Äußerlich sind die drei monotheistischen Religionen scheinbar unvereinbar. Und doch besitzen sie eine innere Einheit. Selbst wenn es zu großen Brüchen kam, im Christentum zwischen der Ost- und der Westkirche oder zwischen sunnitischem und schiitischem Islam, lässt sich die Wirksamkeit ihrer eigentlichen, inneren Einheit nicht aufheben.
Es gibt dafür einen einfachen Grund: Käme es aus irgend einem Grund zu einer Auflösung dieser inneren Verbindung, würde die überlieferte Wahrheit dieser drei Religionen ungültig. Wäre das aber überhaupt möglich? Wohl gar nicht, da eine Tora, die Evangelien oder ein Koran, sich nun eben nicht mehr umschreiben lassen. Aber es gibt noch einen tiefer liegenden Grund, den die esoterischen Wahrheiten der monotheistischen Religionen bilden. Davon wissen jedoch nur jene, die von der großen Ähnlichkeit der inneren Lehren wissen, wie man sie im Judentum als Kabbala findet oder als christliche oder islamische Mystik.
Der schweizerische Religionsphilosoph Frithjof Schuon (1907-1998) schrieb dazu in seinem 1979 erschienen Buch »Von der Inneren Einheit der Religionen«, dass die Trennungen der Religionen »gottgewollt« seien, da sie »naturbedingten und tiefliegenden, also durchaus nicht bloß künstlichen Unterschieden« unterliegen. Somit wäre der Geist der inneren Überlieferungen, sich selbst damit niemals »untreu« geworden. Er bedurfte lediglich Angleichungen, an die entsprechend vorliegende Tradition: Als Monotheismus eines Judentums, eines Christentums oder eines Islams. In allen steht im Zentrum des Glaubens die unbeugsame Wahrheit von der Einheit Gottes. Jeden anderen Standpunkt schließen die monotheistischen Religionen aus. Es gibt nur den einen Gott, ganz gleich ob dieser in verschiedenen Formen beschrieben oder durch verschiedene Namen angerufen wird. Das Dogma dieser, durch ihre heiligen Schriften gebildeten Buchreligionen ist nur damit lebensfähig.
Die Exoterik der drei monotheistischen Religionen unterscheidet sich grundlegend. Das entbehrt aller langwierigen Beweise, wie uns die Geschichte zeigt, in all dem Grauen das über Menschen kam, durch die in angebliche Religiosität vermummten Taten der Kreuzzüge, Religionskriege und Terrorakte.
In ihrer Esoterik aber widersprechen sich die drei monotheistischen Religionen keineswegs, noch schließen sie sich gegenseitig aus. Im Gegenteil: Wer sich länger mit den Geheimlehren der jüdischen, christlichen und islamischen Mystik befasst hat, ahnt bald, dass sie sich gegenseitig sogar sehr gut ergänzen. Es scheint nämlich, als enthalte die religiöse Esoterik ihrem wesentlichen Kern nach eigentlich alle Formen von Spiritualität.
Das Abrahamitisches Erbe
Es ist wichtig sich an die Tatsache zu erinnern, dass der Monotheismus einen gemeinsamen Ursprung hat. Der begann im Nomadentum des semitischen Patriarchen Abraham. Die erste Verzweigung dieses Weges ereignete sich dann über zwei Ahnenlinien, die jeweils mit den Abrahamsöhnen Ismael und Isaak begannen (wie beschrieben in Genesis 11:29 bis Genesis 23:19). Der ältere Ismael war der Sohn der Hagar, der ägyptischen Magd von Sara, der zuerst unfruchtbaren Frau Abrahams. Sara drängte ihn ihrer Magd ein Kind zu machen. Doch wurde hernach so eifersüchtig auf sie, dass sie sie verstieß, weshalb Hagar Ismael in der Wüste zur Welt bringen musste. Erst später wurde Sara doch gebärfähig und konnte von Abraham ein Kind empfangen, das dann also Isaak hieß. Über ihn führte die Ahnenlinie bis zum Propheten Moses, der einst ja mit dem Volk der Israeliten aus Ägypten ausgezogen war. Die andere Linie bildeten mit den Arabern die Nachkommen Ismaels, aus denen dereinst der Prophet Mohammed (as) hervortreten sollte.
Das Christentum nahm sein abrahamitisches Erbe in sich auf. Darum spricht man darin vom »Alten Testament« und vom »Neuen Testament«. Hierin fand das Christentum seinen umfassenden Ausdruck. Mit dem Auftreten des Christus Jesus, als »Sohn Gottes«, wurde die mosaische Form des Gottesglaubens Abrahams durchbrochen. Denn was an jüdischem Glauben bis dahin existierte, war Religion nur für das Volk Israel. Jesus musste also als der Messias mehr sein als Moses und in dem durch ihn repräsentierten Neubeginn als König der Juden, auch schon vor Abraham existiert haben. Das konnte natürlich nur sein, indem man Jesus über sein reines Menschsein erhob und ihn schließlich mit Gott identifizierte, als eben seinen Sohn. Damit war die monotheistische Religion eine Sache Christi geworden, wo Gott sich in Jesus Christus verkörpert hatte.
Dann schließlich erschien die dritte und abschließende Welle der abrahamitischen Offenbarung: Der Islam. Er löste die Strahlkraft der biblischen Offenbarung von der äußerlichen und menschlichen Erscheinung eines Jesus, und damit auch vom jüdischen Volk. Erst damit wurde das ursprüngliche abrahamitische Geistesgut allen Menschen eröffnet. Denn als Jude kann man nur geboren werden und zum Christen muss man getauft werden. Muslim aber ist jeder schon dann, der das Glaubensbekenntnis in der Allgegenwart Gottes allein für sich äußert!
Das Dreieck des Monotheismus
Im Judentum sind vor allem die beiden Namen Gottes als Elohim und JHVH von zentraler Bedeutung. Bei den Christen ist es der Glaube an die heilige Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und dem Heiligen Geist. Im Islam nun erscheint Gott weder als Gott nur eines Volkes (wie im Judentum), noch als eine messianische Gegebenheit (der christlichen Taufe durch Johannes Baptist im Jordan). Der Islam repräsentiert die monotheistische Idee an sich. Denn sein Prophet Mohammed (as) tritt weder als Sohn, Gesetzgeber noch als Repräsentant eines alleinigen Gottes auf. Mohammed überlieferte die himmlische Lehre (als Analphabet), allein durch die durch ihn mündlich verkündete Offenbarung des heiligen Koran.
Im Glauben der Juden kann der heiligen Schrift der Tora nichts mehr hinzugefügt und auch nichts aus ihr entfernt werden – und das bis in alle Ewigkeit. Wie konnte dann aber ein Christus sich über das darin festgeschriebene Gesetz des Propheten Moses hinwegsetzen? Es ist eben nur eine bedingte Aufhebung der fünf mosaischen Bücher, auch wenn die Christus-Erscheinung selbst ebenso gültig ist wie sie. Christus ist eben an sich absolut, doch in seinem Verhältnis zum Judentum ist er es nur bedingt. Damit bilden Judentum und Christentum zwei entgegengesetzte Pole. Diese Gegensätzlichkeit aber wird durch den Islam aufgelöst, womit er aber genau dabei wieder einen Gegensatz zu den beiden älteren Religionen bildet. Was heißt das? Sinnbildlich gesprochen, bilden die drei monotheistischen Religionen die Form eines gleichseitigen Dreiecks. Aus Sicht des Islam bildet seine Religion die Spitze dieses Dreiecks und befindet sich damit gegenüber der Dreiecksbasis, der Linie nämlich, die im Dreieck zwischen den beiden Punkten von Judentum und Christentum verläuft.
Nun sind es aber je zwei der drei Winkel dieses Dreiecks, die sich jeweils gegenüberliegen und damit das gegensätzliche Verhältnis zu den anderen Verbindungen bilden. Schuon formulierte das in seinem oben erwähnten Buch so:
Man könnte den Islam ein das Christentum nicht verneinendes Judentum, oder ein das Judentum nicht aufhebendes Christentum nennen
Was wir eben darstellten in Form der Linien und Ecken des Dreiecks, ist eine sehr einfache Veranschaulichung der Tatsache, dass sich Judentum, Christentum und Islam, selbst in ihren wichtigsten exoterischen Aspekten sehr ähnlich sind. Die deutliche, strenge Art in der der Koran verfasst ist, ähnelt der Form der jüdischen Tora. Doch das trifft auf die eher mystisch anklingenden Evangelien kaum zu. Andererseits aber verehrt der Islam Jesus als heiligsten Gottgesandten, der wie im Christentum auch als Sohn einer Jungfrau zur Welt kam (zu lesen in der Koran-Sure »Maria«).
Jede der drei Religionen, stellt, wie wir hier versucht haben zu zeigen, zu einer der anderen eine Art Höhepunkt dar, doch gleichzeitig auch einen Widerspruch. Dieser war in der Geschichte des Judentums durch die Offenbarung einer in sich abgeschlossenen Eingottlehre gegeben. Im Christentum wurde daraus die Fleischwerdung Jesu und in seiner Gottessohnschaft als der Christus. Schließlich sollte der Islam die Eingottlehre der Juden integrieren, wie auch Jesus als Propheten. Doch immer geht es um diesen »Einen«, auch wenn der in mit seinen drei Büchern der Offenbarung, einen »Neuen Bund« seiner Gläubigen, auf einen »Alten Bund« folgen ließ.