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Das Lied von der Perle

Der ursprüngliche Titel dieses wunderschönen Gedichts ist uns heute leider nicht mehr bekannt. Der alternative Titel »Die Hymne der Seele« deutet bereits an was der Inhalt dieses alten Textes ist. Als »Das Lied von der Erlösung« gab es der deutsche Philologe und Theologe Erwin Preuschen (1867-1920) heraus, während es der englische Theosoph George R. S. Mead (1863-1933) »Die Hymne des Gloriengewands« nannte.

Perle, Seele, Erlösung und Gloriengewand – das sind Begriffe die auf den Kern unseres Daseins hindeuten, seine Bestandteile und den Weg der werdenden Seele bis zu ihrer Erlösung aus dem Zyklus der Wiedergeburten.

Zentrales Objekt dieses Gedichts ist die Perle – ein Symbol für die Gnosis – der religiösen Geheimlehre, in deren Umfeld sich im 3. Jhd. n. Chr. verschiedene Gruppierungen bildeten. Ich habe mich in dieser Fassung darum für den Titel »Das Lied von der Perle« entschieden. Denn die Perle erhebt sich wegen ihrer Schönheit aus dem Wirrwarr des profanen Erdenlebens. Dieser Titel wurde auch übernommen von Max Bonnet, der im Jahr 1903 den Originaltext in Rom entdeckte und später in denen von ihm gesammelten »Thomasakten« veröffentlichte. Das Perlenlied gehört also zum gnostischen Text-Corpus des heiligen Thomas, wie auch die ihm zugeschriebenen 114 Verse des Thomas-Evangeliums.

Der Zwilling

Thomas war einer der drei Jünger, die neben seinem Bruder Jakob (dem Gerechten) und Maria Magdalena, Jesus am nächsten standen. In den Texten der Gnosis werden Thomas und Maria Magdalena immer wieder angegeben, als wichtigste Apostel. So wie der Heilige Petrus für den Katholizismus eine zentrale Rolle spielt, so ist der heilige Apostel Thomas von Bedeutung für die Gnosis. Er gilt als der wichtigste Apostel, denn er war es, der die Lehre Jesu, in ihrer innersten Wahrheit verstanden hatte.

Thomas wurde später ein großer Lehrer, dem viele nachfolgten. Er begab sich auf eine Reise nach Indien. Noch heute leben dort die Nachfahren seiner Jünger – die sich »Thomaschristen« bezeichen – im Bundessaat Kerala, damals Malabar genannt. Die indischen Christen sehen sich auch als die ersten Christen überhaupt, noch lange bevor andere Christengemeinden in Europa entstanden (durch Paulus in Griechenland oder Petrus in Rom). Sie waren also die ersten Christen außerhalb Palästinas.

In manchen Überlieferungen wird Thomas als Jesu Zwillingsbruder bezeichnet. Daher der griechische Beiname »Didymus« der »Zwilling«. Bereits aber der Name »Thomas«, ist aramäischen Ursprungs und auch »Thomas« bedeutet »Zwilling«.

Das Gedicht

Das in alt-syrischer Sprache verfasste Manuskript, geht auf die gnostische Schule der Bardesanisten zurück, die als Gruppe von Dichtern Anfang des 3. Jhd. n. Chr. in Mesopotamien, westlich des Euphrat siedelte. Der Name dieser gnostischen Gruppierung geht auf ihren Gründer Bardaisan (154-222) zurück. Er gilt als Verfasser des Perlenlieds, dass er wahrscheinlich in Edessa niederschrieb. Er stammte aus reichem Elternhaus und wurde am Hof in Edessa, gemeinsam mit dem Kronprinzen der Abgaren aufgezogen. Er selbst, zuerst Heide, konvertierte später zum gnostischen Christentum und versuchte den Thronfolger davon zu überzeugen, das gnostische Christentum als Staatsreligion einzuführen.

Bardaisan war erfüllt von einem Verlangen, die Geheimnisse der Gnosis zu durchdriungen. Er schloss sich einer Handels-Karawane an, die ins ägyptische Alexandria reiste. Auf dieser Reise kam er in Kontakt mit einem Landesgenossen, der sich ebenso auf der Suche nach den Geheimnissen der Gnosis befand. Der warnte Bardaisan vor den Pseudo-Sekten und Charlatanen, die sich als Gnostiker ausgaben. Doch leider fiel er in Ägypten in die Hände skrupelloser Magier, die ihn vergessen ließen, weshalb er sich auf seine spirituelle Reise begab. Erst später, als er sich aus den Fängen dieser falschen Gnostiker befreien konnte, wurde er initiiert, im inneren Kreis der valentinischen Gnosis. Wenn man das Gedicht liest, scheint es, als wären Teile dieser persönlichen Geschichte Bardaisans, teils in die geheimnisvolle Poesie seines Perlenliedes eingeflossen.

Bardaisans Gedicht ist eine wirkliche Inspiration für alle »Sucher der Erkenntnis«.

Zu vielen Begriffen und Symbolen im Text gibt es am Ende dieser Seite Fußnoten mit Interpretation und Erklärungen (klicken Sie auf die Begriffe im Text, die sie direkt zur Fußnote führen; am Ende jeder Fußnote finden sie einen Link  um zum Vers zurückzukehren).

Einleitung

Als der heilige Apostel Thomas sich auf seiner Reise nach Indien befand, nahm man ihn gefangen und warf ihn ins Gefängnis. Dort sprach er ein Gebet. Und als er gebetet hatte, setzte er sich und sang diese Hymne:

I.

Als ich ein kleines Kind war und in meinem Königreiche, in meinem Vaterhause wohnte, und mich erfreute am Reichtum und an der Pracht meiner Ernährer, entsandten mich meine Eltern vom Morgenland, unserer Heimat, nachdem sie mich ausgerüstet hatten. Und aus dem Reichtum unseres Schatzhauses schnürten sie mir eine Last zusammen, groß und doch leicht, so dass ich sie selbst tragen konnte.

II.

Gold aus Beth-Ellaya und Silber von Gazak dem Großen, Rubine aus Indien und Achate aus Beth-Kashan. Und sie umgürteten mich mit dem Diamant, der Eisen ritzt, und sie zogen mir das glänzende Gewand aus, das sie mir in ihrer Liebe gemacht hatten, und die purpurne Toga, die nach dem Maße meiner Gestalt gewebt war.

III.

Und sie schlossen mit mir einen Pakt und schrieben ihn mir in mein Herz, das ich ihn nicht vergessen möge:

»Wenn du nach Ägypten hinabsteigst und die eine Perle bringst, die in der Mitte des Meeres ist, das der laut atmende Drachen umschließt, dann sollst du dich wiederum in dein glänzendes Gewand und in deine Toga kleiden, die darauf liegt, und sollst mit deinem Bruder, unserem Zweiten –, Erbe in unserem Reiche sein.«

IV.

Ich brach auf vom Morgenland und stieg hinab, geleitet von zwei Wächtern, denn der Weg war gefährlich und schwierig und ich war zu jung, ihn (allein) zu gehen. Ich durchschritt das Gebiet von Maischan, dem östlichen Treffpunkt der Kaufleute, und kam zum Lande Babylon und betrat die Mauern von Sarbug. Ich stieg hinab nach Ägypten und meine Gefährten (Wächter) verließen mich.

V.

Ohne Umweg ging ich zu dem Drachen, nahm Wohnung nahe seiner Stätte, bis er schlummern und schlafen würde und ich meine Perle ihm entwenden könnte. Und da ich völlig allein und den Mitbewohnern meiner Herberge ein Fremder war, erblickte ich dort einen Mann meines Stammes, einen Edelmann aus dem Morgenland, einen jungen Mann, schön und von Anmut, einen Sohn von höchstem Adel; und er kam und hing mir an.

VI.

Ich machte ihn zu meinem Freund und meinem Gefährten und ließ ihn teilhaben an meinem Handel. Ich warnte ihn vor den Ägyptern und vor den Beziehungen zu den Unreinen. Ich aber bekleidete mich mit ihren Gewändern, damit sie nicht gegen mich Verdacht schöpften, ich sei von auswärts gekommen, um die Perle zu nehmen, und damit sie nicht den Drachen gegen mich aufscheuchten.

VII.

Aus irgendeinem Grunde aber bemerkten sie, dass ich in ihrem Land ein Fremder war. Und sie näherten sich mir mit List und gaben mir zu essen ihre Speise. Ich vergaß, dass ich ein Königssohn war, und diente ihrem König als Sklave. Und alles was die Perle betraf vergaß ich, um derentwillen mich meine Eltern entsandt hatten; und durch die Schwere ihrer Speisen versank ich in tiefen Schlaf.

VIII.

All dies, was sich aber mit mir begab, ward meinen Eltern kund und sie sorgten sich meinetwegen. Und in unserem Königreiche wurde verkündet, dass ein jeder komme zum Tore (unseres Reiches): Die Könige und Häupter von Parthien und alle noblen Prinzen des Morgenlands; und meinetwegen fassten sie einen Entschluss, dass man mich nicht in Ägypten lassen solle. Und sie schrieben einen Brief an mich, und jeder Große unterzeichnete ihn mit seinem Namen:

IX.

»Von deinem Vater, dem König der Könige, und deiner Mutter, der Königin des Morgenlands, und von unserem Zweiten, deinem Bruder, dir senden wir, unserem Sohne in Ägypten, Gruß. Auf, erhebe dich von deinem Schlaf und höre die Worte unseres Briefes. Erinnere dich, dass du ein Königssohn bist. Siehe wem du als Sklave dienst! Erinnere dich an die Perle, derentwegen du nach Ägypten reistest!«

X.

»Erinnere dich deines glänzenden Gewandes und gedenke deiner prächtigen Toga, die du tragen sollst und mit der du geschmückt sein sollst, dass im Buche der Tapferen dein Name gelesen werde! Und mit deinem Bruder, unserem Erben, zusammen sollst du Thronfolger in unserem Reich sein!«

Der Brief war ein Sendung, die der König mit seiner Rechten versiegelt hatte, ihn zu verschonen vor den Bösen, den Kindern von Babylon und den tyrannischen Dämonen von Sarbug.

XI.

Er flog wie ein Adler, dem König aller Vögel. Er flog und ließ sich neben mir nieder, wurde ganz und gar zum Wort. Bei seiner Stimme, dem Geräusch seines Rauschens, erwachte ich und erhob mich aus meinem Schlaf; ich nahm ihn auf und küsste ihn und löste sein Siegel und las. Ganz so wie in meinem Herzen aufgezeichnet, waren geschrieben die Worte meines Briefes.

XII.

Ich entsann mich, dass ich ein Königssohn sei und ich entdeckte meine noble Abstammung. Ich erinnerte mich an die Perle, um derentwillen ich nach Ägypten gesandt worden war, und ich begann ihn zu beschwören, den grauenhaft schnaubenden Drachen. Ich versenkte ihn in Schlummer und Schlaf, da ich den Namen meines Vaters über ihm aussprach und den Namen unseres Zweiten und den meiner Mutter, der Königin des Morgenlands.

XIII.

Und ich entriss ihm die Perle und wandte mich um, zurückzukehren in meines Vaters Haus. Und ihr schmutziges und unsauberes Gewand zog ich aus und ließ es in ihren Landen. Und ich nahm den Weg auf zum Licht unseres Landes, zum Morgenland. Und meinen Brief, meinen Erwecker, fand ich vor mir auf dem Wege; wie er mich durch seine Stimme geweckt hatte, so führte er mich nun mit seinem Licht.

XIV.

Auf seidenem Stoff mit roter Farbe geschrieben, mit seinem Aussehen vor mir strahlend, mit der Stimme seiner Führung gab er mir Mut und spornte mich an mit seiner Liebe. Ich zog weiter und durchquerte Sarbug. Ich ließ Babylon zu meiner Linken und gelangte zum großen Maischan, zum Hafen der Kaufleute, der sich am Ufer des Meeres befindet.

XV.

Und das glänzende Gewand, das ich abgelegt hatte, und meine Toga, die es umhüllte, hatten meine Eltern von den Höhen Hyrkaniens durch ihre Schatzmeister hierher gesandt, die wegen ihrer Treue damit betraut wurden. Und da ich mich nicht seiner Art und Weise entsann – denn ich hatte doch mein Vaterhaus in meiner Kindheit verlassen, so wurde plötzlich das glänzende Gewand, als ich es mir gegenüber sah, mir gleich wie mein eigen Spiegelbild.

XVI.

Ich sah es als ein Ganzes und ich sah mich ganz in ihm mir gegenüber, denn wir waren zwei in Verschiedenheit und doch wiederum eins in einer Gleichheit. Und auch die Schatzmeister, die es mir gebracht hatten, sah ich in gleicher Weise: Sie waren zwei und waren doch gleich an Gestalt, denn ein Siegel des Königs befand sich auf ihnen, dessen, der mir mein Vertrauen und meinen Reichtum durch sie zurückgab.

XVII.

Mein glänzendes Gewand war geziert mit herrlichen Farben, mit Gold und mit Beryllen, mit Rubinen und Achaten und mit verschiedenfarbigen Sardonen. Es war in seiner Erhabenheit angefertigt worden, mit Diamantsteinen waren alle seine Nähte befestigt, und das Bild des Königs der Könige war in voller Größe überall aufgemalt. Und Saphiren gleich waren seine Farben bunt gewirkt.

XVIII.

Ich sah, dass in seinem ganzen Umfang die Bewegungen der Erkenntnis sichtbar wurden. Und ich sah weiter, dass es sich zum Sprechen bereitete. Ich hörte den Klang seiner Musik, die es bei seinem Herabkommen flüsterte:

»Siehe, ich gehöre zum flinkesten Diener, den sie für ihn vor meinem Vater großgezogen haben. Ich habe in mir gespürt, dass meine Gestalt mit seinen Werken wuchs.«

XIX.

Und mit seinen königlichen Bewegungen, ergoss es sich vollkommen über mir und auf der Hand seiner Überbringer, damit ich es empfinge. Und auch mich trieb meine Liebe an, ihm entgegenzueilen und es zu empfangen; und ich streckte mich hin, um es zu empfangen. Mit der Pracht seiner Farben schmückte ich mich und hüllte mich ganz in meine glänzend farbige Toga.

XX.

Ich kleidete mich in sie und stieg auf, zum Tor des Grußes und der Demut. Ich beugte mein Haupt und verehrte die Herrlichkeit meines Vaters, der es mir gesandt hatte, dessen Gebote ich befolgt hatte, so wie auch er erfüllte, was er verheißen hatte; und am Tore seiner Satrapen mischte ich mich unter seine Edelmänner, denn er hatte mich mit Wohlgefallen aufgenommen und ich war mit ihm in seinem Königreich.

XXI.

Ihm singen all seine Diener, mit süß klingenden Stimmen Lobpreisungen. Und er verkündete, dass ich zum Tore des Königs der Könige gehen solle und mit der Opfergabe meiner Perle mit ihm zusammen vor unserem König erscheinen solle.

Die Hymne des Judas Thomas des Apostels, die er in seiner Kerkerzelle sprach, endet hier.

 

Interpretation

Der Heilige Thomas sprach zu seinen Jüngern in kurzen Erzählungen und Parabeln, ähnlich wie das vor ihm Jesus tat. Zu den wichtigsten dieser Lehrparabeln, gilt dieser Hymnus. Das »Lied von der Perle« soll uns an unsere eigene Göttlichkeit erinnern und uns von den Verblendungen befreien, der unsere Menschenseelen ausgesetzt sind. Es gilt aber die Perle zu finden und aus den Fängen des Demiurgen, des Weltenbaumeisters, zu befreien. Im »Lied von der Perle« wird der Demiurg als »Drache« (Satan) bezeichnet. Die Perle, von der hier die Rede ist, über sie schrieb auch der Evangelist Matthäus:

[…] eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, damit die sie nicht zertreten mit ihren Füßen und sich umwenden und euch zerreißen.

– Matthäus 7:6

Die gnostische Interpretation dieses Verses, versteht unter den »Säuen« die Dämonen des Demiurgen. Vor ihnen soll man das höhere Selbst, den göttlich Funken, den jeder in sich trägt, bewahren. Es ist dieser »Licht-Funke« das Christus-Bewusstsein im Menschen. Somit ist die Perle ein Symbol für das im Menschen verborgene Geheimnis, dass in seinem Körper »begraben« liegt. Im Land der Ägypter sah Bardaisan die materielle Welt, den menschlichen Körper.

Wiederum ist das Reich der Himmel gleich einem Kaufmann, der schöne Perlen sucht; als er aber eine sehr kostbare Perle gefunden hatte, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.

– Matthäus 13:45-46

In diesem Gleichnis steht die Perle für den Höchstwert dessen, was der Finder besitzen wird. Wenn er klug genug ist, es zu erwerben, bekommt er einen Platz im kommenen „Königreich“. Dieses Gleichnis ist quasi ein Echo auf das Lied der Perle.

Symbole im Text

Kleines Kind: der göttliche Funke im Menschen. Es ist auch ein Hinweis auf die Stufe der Initiation, wo der (untere) Mensch seine spirituelle Natur in sich erkennt und aus sich hervor bringt.

König: Gott.

Königin: der Heilige Geist.

Prinz: die Seele, welche im Paradies lebte und ausgeschickt wurde in die Welt (Ägypten). Der Prinz vergisst die Perle, welche über die Seele kommt, wenn sie in den Körper (Gewänder der Ägypter) eingekerkert ist.

Bruder des Prinzen: die »Zwillingsseele« des Menschen. Die »duale Sohnschaft«, die im Symbol des Prinzenbruders ausgedrückt ist, war ein weit verbreitetes Symbol bei den Gnostikern. Der Prinz und sein Bruder stehen für die beiden »Söhne«: einer der verbleibt und einer der weitergeht – d. h. der, der fortbesteht, ist der Christus. In Vers III lesen wir »deinem Bruder, unserem Zweiten«: dieser »Zweite« ist der Menschensohn, der überirdische Mensch. Und der Herabgestiegene, der Prinz, gewinnt die »Perle vom Bewusstsein des Höheren Selbst«, wird schließlich erhöht und auf die Stufe mit dem Menschensohn gebracht, so ist der Prinz gleichzeitig auch der Christus – Christus und der Menschesohn sind eins, so wie die inkarnierte Seele eins ist mit dem Höheren Selbst.

Zwei Wächter: wie der Bruder des Prinzen, gehören die beiden Wächter zum Symbol der Zwillinge. In antiken Legenden war der Zwilling ein Symbol für die Initiation. Als eine Art Zwilling kann man auch die beiden Diebe ansehen, die neben Christus am Kreuz hingen. Auch in der »Verklärung des Herrn«, wo auf Berg Tabor Jesus in gleißendem Licht erscheint (Lukas 9:28-36), sehen ihn drei Jünger begleit von zwei »Wächtern« – Moses und Elija. Im Kontext der Hermetik, sind es die beiden Schlangen, die sich im den Caduceus winden. Andererseits stehen die beiden Wächter auch für das Vater-Mutter-Androgyn der Seele, das zur Welt kommen will und mit der weltlichen Geburt in das Diesseits, mit dem ersten Atemzug, qausi die erste Initiation ins weltliche Menschsein erfährt. Es sind also die Kräfte, die zur Wiedergeburt zwingen.

Kaufleute: die Grenzen der materiellen Welt.

König der Ägypter: der Teufel.

Drachen (oder Schlange): der Demiurg, das heftige Verlangen. Er ist der Typhon, der Verschlinger, der Widersacher, der Herr der Leidenschaften. Auch ist der Drachen ein Symbol für die elementare, tierische Essenz der Materie.

Satrap: ein Stadthalter im alten Persien.

Vaterhaus: das Zuhause des Höheren Selbst.

Ägypten: der Kosmos in dem der Fleischkörper des Menschen »gefangen« ist. Es ist die materielle, irdische Welt, die vom Demiurgen erschaffen wurde, eine Welt die verführerisch den Menschen in Abhängigkeiten gefangen hält, darum auch »Unterwelt«. In dieser Welt schläft der Prinz, ist sich also unbewusst seiner wahren, himmlischen Herkunft.

Maischan: die äußerste Grenze zwischen der himmlischen Welt (Überwelt), dem Äther, und der irdischen Welt. Es ist dies in etwa zu vergleichen mit der Nachtreise des Propheten Mohammed, in der er sich zur äußersten Grenze des siebten Himmels begab (Sure 53:14-15) am Rande des Paradieses.

Babylon und Sarbug: die Gefahren auf dem Weg. Es sind die falschen Religionen und falschen Versprechungen, die den Menschen davon abhalten sich dem wahrhaft Göttlichen anzunähern.

Königreich: das Reich das im Morgenland liegt, im Osten, so wie das Paradies (Genesis 2:8), wo der Prinz in Reichtum und Wonne lebte.

Morgenland: die himmlische Lichtwelt, das Elysium im Osten. Es ist damit das Pleroma (Glanz- und Lichtmeer der Gnostiker) gemeint, wie auch die sogenannte Ogdoade – die Achtheit – eine Bezeichnung für die sieben Himmel (ptolemäische Planetensphären) und die „Achte Sphäre“ (Fixsternhimmel) – somit also die geistigen Königreiche der Welt.

Meer: der »Ozean« der Genesis, das Meer der groben wie der feinen Materie. Das Meer ist das Manifestierte, in dem der Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt stattfindet.

In den Landen zurücklassen: der Prinz ließ seinen Körper während der Initiation in Verzückung zurück.

Hyrkanien: der Götterberg (Moriah, Meru), die »Überwelt«, das Pleroma (Glanz- und Lichtmeer der Gnostiker). Hyrkanien ist aber auch eine tatsächliche Gebirgslanfschaft im Süden des Kaspischen Meeres (heutiger Iran / Turkmenistan).

Reichtum: die Instinkte und Sinne des spirituellen Geistes.

Perle: das himmlische Königreich im Sinne der Gnosis, repräsentiert durch das höhere Selbst und den Gnostizismus an sich.

Glänzendes Gewand: der Lichtkörper, das Lichtgewand der Seele – eine kosmische Struktur (Gewebe) des Lichts und des Lebens. In diesem strahlenden Lichtgewand zeigte sich Jesus seinen Jüngern Petrus, Johannes und Jakobus (»Taborlicht«, Lukas 9:28-36).

Purpurne Toga: das heilige Wissen des Menschen, seine innere Festigkeit. Purpur ist die Farbe der Könige, denn Bardaisan singt von der königlichen Seele.

Gewänder der Ägypter: der menschliche Körper. Die Gewänder der Ägypter müssen scharf abgegrenzt werden vom himmlischen Kleid, dem „Glänzenden Gewand“. Die Aussage in Genesis 3:21, dass Gott Adam und Eva in „Kleider von Haut“ machte“, kann als diese Leiblichkeit interpretiert werden. Das Logion 56 des Thomas-Evangeliums dazu: „Wer auch immer kam um die Welt zu erkennen, fand nichts als eine Leiche. Und wer auch immer eine Leiche fand, der ist der Welt überlegen.“ 

Speisen der Ägypter: die weltlichen Freuden.

Brief: die Weisheit, verkörpert durch die Heilige Sophia.

Worte des Briefes: der Christus-Logos, der durch die Heilige Sophia zu dem Prinzen spricht und ihm hilft sich an seine wahre Herkunft zu erinnern.

Herz: die innerste Substanz der menschlichen Natur, in der das spirituelle Blut, die Lebenssubstanz des Menschen fließt. Der Pakt (Verpflichtung) der geschlossen wurde, wurde nicht in den Geist, sondern ins Herz geschrieben, wo er nicht vergessen werden kann – kurz: nicht Wissen, sondern mystische Erfahrung der Einweihung.

Namen: die Kräfte.

Adler: der höchste Einweihungsgrad, der z. B. in den Mithras-Mysterien dem »Grad des Vaters« entspricht.

Niederlassen des Vogels: das Niedersteigen des Heiligen Geistes bzw. des geistigen Bewusstseins.

Linke: der Prinz geht zur Rechten, wie alle die in den Mysterien eingeweiht werden.

Spüren: das Werk des Kausalkörpers, der Kausalhülle, die das höhere Ich bildet.

Spiegelbild: der himmlische Doppelgänger der Seele, der Schutzengel als himmlisches Ebenbild (Abbild) des Menschen. Dieser Schutzengel existierte schon vor dem Menschen, war sogar vor der Grundlegung der Welt entstanden (Genesis 1:26).

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