Sowohl in den Religionswissenschaften als auch in der Psychologie verwendet man den Begriff »Ekstase«, um damit einen ausnahmeartigen Zustand der Trance zu beschreiben. Ein Mensch der eine solche Ekstase erlebt, erfährt sie entweder in einer übernatürlichen Erfahrung oder in einem erotischen Erlebnis.
In der Vergangenheit wurden die Momente, in denen ein Mensch eine mystische oder erotische Ekstase erlebte oft auch von Psychologen und Psychiatern betont. Doch man sprach dann weniger von einer Form religiösen Erlebens, als damit leider meist nur auf abwegige, hysterische Zustände hinzudeuten.
Der Grund dafür liegt anscheinend im Begriff der Ekstase an sich, der heute eben meist auf einen unreinen und damit verdächtigen Charakter besitzt. Doch dass es sich eigentlich um ein und die selbe Erfahrung handelt, zu der ein Mensch auch in echter Spiritualität finden kann, haben wohl nur die wenigsten Menschen je erfahren.
Gewiss bewegen wir uns bei solch einer gewagten Betrachtung in einem Zwischenbereich. Denn es kann leicht passieren, dass der Begriff der Ekstase verkehrt wird derart, dass man glaubt, dass das eigentlich sexuelle Element das grundlegende Element sei, während die mystische Ekstase nur dazu dient, eine abwegige Erscheinung dessen zu sein.
Man muss darum sehr vorsichtig sein, da es oft vorkommt, dass hier eine Sakralisierung der Sexualität verwechselt wird mit einer eigentlichen Versinnlichung des Heiligen. Doch die damit einhergehende Metaphorik hat ihre Ursprünge bereits in den uralten Legenden der Alten Griechen, in denen Dionysos, der alte Gott der Fruchtbarkeit und Ekstase, von zentraler Bedeutung ist. Den damit verbundenen Kult, den man wohl über Jahrtausende zu Frühlingsanfang abhielt, beschrieb der griechische Dichter Euripides (485-406 v. Chr.) als ein orgiastisches Fest, in dem Menschen in eine extreme Erscheinungsform der Trance fielen, die manchmal gar die Todesschwelle berührte. Natürlich erinnert das an initiatorische Riten, in denen ja insbesondere die vorweggenommene Todeserfahrung eine zentrale Rolle spielt.
Es scheint darum auch kein Zufall zu sein, dass die profane Betitelung des erotischen Orgasmus, als »Kleinen Tod«, eben solch einen dabei erfahrenen Bewusstseinsverlust vergleicht mit dem Erlebnis des Sterbens.
Trance-Erfahrung im Drehtanz
Auf höherer Ebene jedoch gehört die Tatsache, dass bei vielen indigenen Völkern manche zur Ekstase führenden Initiations-Techniken, oft ihrem Wesen nach identisch sind mit den Techniken einiger erotischer Riten. Das gilt in erster Linie für den spirituellen Tanz, der seit ältester Zeit eine gebräuchliche Methode ist, um darin zur Ekstase zu kommen. Wir stehen hier vor einem Phänomen, in welchem verschiedene Formen ein und desselben Rausches ein gleiches Ziel ansteuern. Darum lassen sich an diesem Phänomen auch Zeichen ablesen, für eine im Eros verborgenen Kraft, die weit über das rein Individuelle einer Person hinausführt.
Der Sufi-Mystiker Dschallaladin Rumi (1207-1273) äußerte sich zu dieser Parallele von Mystik, Eros und Tod in einem seiner Gedichte:
Seele, willst ein Stern dich schwingen um dich selbst
Wirf von dir des Lebens Nöte, Gott, nur er!
Wer die Kraft des Reigens kennet, lebt in Gott,
Denn er weiß, wie Liebe töte. Gott, nur er!
– Aus »Schall, o Trommel« (23 Lieder des Dschallaladin Rumi)
Und dies darf man auch als den Schlüssel zu den Verfahren einer Schule der islamischen Mystik betrachten, die Jahrhunderte hindurch bestanden hat und die sich bis heute zu Rumi als ihrem Meister bekennt: Die weltberühmten, drehenden Mevlevi-Derwische.
Rumi hatte einst aus großer Trauer um den Tod seines geliebten Lehrers Schams-i Tabrisi einen besonderen Reigentanz ersonnen, den einer seiner Söhne später zur zentralen Symbolik des Mevlevi-Ordens erheben sollte. Wichtigste spirituelle Praxis dieses Ordens ist der »Sema«, ein besonderer Drehtanz, wo die tanzenden Derwische durch kreisende Bewegungen in Ekstase geraten.
Bevor sie den Drehtanz beginnen, werfen die Mevlevis zeremoniell ihren schwarzen Mantel ab, was ein Symbol ist für ein Hintersichlassen ihres dunklen Erdenlebens, um im Jetzt zu sterben, dabei in göttlicher Liebe aufzugehen und zu einem höherem Leben zu erwachen.