Und da betrat er den Tempel des Lichts, in dem die himmlischen Kräfte seines Innern erwachten, um ihn für eine endlose Vereinigung mit dem Licht, dem großen Schöpfer, vorzubereiten. Nun war er ein Meister, ein Adept.
Sich des Astralleibes gewahr geworden
Jener Mensch, der als Neophyt in den Kreis der auserwählten Priesterschaft gelangt, wird sich, wie wir also im zuvor Gesagten sehen konnten, seines Astralleibes in der Initiation bewusst, der als grundlegendes Wesensglied, der als „Sternenkörper“ Ausdruck seiner kosmischen Weisheit auf Erden ist.
Damit lässt sich aus dem Astralleib die himmlische Bestimmung einer menschlichen Seele ermessen, wo dieser astrale Körper, das heißt, die individuelle Identität seines Trägers, über den Tod hinaus bestehen bleibt.
In der heutigen Zeit aber trachtet bei den meisten Menschen der physische Leib und seine materiell ausgerichtete Denkart nach mehr Erfahrungen in der Sinnenwelt. Seines Astralleibes jedoch, der sich zwischen ihm und den äußeren Sinneseindrücken befindet, wird er sich damit immer weniger gewahr. Und dieser Verlauf findet schon seit Jahrtausenden seine Entsprechung in unserer Weltzivilisation, wo materieller Besitz zu immer „regloserer Sesshaftigkeit“ führen sollte, wo selbst den Geist, das Denken des Menschen, eine gefährliche Bequemlichkeit zu plagen scheint.
Was aber in den alt-ägyptischen Initiations-Riten dem kleinen Zirkel von Kandidaten, durch praktisches Erleben vermittelt wurde, war ein „Sterben vor dem Sterben“, das heißt, eine Vorwegnahme der Todes-Erfahrung des physischen Leibes vor dem eigentlichen Sterben des selben.
Entsprechend wurde sich ein Initiand des physischen Todes seines körperlichen Astralleibes bewusst. Und was er dabei erfuhr war eben dessen Wirkung auf seine Inkarnation und damit die Verdeutlichung seiner gegenwärtigen Lebensaufgabe.
So können wir also feststellen, dass aus den hier zuvor beschriebenen Mysterien-Einweihungen Ägyptens, aber ebenso auch durch eine allmähliche Bewusstwerdung der eigenen Körperlichkeit, sich ein Eingeweihter der Rolle in seiner gegenwärtigen Inkarnation und seines Astralleibes bewusst geworden, dementsprechend befähigt wird in seinem Leben zum Wohle aller Menschen zu handeln.