Aus dem Splendor Solis - ewigeweisheit.de

Alchemie: Die Kunst das eigene Leben in Gold zu verwandeln

Ewiges Leben erlangen, Blei in Gold verwandeln: das sind Ziele die mit der Kunst der Alchemie assoziiert werden. Wer nach der wirklichen Bedeutung der Alchemie sucht, kommt bald ins Stolpern, bei all dem Unfug der einem da begegnet. Doch was ist Alchemie tatsächlich? Ein Mantel des Schweigens ist darüber gebreitet. Wer wagt ihn zu lüften?

Solange man sich nur oberflächlich mit Alchemie befasst, bleibt die Frage nach ihrer wahren Bedeutung in einem Schwebezustand zwischen Wunderwerk und Quacksalberei. Denn ihrem geheimnisvollen Wesen nähert man sich durch direktes Erfahren und weniger auf der Suche nach wissenschaftlich belegbaren Fakten. Es ist eine okkulte, spirituelle Praxis die nur wenig mit esoterischer Theorie zu schaffen hat.

Die Schriften der Alchemie sind voller Metaphern. Und das hat seinen Grund: sie sollen die menschliche Vorstellungskraft anrühren, mit dem Zweck, den Menschen an eine verborgene Realität heranzuführen, in der, wie es scheint, einfach alles möglich ist, sogar Blei in Gold zu transmutieren!

Zwei Formen der Realität

Als wir auf diese Welt kamen, war damit ein Moment schöpferischer Realität bereits vollendet, denn wir waren ja schon da. Aus Sicht der Alchemie aber ist das etwas anders, denn da gibt es noch eine andere Realität, die aus einer „Zweiten Schöpfung“ kommt. Und sie gilt den Alchemisten sogar als die eigentliche, die wahre Schöpfung.

In jedem von uns gibt es etwas, das, wenn es erst einmal aktiviert wurde, die Tore zu dieser verborgenen, Zweiten Schöpfung eröffnet. Es ist eine Wirklichkeit die sich stark von der uns bekannten und „vorgefertigten Realität“ unterscheidet. Sie ist das Arbeitsfeld des Alchemisten, in dem er durch seine Imagination auf die Welt Einfluss nimmt.

Imagination ist die kraftvollste Fähigkeit des menschlichen Geistes. Was man visualisieren kann, das kann man auch tatsächlich bewirken und erschaffen.

Wie wir unser Leben verändern

Alles bewegt sich. Alles kommt und geht im ewigen Werden und Wandeln – auf griechisch: „Panta Rhei“ – „Alles fließt“.

Nichts bleibt – bis auf den Tod.

Alles fließt – aus und ein;
Alles hat seine Gezeiten;
Alles hebt sich und fällt, der Schwung des Pendels äußert sich in allem;
Der Ausschlag des Pendels nach rechts ist das Maß für den Ausschlag nach links;
Rhythmus gleicht aus.

– Aus dem Kybalion

Kalachakra thangka painted in Sera Monastery, Tibet - ewigeweisheit.de
Kalachakra-Mandala aus dem Sera Kloster in Tibet.

Pendel und Rad sind verwandte Symbole für Schwingung und Zyklus. Beide haben ein Minimum, ein Maximum und ein Äquilibrium. Im Vajrayana-Buddhismus symbolisiert dies Gesetz des Zyklus das Kalachakra-Mandala: das Rad der Zeit. Wie in einer Mühle, so zerfällt im Zyklus der Zeit alles Entstandene in seine Elemente. Um aus diesen Bestandteilen etwas Neues und Besseres zu erschaffen, finden wir in den Geheimlehren der Alchemie und der Hermetik wichtige Hilfsmittel, wie etwa die Tabula Smaragdina des Hermes Trismegistos. Aus ihren einfachen Versen lassen sich die Gesetzmäßigkeiten ableiten, die uns ermöglichen Neues in unserem Leben und in der Welt zu erschaffen:

Hiermit sei vollendet, was vom Meisterwerk der Sonne verkündet werden sollte.

– Vers XIV der Tabula Smaragdina

Was bedeutet dieser, der Schlussvers der Tabula Smaragdina?

Der solare Zyklus, den wir jedes Jahr miterleben dürfen, zeigt wie aus Vergänglichem etwas Beständiges, aus Totem etwas Lebendiges wird. Am Jahreslauf der Sonne lässt sich zum Beispiel der Zyklus aller irdischen Vegetation ablesen:

  • Der Tiefpunkt der Sonnenbahn ist auf der Nordhalbkugel der Erde in der finstersten Zeit des Jahres, zur Wintersonnenwende zwischen dem 21. und 24. Dezember, um Mitternacht erreicht. Es entspricht das einem „Todpunkt“ und ist gleichzeitig der Beginn des neuen, aber noch unterirdischen Wachstums, wie zum Beispiel beim Weizen in der Ackererde. Es ist das Ende der ersten Phase auf dem Weg der Neuschöpfung, was in der Alchemie „Nigredo“, Schwärzung genannt wird.
  • Der Höchststand der Sonne tritt in der hellsten Zeit des Jahres, mittags zur Sommersonnenwende ein. Dies entspricht dem Ende der zweiten Phase: „Albedo“ – der Weißung. An diesem Punkt ist das Wachstum in der Vegetation voll ausgeprägt.
  • Rot ist die Farbe der Sonne im Wechsel von Tag und Nacht, wie in der Morgendämmerung und in der Abenddämmerung. Mit Sonnenuntergang zur Herbsttagundnachtgleiche wird der Prozess durch das hermetische Einschließen der „Prima Materia“, der Ausgangssubstanz in die alchemistische Retorte eingeleitet. Es ist das auch die Phase im Jahreslauf wo die Bäume ihre Blätter verlieren und die Gräser zu welken beginnen. Der rote Sonnenaufgang zur Frühlingstagundnachtgleiche bringt dann schließlich die veredelte Substanz zum Vorschein, womit der alchemistische Prozess in der „Rubedo“, der Rötung vollendet und die edelste aller Substanzen vom Alchemisten gewonnen werden kann: der Stein der Weisen.

Wenn der Mensch in Berührung kommen möchte, mit dem, was bei Weitem größer ist als sein bisheriger Zustand, kann er diesem kosmischen Vorbild gemäß handelnd sein Leben stetig veredeln. Dabei dehnt sich seine Handlungsfähigkeit immer weiter aus.

Dieser Prozess der Veredelung des Selbst beginnt mit der Suche nach Antworten auf zwei sehr wichtige Fragen:

  1. Was ist das wahre Wesens meines Selbst?
  2. Was ist die Rolle dieses gegenwärtigen Selbst, woher kam es und warum hat es sich ins „Zwielicht der äußeren Welt“ begeben, in diese Welt in der es jetzt lebt?

Um zum Kern unserer Existenz vorzudringen, müssen wir unser Inneres vollkommen umgestalten. Das geht aber nicht, wenn wir an den oben dargestellten Jahreszyklen einfach nur passiv teilhaben. Vielmehr müssen wir die drei oben dargestellten Phasen bewusst in der alchemistischen Arbeit hervorrufen, um die ewigen Wiederholungen, einen Trott in unserem Leben zu unterbrechen, aufzulösen und was da bleibt zu etwas wertvollerem umzuwandeln.

Wer immer nur der Selbe bleibt, wird nie erkennen, was wirklich wichtig ist in seinem Leben; das „Rad der Zeit“ gleicht dann einem Hamsterrad, das einen im zyklischen Zeitablauf immer wieder auf die selbe Stelle treten lässt. Man kommt nicht weiter.

Der Keltische Jahreskreis - ewigeweisheit.de
Der Keltische Jahreskreis (Illustration: Selim Levent Oezkan).
Diese Grafik zeigt die hermetischen Korrespondenzen zwischen Mikro- und Makrokosmos, sowie die damit zusammenstehenden Jahresfeste der alten Kelten.
Im inneren, roten Kreis befinden sich die Symbole der vier Elemente: Feuer (oben), Erde (rechts), Luft (unten), Wasser (links). Sie ergeben sich aus den Elementarkräften, die mit den Sonnenstationen zusammenhängen, nämlich Widder (Feuer), Krebs (Wasser), Waage (Luft), Steinbock (Erde).

Was ist Zeit?

Das eben dargestellte Modell zyklischer Zeit, das wir an der Bewegung der Planeten sehen oder einfach nur an den Zeigern der Uhr ablesen können, lässt sich in ein Lineares Zeitmodell ändern. Die lineare Zeit ist die historische Zeit, die sich auf gerader Linie fortsetzt.

Entlang dieser Linie gleicht kein Tag, kein Jahr, kein einziger Moment dem anderen. Jeder Moment ist einzigartig. Doch wir können uns die Zukunft damit zwar positiv vorstellen, doch haben eigentlich keine Ahnung wohin uns diese Zeit letztendlich führen soll. Darum gab es in allen Kulturen der Menschheit immer Endzeitvisionen vom Ausgang der Dinge, vom Ende der Welt und dem Ende der Zeit an sich. Etwas sollte geschehen und das Beil des kosmischen Henkers fallen.

Es gibt aber noch ein drittes, evolutionäres Zeitmodell. Wir können es uns als Spirale denken, in der sich das oben angedeutete zyklische Zeitmuster der Wiederholungen an der senkrechten Linie einer linearen Zeit allmählich emporwindet (die ihrerseits natürlich Teil einer anderen, übergeordneten Zeitspirale sein kann – Stichwort: String-Theorie).

Alles was sich im evolutionären Zeitverlauf ändert, ist im Begriff sich umzuwandeln. Ein Beispiel gibt unmissverständlich zu verstehen, worum es hier geht: Um die Metamorphose der Raupe zum Schmetterling.

Eine Raupe verpuppt sich und verwandelt sich zu einer formlosen Masse, aus der sie sich auf geheimnisvolle Weise wieder zusammensetzt, um sich schließlich aus der Puppe als geflügelter Schmetterling zu befreien. Dieses natürliche Vorbild war in alter Zeit die essentielle Veranschaulichung des alchemistischen Prozesses der Umwandlung. Zwar weiß die Raupe nicht dass sie eines Tages ein Schmetterling sein wird, doch sie weiß, dass sie sich verpuppen muss. Es ist ihr Instinkt, dem sie sich ergibt.

Ähnlich verhält es sich mit der menschlichen Psyche (im Übrigen: „Psyche“ ist das griechische Wort für den: Schmetterling). Jeder von uns weiß instinktiv, dass er sich weiterentwickeln, sich verbessern und wachsen muss, denn tut er es nicht, bewegt er sich auf ein Leiden zu und im seelischen Sinne auf eine Depression (griechisches Wort für die „Unterdrückung“).

Wohin aber solch Weiterentwicklung führt, das weiß nur der, der seinem Selbst näherkommt. Dann aber kann seine Realität einen substanziellen Umwandlungsprozess durchlaufen. Ein Mensch wird dabei zu etwas, was zuvor überhaupt nicht existierte. Es geht also nicht allein um einen evolutionären Wachstumsprozess, sondern um die Entstehung etwas völlig Anderem und Neuem – einer Realität, die jenseits dessen ist, was bisher bekannt war.

Wem diese Umwandlung gelingt, der wird ein transzendentes und zeitloses Wunder erschaffen können und den Stein der Weisen, das rote Elixier des ewigen Lebens finden.

Das Schwarze Land

In den 700 Jahren nach dem Auftreten des Propheten Mohammed, entstanden in der islamischen Welt viele wichtige Schriften zur Alchemie, wo etwa der sagenhafte Dschabir ibn Hayyan (721–815), besser bekannt als „Geber“, oder der khorasanische Ibn Sina (980-1037), genannt „Avicenna“, zu nennen wären.

Mit der Ausbreitung des Islam kam dieses Wissen schließlich nach Europa. Für die islamische Welt war die Alchemie eindeutig ägyptischen Ursprungs. Daher auch ihre Bezeichnung, ist sie doch abgeleitet von dem ägyptischen Namen „Khemet“, das Schwarze Land, woraus bei den Arabern das Wort „Al-Khem“ wurde und die alt-ägyptische Bezeichnung für den schwarzen, fruchtbaren Nilschlamm bildete.

Alchemie wurde aber auch im fernen China betrieben. Anstatt mit Substanzen wie Antimon, Schwefel, Quecksilber und Salz zu hantieren, gab es einen dem menschlichen Körper entsprechenden Symbolismus. Letztendlich ging es auch in China um die Transformation eines niedrigen Zustandes in einen höheren, nur eben mehr auf seelisch-körperlicher Ebene.

Natürlich gehörte auch bei den alten Indern die Alchemie zur hohen Wissenschaft. Sie ähnelte jedoch mehr, als die chinesische, der westlichen Tradition.

Möglicherweise lassen sich die Anfänge der Alchemie auch in der Schmiedekunst entdecken. In alter Zeit waren die Schmieden kleine schwarze Häuser in denen vom Ruß geschwärzte Männer arbeiteten. Sie warfen Metallstücke in die heiße Glut und man sah dort bei lautem Getöse, rote und orangefarbene Funken aus dem Schmiedefeuer sprühen. Schwarze Gesichter, rotes Glühen und Dampfwolken, die beim Abkühlen der geschmiedeten Formen im Wasser entstanden: sowas macht auf den Menschen einen enormen Eindruck. Darum waren Schmieden immer Orte des Staunens, wo reine Fakten über Zusammenhänge keine Rolle spielten, sondern die menschliche Imagination angeregt werden sollte.

Es sind diese Tore der Imagination, die uns helfen in die Welt jener „zweiten Schöpfung“ einzutreten, von der wir oben sprachen.
Alchemie kam aus der menschlichen Seele und ließ den Menschen versuchen, zunächst in seiner Vorstellung und dann in der Welt, die Dinge von ihrem ursprünglichen, in einen höheren und edleren Zustand zu überführen. So wie eben der Schmied, der im Schmelzen von Erzen bestimmte Metalle isoliert und dabei aus dieser Schmelze alle möglichen Formen zu Stande bringt.

Die Hohe Kunst der Umwandlung

Auch im Zeitalter der Aufklärung gab es im Westen einige sehr berühmte Alchemisten. Darunter wären zu nennen der englische Universalgelehrte Sir Isaac Newton (1643-1727), der französische Philosoph Voltaire (1649-1778), der amerikanische Naturwissenschaftler und Staatsmann Benjamin Franklin (1706-1790) oder, als Naturforscher, der bekannte Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832).

Alchemie war lange Zeit in der Naturphilosophie von Bedeutung. Durch die Beobachtung der Verwandlungen in der Natur, erkannte man das Wesen ihrer Elemente. Auch Maler mussten damals Alchemisten sein, denn sie stellten ihre Farben selbst her. Dieses Wissen sollte dann in der „Schwarzen Kunst“ der Buchdrucker an Bedeutung gewinnen.

Trotz dem aber, dass die Alchemie einige tausend Jahre lang als hohe Wissenschaft galt, fand sie während der Aufklärung ihr Ende und versank im Abgrund der zuvor schon bemerkten Quacksalberei. Doch warum?

Für ihren allmählichen Niedergang sorgte das aufkommende Vernunftdenken. Absolute, reale Fakten zählten mehr als intuitiv gewonnene Erkenntnisse. Wissenschaftler interessierten sich für exakte Informationen mehr, als nach Erfahrungen zu suchen. Für sie war der menschliche Körper etwas, das geboren, vielleicht krank wird und irgendwann stirbt. Mit der Transformation der Alchemisten hat das aber nichts zu tun.

Der Alchemist schaut sich die Welt genauer an. Er nimmt an ihr Teil und erfährt sie in ihrem innersten Zusammenhang. Es geht ihm nicht darum die äußere Welt der körperlichen Dinge zu verändern, sondern den Kern ihres inneren Wesens zu enthüllen. Stößt er bei seiner Suche dabei auf dieses innere Prinzip, wird er den Stein der Weisen gefunden haben. Es ist die Suche nach dem Kern des eigenen Selbst. Diese Suche leitet eine Transformation der Persönlichkeit ein, so die Alchemisten.

Der Alchemist, Gemälde: Pietro Longhi - ewigeweisheit.de
„Der Alchemist“, Gemälde von Pietro Longhi (1757).

Der Vorgang der Transformation

Um eine Transformation zu erreichen, muss das feste Gefüge der äußeren Welt erst verschwinden. Dieses Gefüge symbolisiert in der Alchemie das Quadrat.
Etwas soll gefunden werden, dass die eigenen Begrenzungen auflöst, damit die Transformation beginnen kann. Auf unser Leben bezogen: Wenn wir uns außergewöhnliche Veränderungen im Leben wünschen, zum Beispiel von einer schweren Krankheit geheilt, finanziellen Ruin in Reichtum oder Mittelmäßigkeit in Großartigkeit verwandeln wollen, muss etwas gefunden werden, mit dem sich alle physischen, hinderlichen Begrenzungen auflösen lassen. Dann kann die Heilung, die Umwandlung der Lebenssituation oder die tatsächliche Verwandlung von dem einen in einen anderen Zustand tatsächlich gelingen!

Wenn unser statisches, persönliches Gefüge zu bröckeln beginnt, dann setzt ein ähnlicher Vorgang ein, wie bei der Raupe die einen Kokon um sich bildet (synonym zur alchemistischen Retorte) und sich darin in eine formlose Masse auflöst. Diese formlose Masse nennen die Alchemisten die „Prima Materia“, die Urmaterie und Ausgangssubstanz. Sie entspricht dem, dass zu Anbeginn der Zeit war und in der Genesis als finstere „Wüste und Leere“, in der griechischen Kosmogonie als „das Chaos“ bezeichnet wurde. Es war also etwas vollkommen Unbeständigem, das jedoch in sich alle Möglichkeiten der Manifestation enthält.

Alle gewünschten Formen entstehen aus dem Formlosen, aus einer „kreativen Matrix“. Wenn wir aber Formen auflösen möchten, müssen wir zu dieser formlosen Matrix zurückkehren. Denn kreativ bleibt nur das Unvollendete.

Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.

– Oskar Wilde

Der Mensch ist ein unvollkommenes Wesen. Diese unvollkommene Qualität gibt unserer Kreativität aber die Möglichkeit sich in uns zu einer vollkommenen Qualität zu entwickeln!

Schöpferisches Gestalten

Ein alter alchemistischer Spruch lehrt:

Aus einer Frau und einem Mann, aus der Welt, zeichne ein Quadrat, in das Quadrat zeichne einen Kreis, um das Quadrat ein Dreieck und um das Dreieck wieder einen Kreis.

Der Kreis der dem Quadrat folgt, das ist die Prima Materia, der Urzustand der alle Möglichkeiten in sich trägt und aus dem alle Formen hervorgehen können. Darin ist das Potential jede Art Form zu erzeugen. Es ist wie mit einem unförmigen Felsen, aus dem ein Steinmetz jede beliebige Form hauen kann – einen Hund, eine Höhle, einen Menschen usw. Aus diesem Zustand kann alles Mögliche erschaffen werden.

Dieser kreative Schaffensprozess beginnt in der Alchemie in der Phase der Nigredo, der zuvor angedeuteten Schwarzheit (oder Schwärzung). Schwarz steht in der Alchemie für das Vermögen der Natur, Dinge hervorzubringen. Wir erinnern uns an das zuvor erwähnte ägyptische Khemet, die schwarze Erde. Sie wird mit der jährlichen Nilflut als schwarzer Erdschlamm über die Äcker gespült. Hierdurch zum Beispiel werden alle möglichen Pflanzen und Insekten hervorgebracht, die anderen Lebewesen als Nahrung dienen.

Aus Micheal Maiers "Atalanta Fugiens" - ewigeweisheit.de
Ein Bild aus Michael Maiers alchemistischen Werk „Atalanta Fugiens“ (1618).

Aber auch ein vollkommen finsterer, schwarzer Raum, in den kein Licht einfällt, auch dort tauchen alle möglichen Dinge vor unseren Augen auf. Manches was da erscheint, das kann sogar schockieren. Sobald aber dann Licht in den Raum fällt, verändert sich alles.

Das Licht schien in der Finsternis, doch die Finsternis hat’s nicht ergriffen

– Johannes 1:5

Bevor wir unser Leben umgestalten können, müssen die Dinge in unserem Leben zuerst vermindert werden, ganz gleich was auch immer das sein mag. Das ist die dunkle, kreative Matrix von der oben die Rede war. Auf unser Leben übertragen: Wenn wir uns in den tiefsten, seelischen Abgründen und durch finstere Lebensphasen bewegen, ist das eigentlich der Punkt, an dem es wieder bergauf geht, so dass irgendwann auch neues Licht in unser Leben kommt – solange wir den Willen besitzen danach Ausschau zu halten.

Wenn man nach einem wirklich kreativen Einfall sucht, der einem aus einer anscheinend ausweglosen Situation im Leben helfen soll, ist es angebracht, sich erst einmal von all den Meinungen zu befreien, die man gegenwärtig hat – Meinungen über andere und Meinungen über sich selbst. Das heißt nicht, dass diese Meinungen notwendigerweise falsch sind. Die starren Muster in unserem Leben werden aber durch diese Meinungen aufrecht erhalten, Meinungen an denen wir hängen und die verhindern, dass sich etwas in unserem Leben ändert. Neue Erkenntnisse erhellen unser Leben, sobald sich alte Meinungen auflösen.

Es geht aber nicht darum alles bisherige in unserem Leben über Bord zu werfen. Vielmehr gilt es die dunklen mit den lichten Anteilen unseres Seins zu vereinigen. Dies symbolisiert die Alchemie durch die Vermählung von Sonne und Mond im Makrokosmos oder von König und Königin im Mikrokosmos. Hiermit kann der Vorgang der Umwandlung ganz langsam gestartet werden – sobald eine dritte Komponente ins Spiel kommt.

Die beständige Flamme

Es ist wie mit der Retorte des Alchemisten: durch ein Feuer darunter wird die Umwandlung eingeleitet. Das ist die langsame, beständige Flamme des Alchemisten – nicht zu heiß, nicht zu wenig Hitze. Zwar wird damit auch der tatsächliche, physische Zustand beschrieben, doch es ist in erster Linie ein Symbol für etwas, das jeder in seinem Leben etablieren sollte: eine anhaltende, unnachgiebige Entschlossenheit.

Wer die Begeisterung für die eigene Sache verlässt, da er zu schnellt aufgegeben hat, der stürzt ab. Die Aufmerksamkeit des Alchemisten darf also nicht schwanken. Er muss voll dabei, im Hier und Jetzt sein – aufmerksam und stets bereit an seinem „Projekt“ weiter zu arbeiten, bis der Vorgang beendet ist.
Wer nicht dran bleibt, der wird niemals etwas in seinem Leben verändern können. Doch wer echten Willen besitzt, der bleibt den Geschicken seines Schicksals erhaben.

Sulphur, Mercurius et Sal

Nun haben die alchemistischen Symbole von König und Königin einen besonderen Namen:

  • Der König ist Sulphur (Schwefel),
  • die Königin ist Sal (Salz).

Sulphur ist gelb, so wie auch die Sonne gelb ist. Es ist ein „stinkendes Urgold“, ein „Proto-Gold“ (wie etwa das Katzengold oder Pyrit, das eine chemische Verbindung von Eisen und Schwefel, das heißt also eine Modifikation Eisensulfid ist). Und so wie das Salz tatsächlich Wasser aufnehmen kann, als das sogenannte „Kristallwasser“, so kann die Königin symbolisch durch den flüssigen Samen geschwängert werden.

Doch es gibt noch ein drittes Prinzip, das die alchemistische Vereinigung, die „Coniunctio“ von Sulphur und Sal als Mittler fördert. Und das ist der Mercurius. Mit Sulphur und Sal alleine, so die Alchemisten, wird letztendlich kein Werk vollbracht. Erst durch den Geist des Mercurius kann die gegenseitige Beeinflussung beginnen.

Mercurius ist ein symbolisches Medium der Vereinigung, sowie eine vollkommene Kombination aus Flüssigkeit und Feststoff. Auf elementar-materieller Ebene entspricht dem Mercurius das Quecksilber. Das Wesen dieses Metalls ist charakteristisch, da es sich durch einen Stoß leicht in kleine, kugelförmige Tröpfchen trennt, die sich aber eben so schnell wieder zu einer großen Masse zusammenführen lassen.

Die Schwarze Sonne in der Alchemie - ewigeweisheit.de
„Sol niger“ – die Schwarze Sonne der Alchemie, ist ein Symbol der Nigredo (Abbildung aus dem Splendor Solis – 15. Jahrhundert).

Drei Phasen bei der Bereitung des Steins der Weisen

In der Alchemie spielt die Astrologie eine nicht unbedeutende Rolle. Der dem Quecksilber zugeordnete Planet ist Merkur, der sich viermal im Jahr auf enger Bahn um die Sonne bewegt. Wegen Merkur also „Mercurius“ – dem wichtigsten Agens der Alchemie und Hermetik.

Bei den Griechen entspricht Mercurius dem Gott Hermes. Und im alten Ägypten nannte man ihn Thoth. All diese Götter haben das Vermögen zusammenzubringen, zu vereinigen. Das oben erwähnte Dreieck steht für die drei Prinzipien von Sulphur, Mercurius und Sal. Mercurius vereinigt in einem langwierigen Prozess Sulphur und Sal, was in den drei besagten Phasen abläuft, das heißt also in der Nigredo, der Albedo und der Rubedo.

Schauen wir uns diese alchemistischen Phasen im Folgenden einmal genauer an.

Nigredo – Die Schwärzung

1. Zuerst erfolgt die Calcinatio (Kalzinierung). Dabei wird die Ausgangssubstanz, symbolisiert durch das zuvor erwähnte Quadrat, durch Brennen und Glühen im Feuer zu Asche zermürbt. Hiermit werden materielle Begrenzungen aufgebrochen.

2. Die so erhaltene Prima Materia (Ausgangssubstanz, Urmaterie) wird dann in der Solutio (Lösung) aufgelöst bzw. verflüssigt. Hier geht es um den Ist-Zustand unserer psychischen Verfassung. Während einer schweren Lebenskrise braucht dieser Zustand nicht erst herbei geführt zu werden, sondern ist bereits präsent.

3. Nun folgt die Seperatio (Absonderung): eine Trennung in die antagonistischen Bestandteile – König und Königin werden geschieden. In der alchemistischen Praxis erfolgt in diesem Schritt die Ausfilterung der festen Bestandteile, aus der durch die Solutio hergestellten Lösung. Mit der Separatio werden die inneren von den äußeren Seelenanteilen getrennt, verborgene Seelenanteile erkannt (vergl. Anima und Animus bei C. G. Jung) und entfaltet. Es geht um das Erkennen verborgener Anteile des Selbst.

4. König und Königin werden in der Coniunctio (Verbindung) wieder vermählt, sie umarmen und vereinigen sich, verschmelzen miteinander. Gemäß C. G. Jung wird in diesem Prozess der Vereinigung der ursprüngliche Lichtmensch geschaffen. Er ist ein archetypisches Wesen, dass vor der ersten Weltschöpfung existierte (vergleiche mit dem „Adam Kadmon“ der Kabbala). Die bewusst gewordenen Anteile werden in der Coniunctio mit dem alten Selbstbild vereint.

5. Miteinander vereinigt, tritt dann in der Mortificatio (Abtötung) der Tod des Vereinigunsproduktes ein. Hierbei werden die unreinen, dunklen Anteile ausgeschieden. Dieser alchemistische Prozess entspricht in der Psychologie dem Zustand der Finsternis (die einer in sich aufzusteigen spürt, der etwa eine absolute Niederlage in seinem Leben erfährt).

Tief in des Dunkels Schoß,
verborgene Stufen längs, vermummt, umdichtet –
Oh wunderseliges Los! –
nachts, jedem Blick vernichtet,
mein Haus in Stille lassend, tiefbeschwichtet!

Geheim, in Zauberringen
der Dunkelheit, wo mich kein Blick erkannte,
wo ich nichts sah von Dingen
und nichts mir Strahlen sandte
als jenes Leitlicht, das im Herzen brannte!

– Heiliger Johannes vom Kreuz: „Die Dunkle Nacht der Seele“

6. Danach kommt es zur Verwesung des getöteten Vereinigungsprodukts: Putrefactio (Fäulnis). Der reinste Teil steigt auf, der gröbere Teil stirbt und fällt ab, so wie das verwesende Fleisch der Leiche von den Knochen fällt. Psychologisch kann dieser Vorgang am besten durch den Zustand tiefer Depression beschrieben werden. Dieser Vorgang ähnelt auch der im alt-ägyptischen Mythos beschriebenen Zerstückelung des Osiris.

7. Mit der Coagulatio (Zusammenführung) dann beginnt die eigentliche Transformation. Die geistigen, aufgestiegenen Anteile kehren zurück und werden in die Lösung eingebunden, woraus sich feste Bestandteile in Form von Kristallen bilden und es allmählich zur Gerinnung kommt. Psychologisch empfindet der Mensch diesen Zustand als neue Zuversicht, da sich in seiner Seele neue Emotionsformen bilden.

Diese sieben Schritte müssen ganz in Ruhe, bei „stetiger Wärme“ durchgeführt und ausgebrütet werden. Dann wird sich alles zu dem fügen, wie es für den Vorgang bzw. unser Leben am Besten ist. Damit ist die Phase der Nigredo abgeschlossen, was bei der Bereitung des Steins der Weisen zur Weißung führt.

Albedo – Die Weißung

8. In der Sublimatio (Sublimierung) wird die schwarze Masse in der Retorte, allmählich immer heller, von grau bis weiß, gewinnt immer mehr an Licht. Laut C. G. Jung beginnt hier auch die seelische Transformation. Es dämmert in der Seelennacht ein immer heller werdendes Licht eines neuen Anfangs.

9. Mit der Ablutio (Reinigung), der Waschung kehrt Leben in das Geschehen zurück – seelische Probleme haben sich geklärt.

Hiermit ist die Albedo abgeschlossen.

Rubedo – Die Rötung

Das Rot der Rubedo zeigt an, dass der alchemistische Prozess abgeschlossen ist. Der Stein der Weisen wurde gefunden und daraus das rote Elixier des ewigen Lebens gewonnen.

Mit dem Entstehen dieses roten Wundersteins, ist alles möglich. Und wenn alles möglich ist, so können auch unedle Metalle wie Blei in Gold verwandelt, ja sogar das Leben eines Menschen damit verlängert werden. Dieser Stein der Weisen ist identisch mit dem Lapis Exilis, nach dem der Sagenheld Parzival, in dem gleichnamigen Epos des deutschen Dichters Wolfram von Eschenbach (1160-1220), fündig wird mit dem Heiligen Gral.

Die Rote Sonne des Splendor Solis - ewigeweisheit.de
Die Rote Sonne – Symbol des Steins der Weisen (Abbildung aus dem Splendor Solis – 15. Jahrhundert).

Ziele der Alchemie

In der Alchemie geht es nicht darum ein äußeres, wertvolles Produkt wie etwa Gold herzustellen. Das ist zweitrangig. Vielmehr ist das Hauptziel die Transformation des Ausübenden: Aus einem „normalen Menschen“ wird dabei ein „Wundermensch“. Sein Tun ist allein durch den Himmel begrenzt – auf Erden aber ist ihm alles möglich. Einen Alchemisten, dem die Herstellung des Steins der Weisen geglückt ist, den könnte man darum auch als einen Adepten bezeichnen. Er wird zu einem gottähnlichen, allmächtigen Wesen.

Wer sich wirklich zu dieser Ebene des Seins aufgeschwungen hat, für den werden alle bisherigen Vorstellungen und Erfahrungen langweilig und uninteressant. Nicht das er jetzt ein größeres Ego entwickelt hätte. Eher kann er jetzt alle unedlen Erfahrungen, Halbwissen, Ignoranz oder Krankheit zu etwas höherwertigem, zu etwas Weisem, Heilem und Tolerantem umwandeln. Das heißt, alles, ganz gleich ob grau, klumpig oder wertlos, lässt sich zu strahlendem Gold transmutieren – sowohl im übertragenen, wie auch im tatsächlichen Sinne.

Vielleicht kann die Seele den oben beschriebenen, wundersamen Vorgang der Umwandlung, auf alle möglichen Lebenserfahrungen anwenden. Das bedeutet: Alles was bisher langweilig und schlecht erschien, wird plötzlich zu etwas ganz Wunderbarem. Das Leben selbst verwandelt sich in ein einziges großes Wunder – wo immer wir auch hinsehen, da entdecken wir Gold. Was sich im alchemistischen Prozess verwandelt hat, sind wir selbst! Die Suche und das Gewinnen des Steins der Weisen hat uns verändert.

Alle großen Alchemisten wussten, dass metallisches Gold nur ein Nebenprodukt eines viel wichtigeren und viel wertvolleren Geschehens ist, an dem man während seiner Arbeit teilhat, bei der Bereitung des Steins der Weisen.

Der Alchemist muss sich also selbst verändern, bevor er die Welt und ihre Erscheinungen verändern und umformen kann. Er betrachtet die Gegenstände in der Welt als eine alchemistische Retorte, in der das Licht der Erkenntnis konserviert und daraus hervorgebracht wird.

Es geht eben darum die Weisheit, die die alten Griechen „Sophia“ nannten, aus den Fängen materieller Sichtweisen und Meinungen zu erlösen. Sophia ist identisch mit der Phase der Rubedo im großen Werk der Alchemie. Wohl nicht zufällig wird sie in der Ikonographie stets als rothaarige, in rote Roben gekleidete Heilige dargestellt.

Aufgabe des Alchemisten ist also die geheimnisvolle Sophia in ihrer herrlichen Erscheinung aus der Erde zu erlösen, aus den Fesseln materieller Beschränkungen zu entbinden.

Das Geheimnis, Gemälde: Felix Nussbaum - ewigeweisheit.de
„Das Geheimnis“, Gemälde von Felix Nussbaum (1939).

Geheimhaltung

Es hat seinen Grund, dass alchemistische Schriften oft nur schwer verständlich und irreführend geschrieben sind. Niemand sollte sich ihrer bemächtigen können, ohne nicht zuvor den Weg der Selbstläuterung gegangen zu sein. Im Übrigen ist das der einzige Grund wieso es überhaupt Geheimnisse gibt. Wer zu schnell an esoterisches Wissen kommt, den kann es überwältigen, was mitunter folgenschwere Konsequenzen nach sich ziehen kann.

Alchemie ist ein „geheimer Weg der Verwandlung“, ein „geheimer Weg des Lebens“, mit dem Weisheit gefunden wird. Das ist das Lebensziel des Menschen im Großen Werk der Alchemie: dem „Opus Magnum“.

Vielleicht befinden auch Sie sich ja bereits auf diesem Weg ohne davon zu wissen. Letztendlich ist jeder von uns darum in dieser Welt zugange. Wenn Sie sich dessen bewusst werden, werden Sie hoffentlich auch den sagenhaften Stein finden, der Ihnen die Macht verleiht alles, auch im übertragenen Sinne, in edelstes Gold zu verwandeln.

 

3 Kommentare
  1. Seit 15 Jahren bin ich auf
    Seit 15 Jahren bin ich auf der Suche,und habe ihn gefunden !
    Nun geht es darum,das auch im Alltag umzusetzen.
    Holger

    1. „Wer glaubt er könne die Welt
      „Wer glaubt er könne die Welt neu sehen, mit alten Augen, der ist wohl ebenso töricht, wie einer wähnte, er sei ein anderer, nur weil er neue Kleider trüge.
      Und wenn einer auch den Stein der Weisen fände, da er die Solutio und Coagulatio bewirkte, nimmer würde er den Stein der Weisen erzeugen können, trüge er ihn nicht schon in sich. Wenn auch solch einer Gold machen könnte damit, er bliebe dennoch ein armer Mann.“ – Aus einer alchemistischen Handschrift

  2. Da ward ein roter Leu, ein
    Da ward ein roter Leu, ein kühner Freier,
    Im lauen Bad der Lilie vermählt,
    Und beide dann mit offnem Flammenfeuer
    Aus einem Brautgemach ins andere gequält.
    Erschien darauf mit bunten Farben
    Die junge Königin im Glas,
    Hier war die Arzenei, die Patienten starben,
    Und niemand fragte: wer genas?

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