Christliche Mystik - ewigeweisheit.de

Wer fragt nach Christlicher Mystik?

Wenn wir von Mystik sprechen, geht es da um eine besondere Form der Esoterik, eine geheime, innere Geistesdisziplin? Oder was vielleicht hat das Wort Mystik mit dem Mysteriösen zu tun? Eine Antwort auf beide Fragen wäre, dass es beim Mystischen um ein, sagen wir, „magisches Erleben“ geht.

Und zu solch Erleben kann etwa gehören, wenn man in den Herbst- und Winternächten das Sternbild Orion erblickt und um seine Mythologie weiß, was weit in die Zeit der Alten Ägypter zurückreicht: Die Geschichte vom Gottkönig Osiris, der mit seiner göttlichen Gattin Isis den kleinen Horus zeugte, als Symbol für das Licht der Welt (man vergleiche das mit der Licht-Symbolik im 8. Kapitel des Johannes-Evangeliums).

Oder man kennt das Datum des Frühlingsanfanges und wartet auf den ersten Vollmond nach diesem Termin, um sich vorzubereiten auf das, was in einem vielleicht darauf wartet, sich während der Osternacht als geheimes Licht in einem mystischen Erleben zu eröffnen.

Fragt man jemanden heute, was er sich unter dem Begriff „Mystik“ vorstellt, bekommt man vielleicht zur Antwort, dass die mystischen Momente im Leben jene seien, worin man sich bemüht das Göttliche zu erfassen.

Wenn es um christliche Mystik geht, da fallen sehr vielen Menschen wahrscheinlich dann so Namen ein wie Bernhard von Clairvaux, Hildegard von Bingen, Meister Eckhart oder Teresa von Avila. Doch diese Namen stammen teils aus ferner Vergangenheit. Wenn wir aber dem Begriff der Mystik heute nähern wollen, kreuzen unsere Wege sicher auch die Namen von Mystikern anderer Religionen, wie etwa aus dem Judentum, als ein Mosche de Leon oder Isaak Luria, oder islamische Mystiker wie Rabia von Basra, Ibn Arabi oder Dschallaliedin Rumi.

Glaube und Mystik

Heute haben sich viele Menschen in West-Europa vom religiösen Leben anscheinend entfernt. Viele Kirchen sind verschlossen oder werden Gottesdienste von nur wenigen Menschen besucht. Doch bedeutet das, dass Menschen an nichts mehr glauben?

Sicher mag das für viele zutreffen. Doch sicher finden immer mehr auch auf eher inneren Wegen zu dem, wo sie das Thema der Christlichen Mystik als ihre Spiritualität zu erleben in Betracht zu ziehen beginnen.

Weniger ist es dann aber eine Suche nach einer Institution im Außen, als eher eine direkte Erfahrung des Göttlichen als eine substantielle Wirklichkeit. Nur kommt man da nicht weiter, wenn man versucht bestimmte Lehren auswendig zu lernen oder dem reinen Dogma folgt. Vielmehr geht es demjenigen, der Mystik erfahren will darum, die herkömmlichen Regelwerke zu überwinden und so eingefahrene Wege des Verstandes zu verlassen, um in sich einen Weg des Herzens erleben zu lernen, durch ein Fühlen einer Art „Göttlicher Emotionalität“.

Was aber soll das sein? Und kann man damit Mystik erklären?

Sicherlich ist es sinnvoll sich auf die Suche nach Menschen zu begeben, denen man vertraut und von denen man weiß, dass sie selbst bereits eine mystische Erfahrung machten. Das sind dann Menschen die mit einem ihre spirituellen oder „heiligen“ Erlebnisse teilen und einem dabei behilflich sein können, die eigenen mystischen Erfahrungen zu erkennen.

Für jeden Menschen bedeutet Mystik aber etwas anderes, erfährt doch auch jeder Mensch sein emotionales Schauen auf sein Leben ganz individuell. Darum auch gibt es entsprechend keine Definition von Mystik die für jeden Menschen gilt.

Vom Lied der Lieder

Durch den frühchristlichen Philosophen und Kirchenvater Clemens von Alexandria (150-215 n. Chr.), der selbst in die Mysterien von Eleusis eingeweiht wurde, kam das Adjektiv „mystisch“ in die Welt. Damals bezeichnete man damit die verborgenen Wirklichkeiten des christlichen Lebens. Schon zu Clemens‘ Zeiten verwendete man wohl diesen Begriff vom „Mystischen“, um auf die innere Kraft der christlichen Riten und Sakramente hinzuweisen. Es war damit ein direktes Erleben des Göttlichen gemeint, ein „Schauen Gottes“. Dabei ist interessant, dass sich das hierzu verwendete griechische Wort „mystikos“ sich von dem Verb „myein“ ableitet, was soviel bedeutet wie den Mund oder die Augen zu schließen.

Es geht da also um einen Vorgang den jeder Mensch eigentlich auf natürliche Weise vollzieht, wenn er etwas numinoses erlebt, das heißt etwas, dass ihn erschaudern lässt doch gleichzeitig anzieht. Und es dürfte kaum verwundern, dass in diesem Zusammenhang auch der Begriff der Erotik eine gewisse Rolle spielt.

Da begegnet uns das Hohelied Salomos, eine kanonische Schrift der Hebräischen Bibel, dass der christliche Mystiker Bernhard von Clairvaux (1090-1153) in 86 Predigten ganz ausführlich kommentierte. Darin interpretiert er König Salomos Hohelied in Bezug auf die Liebe zwischen Gott und der Seele. Für ihn ist Gott tief in jeden Menschen verliebt und wünscht sich, wie sich dem Hohelied entnehmen lässt, dass wir seine Liebe erwidern. Diese Liebe zwischen der Seele und Gott, die innigste Liebe überhaupt, wird in der Analogie von Braut und Bräutigam ausgedrückt, in der die Intimität der Liebe besonders zum Ausdruck kommt. Darum ist es kaum Zufall, wenn diese Liebesdichtung eben entsprechend erotische Allegorien verwendet, um solch heilige Begegnung von Geliebter und Geliebtem zu beschreiben beziehungsweise die Sehnsucht beider danach.

Ich bin eine Blume zu Saron und eine Rose im Tal.
Wie eine Rose unter den Dornen, so ist meine Liebste unter den Töchtern.
Wie ein Apfelbaum unter den wilden Bäumen, so ist mein Liebster unter den Söhnen. Ich sitze im Schatten, des ich begehre, und seine Frucht ist meiner Kehle süß.
Er führt mich in den Weinkeller, und die Liebe ist sein Banner über mir.
Er erquickt mich mit Blumen und labt mich mit Äpfeln, denn ich bin krank vor Liebe.
Seine Linke liegt unter meinem Haupt, und seine Rechte herzet mich.

– Hohelied Salomos 2:1-6

Aber nicht „nur“ die Beziehung Gottes zur Seele des einzelnen Menschen lässt sich aus den Versen des Hohelied herauslesen, sondern auch die Beziehung Gottes zu allen Gläubigen, zu seinem Volk und damit auch zum Haus Gottes, das als gottesdienstlicher Ort die Zusammenkunft der Seelen in einem geheiligten Sinne ermöglicht. Und eben auch da kann jemand seine mystische Erfahrung zu einer ganz intensiven Liebesbegegnung mit Gott leiten.

Mystik schmecken?

Die Mystik lässt sich allegorisch vergleichen mit den Früchten eines Baumes, der seinerseits für die religiöse Tradition steht. Darum auch betonen die christlichen Überlieferungen immer, dass es um die „Früchte“ der mystischen Erfahrung geht.

Portrait des Johannes vom Kreuz (17. Jahrhundert, unbekannter Künstler) - ewigeweisheit.de
Portrait  des Johannes vom Kreuz (17. Jahrhundert, unbekannter Künstler)
[…] an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.
– Matthäus 7:20

Es muss ein echtes Gott-Erfahren sein – ein „Schmecken“ (wie es die Mysterientraditionen nennen) – das sich direkt auf das Leben auswirkt. Göttliches verbirgt sich einem Menschen im mystischen Erleben nicht länger, sondern wird von ihm innerlich bewusst vernommen und macht (auch im Stillen) das Gotteswort („auf der Zunge“) zur Erfahrung.

Der Vater sprach ein Wort, das sein Sohn war, und dieses Wort spricht er immer in ewiger Stille, und in der Stille muss es von der Seele gehört werden.
– Aus „Worte von Licht und Liebe“ des spanischen Mystikers Johannes vom Kreuz (1542-1591)

Glücksempfinden als mystische Erfahrung

Wie schon oben angedeutet, können uns andere Menschen – auch historische Charaktere der christlichen Vergangenheit – in unserem Leben inspirieren, nicht nur mystische Erfahrungen zu machen, sondern diese auch als solche, in ihrer glückvermittelnden Form zu erkennen. Mystische Menschen ermutigen uns, regelmäßig aus unserer göttlichen Quelle zu schöpfen, zu unserem eigenen Wohlbefinden und zum Wohle der anderen Menschen. Das setzt bei einem Mystiker aber voraus, dass er wagt dem Wesen seines Lebens, in seiner ganzen Schönheit doch auch mit all seinen Widerständen, auch wirklich auf den Grund zu gehen. In jedem von uns sprudelt solch Quelle der Spiritualität. Sie lässt sich erfahren und wartet darauf entdeckt zu werden.

Wie man in den verschiedenen mystischen Strömungen der Religionen aber immer wieder erfährt, geht es eigentlich gar nicht darum diese Quelle des Göttlichen in uns zu suchen. Vielmehr soll ein Mensch versuchen sich für das zu öffnen, was nach einem sucht, damit man von diesem – dem Göttlichen – auch gefunden werden kann. Das bedeutet, dass jemand berührbar wird für das Wunderbare – etwas, dass ihn in seinem Leben jeden Tag beschert wird – in all dem Guten, doch eben auch im Schwierigen, in den Herausfordernden unseres irdisch-körperlichen Daseins.

Alles was uns widerfährt, erleben wir in unserem Körper, auch wenn er „nur“ das Medium zwischen unserer Innerlichkeit und dem Außen in all unserem Geben und Nehmen bildet. Er sollte sich darum wohl fühlen, was bereits damit beginnt, dass wir uns regelmäßige Atempausen gönnen, uns strecken, lockern und tief durchatmen. Es ist die Achtsamkeit die vielen Menschen heute verloren gegangen zu sein scheint, damit sie sich an das eben Besagte überhaupt erinnern. Schon beim Gehen kann aber Achtsamkeit beginnen. Allein ein Achten auf die Schritte die wir täglich gehen, vermittelt uns ein Gefühl selbst zu sein, selbst zu leben und uns weniger leben zu lassen.

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