Hadschi Bektasch Veli war ein direkter Nachfahre des islamischen Propheten Mohammed (as). Vielen gilt er heute als Begründer des Alevitischen Glaubens. Als weiser Sufi führte er einst in Anatolien seine Anhänger zu einer außergewöhnlichen Mystik und verhalf so vielen unter ihnen, zur Erkenntnis ihres wahren Lebensweges.
Imam Ali ibn Abi Talib (600-661), kurz »Hazret Ali«, der vierte rechtgeleitete Kalif des Islam, Vetter und Schwiegersohn Mohammeds (as): Ihn verehren die Aleviten als »Freund Gottes« und als den ersten der zwölf Imame, der laut schiitischer und alevitischer Doktrin, direkt vom Propheten Mohammed (as) eingesetzt wurde.
In der spirituellen Ahnenreihe Alis, der Goldene Kette der Kraftübertragung (arabisch: Silsila), formte Hadschi Bektasch das 16. Glied. Die Aleviten verehren ihn bis heute, als ihren wichtigsten Heiligen. Ihnen gilt er als »Pir« (alt-persischer Ehrentitel), als spiritueller Meister. Manche sehen ihn gar als ihren Schutzheiligen, dessen Weisheiten, Werke und Lehren, auch über seinen Tod hinaus wirksam bleiben.
Sein Beinahme »Veli« ist ein islamischer Ehrentitel, der soviel bedeutet wie »Patron« oder »Verbündeter«. Das vorangestellte »Hadschi« aber ist ein muslimischer Titel für einen Menschen, der die Pilgerfahrt nach Mekka vollzogen hat – die Hadsch.
Das Leben Bektaschs
Nur spärliche Hinweise findet man heute über das Leben Hadschi Bektasch Velis. Er lebte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Auch wenn über sein genaues Geburtsjahr Uneinigkeit herrscht, gehen viele davon aus, dass er im chorasanischen Nischapur (im heutigen Iran) zur Welt kam, im Jahre 1210. Um 1270 soll er verstorben sein, in der Provinz Nevşehir, in einem Dorf namens »Suluca Karahöyük« (deutsch: Saftiger Schwarzer Hügel), der heutigen Kleinstadt Hacıbektaş, der man nach seinem Tod seinen Namen gab.
In dieser Stadt in Kappadokien befindet sich sein Mausoleum, zu dem jährlich tausende Aleviten pilgern, aus verschiedenen Provinzen der Türkei und aus dem Ausland – insbesondere am 16. August, dem Tag an dem man ihm in Hacıbektaş gedenkt.
Reise nach Westen
Bektasch war der Sohn des Ibrahim Sadi Bey, einem angesehenen Gelehrten und einem Stammesoberhaupt (türkischer Ehrentitel: »Bey«). In seiner Jugend erhielt er eine besondere Ausbildung, in deren Zentrum der mystische Islam stand. Man unterrichtete ihn jedoch auch in Philosophie, sowie in den Sozial- und Naturwissenschaften.
Bektasch war Mitglied der Yesevi-Bruderschaft, einem Sufi-Orden, der auf Hodscha Ahmed Yesevi (1103-1166) zurückgeht, welcher selbst ein direkter Nachfahre des Kalifen Ali gewesen war. Während der mongolischen Invasion Khorasans aber, wanderte Bektasch in Begleitung seines Bruders Mentes aus nach Anatolien.
Dort sollte Bektasch, mit seiner außergewöhnlichen Menschenliebe und Weisheit, auf viele Bewunderer treffen. Ihnen leistete er Hilfe in Seelenfragen und zeigte ihnen Wege, um zu sich selbst zu finden und dabei das eigene Leben zu verbessern – zum Wohle der Gemeinschaft.
In den folgenden Jahren erhielt er wegen seiner weisen Lehren regen Zulauf. So kam es, das dort, in dem kleinen Dorf Suluca Karahöyük (heute also Hacıbektaş), ein geistiges Zentrum entstand, wo Hadschi Bektasch seine Lehre unterrichtete. Diese spirituelle Begegnungsstätte glich einem Kloster, wo sich Schüler zahlreich um ihn scharten. Unter den ersten seiner Anhänger zählten Angehörige der turkmenischen Nomadenstämme, die sich in dieser Region niedergelassen hatten. Manche von Bektaschs Schülern wurden zu Wanderderwischen, die seine Sufi-Weisheiten und spirituellen Lehren in die Dörfer und Städte Anatoliens brachten.
Die Abhandlungen
Das Herz ist das Fenster zum Herrscher der Welten. Zwischen Allah und allen Dingen ist ein Schleier, aber zwischen Allah und dem Herzen des Menschen gibt es keinen.
Das Herz ist wie die Kaaba (in Mekka). Derjenige, der die Kaaba besuchen möchte, der mit dem Herzen dorthin läuft, sollte sich dort in Niederwerfung hinbegeben. Aus diesem Grund werfen sich die Liebenden mit dem Gesicht zur Erde nieder. Diejenigen, die die Kaaba besuchen, brauchen einen Führer. Der Koran ist ihr Reisebegleiter. Aber der Reisebegleiter derjenigen, die mit dem Herzen dorthin reisen, ist niemand anderes als Allah. Was Liebe genannt wird, das ist allein das göttliche Feuer Allahs, und die Stelle, an dem dieses Feuers brennt, ist das Herz derer, die angekommen sind.
– Aus den Makalat
Zu den Wanderderwischen des Bektaschi-Ordens zählte der türkische Mystiker Yunus Emre (1240-1321), der heute zu den wegweisenden Volksdichtern der osmanisch-türkischen Sprachtradition zählt. In unzähligen Gedichten hielt er die Lehren Bektaschis fest, die ihm aus dem inneren Kreis des Ordens vermittelt wurden.
Wie aus Hadschi Bektasch Velis Schrift – »Abhandlungen« (arabisch: Makalat) – hervorgeht, zählte wohl auch der persische Dichter und Wanderprediger Schams-i Tabrizi († um 1248) zu seinen Schülern. Er nennt ihn darin einen Suchenden, der schließlich in der türkischen Stadt Konya fündig werden würde. Und tatsächlich begegnete Schams dort seinem Schüler Dschalal ad-Din Rumi (1207-1273). Es war Tabrizi, der Rumi zu seinen mystischen Gedichten inspirierte, die heute in aller Welt bekannt sind.
Dass sich Hadschi Bektasch Velis Lehren, in einem so großen Schülerkreis verbreiteten, war der nicht unbedeutende Tatsache geschuldet, dass er im Gegensatz zu anderen Gelehrten seiner Zeit, nicht arabisch sondern türkisch gesprochen hatte. Was damals an mystischer Dichtung bekannt war, hatten die Weisen von einst, nur in persischer oder arabischer Sprache verfasst. Gewiss trug Bektaschs Wirken also ganz wesentlich dazu bei, dass sich das Türkische zur Kultsprache Anatoliens entwickeln sollte.
Neben den Makalat und der Schrift »Vilayetname«, auf die wir später noch eingehen werden, existiert heute eine Sammlung berühmter Erkenntnisse Bektaschs. Hiervon seien im Folgenden einige seiner Aphorismen erzählt:
Ohne zu wissen, führt das Ende des Weges in die Dunkelheit.
Glücklich ist, wer die Gedankenfinsternis erhellt.
Der Verstand sitzt im Kopf, nicht in der Krone.
Wer sich selbst nicht kennt, kann den Schöpfer nicht erkennen.
Was Du suchst, findest Du in Dir selbst, nicht in Jerusalem, nicht in Mekka.
Da ist ein Vorhang zwischen Gott und dem Herzen.
Betet nicht mit den Knien, sondern mit dem Herzen.
Rituelle Gebete machen keinen Menschen besser.
Taten zählen, nicht die Worte.
Was deine Seele quält, das tue niemanden an.
Halte rein deine Hände, deine Zunge, deine Lenden.
Lass uns eins sein, groß sein, lebendig sein.
Ermöglicht den Frauen eine gute Bildung.
Es gibt kein Gegeneinander von Gott und Mensch, sondern ein Miteinander in tiefer Verbundenheit.
Das wichtigste Buch zum Lesen ist der Mensch.
Gerechtigkeit bedeutet, Gott in all seinem Handeln zu erkennen.
Gute Menschen sind gut, unabhängig von Sprache, Religion oder Hautfarbe.
Das größte Wunder ist die Arbeit.
Diejenigen, die ohne Arbeit leben, sind nicht von uns.
Ein arbeitender Mensch denkt nicht böse.
Wissenschaft beginnt in der Wiege und endet im Grab.
Den Tod zu erreichen erfordert Geduld.
Schrein des Hadschi Bektasch Veli im Mausoleum in Hacıbektaş (Kappadokien, Türkei).
Die Bektaschi-Bruderschaft
Im Alevitentum fungierte Hadschi Bektasch Veli als Großmeister. Er half den Angehörigen dieser Konfession des Islam, als Bereiter eines Weges, der versucht den Suchenden zu vollkommenem Menschsein zu führen und ihn damit entsprechend zu einem »Insan Al-Kamil« zu machen. Manche nennen ihn daher einen »Brunnen der Erkenntnis« oder auch der »Erkenntnis Zenith«.
Später sollte er in Gebeten sogar als Heiliger verehrt werden. Wegen solch großer Wirkung auf seine Schüler, Gefolgsleute, wie auch spätere Bewunderer seiner Weisheit, gruppierte sich innerhalb des Alevitentums eine sufistische Ordensgemeinschaft: Die Bektaschi-Tariqa .
Bis heute ist die Tariqa (ein arabisches Wort für den spiritueller Weg den ein Sufis geht) der Bektaschis einer der einflussreichsten islamisch-alevitischen Derwischorden. Man trifft seine Mitglieder in Anatolien, doch insbesondere auch auf dem Balkan.
Da Hadschi Bektasch Veli selbst keinen Orden gegründet hatte, rief dazu auf, etwa 200 Jahre später, der Sohn einer serbisch-bulgarischen Prinzessin: Balım Sultan (1457-1517). Er war ein Derwisch der im damals osmanischen Dimetoka (heute Didymoticho, Griechenland) geboren wurde. Weil die ersten Mitglieder dieses Ordens vornehmlich Aleviten gewesen waren, gilt die Bektaschi-Tariqa, als eine Art Sufi-Weg des Alevitentums. Da aber bereits die Angehörigen alevitischer Konfession einer inneren Tradition folgen, nehmen die Bektaschis damit eine echte Sonderstellung ein im Kreise anderer Derwisch-Gemeinschaften.
Oberhaupt des Bektaschi-Ordens ist der Dede (auch: Dedebaba, deutsch: Großvater). Den nächsten Rang nimmt der Halifebaba ein, unter dessen Rang der Baba (deutsch: Vater) steht. Letzterer hat die Aufgabe als Prediger (Hodscha) und Seelsorger, sich um die Ordensmitglieder zu kümmern. Die mittlere Station ist die des Derwisch. Er kann wie der Baba verheiratet sein oder ein zölibatäres Leben führen. Am Ende der Hierarchie steht das initiierte Mitglied, der Muhib (deutsch: Liebender).
Die spirituelle Praxis der Bektaschi
Was im Orden der Bektaschi an religiösen Ritualen vollzogen wird, weicht von der islamischen Orthodoxie ab. So ist ihr Gebet etwa nicht an bestimmte Tageszeiten gebunden (wie die fünf traditionellen, am Sonnenstand ausgerichteten Gebete) und es ertönt auch kein Ezan (deutsch: Gebetsruf), um die Andacht anzukündigen. Vielmehr konzentriert man sich auf bestimmte Stunden am Abend, in denen die Arbeit ruht und die Gläubigen sich in kontemplativer Hingabe den Zeremonien des »Cem« (gesprochen: Dschem; ein aus dem Arabischen entlehntes Wort für die Versammlung) geistig öffnen können.
In diesem Ritus werden die Gläubigen durch Musik und gesungene Rezitation, in Begleitung der Saz (ein typisches Saiteninstrument), in die mystische Stimmung einer »Eins-Werdung« versetzt, in der alle Teilnehmer unterschiedslos und gemeinsam ihre Hände dem Schöpfer entgegenstrecken (genannt »El ele ve el hakka«, zu deutsch: Die Hand hingegeben der Hand, und die Hand der Gerechtigkeit Gottes übergeben).
In ihre spirituelle Praxis übernahmen die Bektaschi einen rituellen Tanz der Aleviten: Semah. Dieser Tanz steht für den physisch-geistigen Ausdruck der ewigen Wiederkehr allen Seins in der Schöpfung. Um sich dieser Wahrheit bewusst zu werden, drehen sich Frauen und Männer gemeinsam, in einem besonderen Tanz im Kreis (wie er ja auch bei den Derwischen Konyas getanzt wird), um damit symbolisch auf den Umlauf der Gestirne hinzudeuten – in gewissem Sinne also eine hermetische Entsprechung makrokosmischer Zyklen, die im Sein des Mikrokosmos eines Menschen, auf diese Weise mystisch nachempfunden werden.
Der Humor der Bektaschi
Der Zugang der heutigen Bektaschis zu Religion ist ein »Innerer«, wo man Frömmelei und Konservatismus nur wenig abgewinnt. Und das war wohl auch schon in den vergangenen Jahrhunderten so, wenn auch keiner behaupten würde, dass das, Hadschi Bektasch Veli selbst so formuliert hätte. Das seine Sicht auf das hier angedeutete Thema aber wohl ähnlich gewesen sein dürfte, dass wohl lässt sich leicht schließen, aus seiner offenen Haltung gegenüber seinen Mitmenschen.
Hieraus entstand das, was man heute als »Bektaschi-Witze« erzählt, wobei wohl viele davon nicht von den Bektaschi selbst ausgedacht wurden, sondern andere über sie erzählen. Einige davon zeigen aber die Macht die »spiritueller Humor« zu vermitteln vermag.
Am Anfang seiner Laufbahn, entschloss sich der neue Provinz-Gouverneur ein Gefängnis zu besuchen. Gemeinsam mit dem Oberwächter besuchte er darin jeden Insassen in seiner Zelle. Schnell kam er da zum Punkt und fragte: »Wieso wurden Sie inhaftiert?«
Fast jeder von ihnen antwortete, er sei vollkommen ahnungslos hier eingesperrt worden, da ihn jemand verleumdet hatte und man ihn dann unschuldig hinter Gitter brachte.
Doch da war auch ein Bektaschi, der in diesem Gefängnis als Häftling einsaß. Als auch ihn der Gouverneur auf sein Verschulden hin ansprach, erhielt er als Antwort: »Es war mein Fehler, und ganz sicher bin ich schuldig. Ich beging die Tat, da ich mich nicht unter Kontrolle hatte.«
Der Gouverneur befahl dem Wächter ihn sofort freizulassen und sagte: »Gebt diesem Burschen sofort die Freiheit, sonst wird er vielleicht noch alle anderen dazu bringen, ihre Schuld einzugestehen!«
Niemals käme ein Bektaschi auf die Idee, einen Menschen, den er für einen Scheinfrommen hält, mit Worten zu demütigen oder gar zu verletzen. Eher noch würde er sich über sich selbst und seine eigene Fehlbarkeit lustig machen.
Es war einmal, da wandelte ein Dede der Bektaschi-Derwische die Straße hinunter. Auf seinem Weg hielt ihn da ein Mann fest und stellte ihm diese Frage: »Sag mir Dede: Existiert Allah wirklich?«
Etwas verblüfft über diese Frage antwortete der: »Natürlich gibt es Allah!«
»Warum aber bist Du Dir da so sicher?« antwortete der Mann.
Worauf der Dede entgegnete: »Schau, ich bin achtzig Jahre alt, und seit achtzig Jahren rede ich mit Ihm und wie immer hat er das letzte Wort.«
Es kann passieren, das einer, der nur das Äußere seiner Religion sieht und einzuhalten versucht, von einem Bektaschi ganz humorvoll kritisiert wird. Zu eben solch einer Pointe findet die folgende Bektaschi-Erzählung, über die fünf Säulen des Islam:
Eines Tages kam es zu einem Streit, zwischen einem Hodscha (einem islamischen Religionslehrer) und einem Bektaschi-Derwisch. Der Hodscha fragte den Mann: »Wieviele Säulen des Islam gibt es?” worauf der Derwisch antwortete: »Es gibt nur eine!«
Darauf wurde der Hodscha böse und rief: »Hah! Nicht einmal kennst du die Säulen des Islam und prahlst damit ein Derwisch zu sein!«
»Moment mal, lass mich erklären, wie ich das meine,« antwortete der Bektaschi und fuhr fort: »Weißt Du, mir fiel in letzter Zeit auf, dass ihr Sunniten (die der normalen Tradition Folgenden Muslime) die Hadsch (Pilgerfahrt nach Mekka) unterlasst und auch keine Zakat (Almosensteuer) zahlt. Nun, nicht alle von uns Bektaschis fasten im Monat Ramadan und die meisten von uns beten nicht einmal das Namaz (Pflichtgebet). Aber mal unter uns: Was bleibt da von den fünf Säulen des Islam noch übrig, als die Schahada (das Glaubensbekenntnis)?«
Und es ist eben die Schahada, mit der ein Muslim seinen Glauben bezeugt, indem er feierlich bekundet, dass es nur einen einzigen Gott gibt und dieser ist Allah.
Eingang zum Mausoleum in Hacıbektaş (Kappadokien, Türkei).
Aus dem Vilayetname
Nach dem Tod Hadschi Bektasch Velis entstand das Vilayetname, ein Schriftwerk, in dem man die Legenden über sein Leben, lange nach seinem Tod niedergeschrieben hatte (entstanden etwa im 15. Jahrhundert).
In diesem Werk finden sich Details aus der Gründungszeit des Osmanischen Reiches (um 1299). Man liest darin von der Freundschaft Bektaschs zu Orhan Gazi, dem Sohn des Gründers der Osmanischen Dynastie und späterem Sultan des Osmanischen Reiches. Auch über seine Beziehungen zu Ahmet Yesevi ist darin die Rede, dem bereits oben erwähnten Sufi-Dichter und Gründer der Yesevi-Tariqa (einer Sufi-Bruderschaft).
Die im Vilayetname behandelten historischen Erzählungen, haben ihren Ursprung wahrscheinlich an verschiedenen Orten des Orient, die über die riesigen Regionen Zentralasiens, des Kaukasus, Anatoliens und des Balkans verstreut sind. Über Jahrhunderte gehörte das Vilayetname zu einer vielgelesenen Schrift der Anhänger Hadschi Bektaschs. Man findet darin die Beschreibung mehrerer Wunderereignisse, die einem der Hauptprotagonisten darin mit Bektasch widerfuhren: Seinem Lehrer Lokman Perende. Eine der Erzählungen aus dem Vilayetname soll dazu im Folgenden wiedergegeben sein.
Nachdem Lokman Perende von der Hadsch zurückgekehrt war, kamen die Erenler (die Heiligen) aus Khorasan, um ihm ihre Aufwartung zu gebieten. Als sie eine Quelle sahen, die in der Mitte des Mekteb (Schulanwesen) sprudelte, sagten sie: »Schon oft sind wir hier gewesen, doch haben noch nie eine solche Quelle hier gesehen.«
Lokman Perende antwortete: »Sie entstand durch den Segen von Hadschi Bektasch.«
Die Erenler fragten: »Wer ist dieser Hadschi Bektasch?«
Lokman Perende sagte: »Hadschi Bektasch Hunkar ist dieser Geliebte“, und zeigte auf den jungen Bektasch.
Da sprachen die Erenler: »Der ist doch noch ein Kind. Wie um alles in der Welt könnte er ein Hadsch (einer der die Pilgerfahrt nach Mekka vollzog) werden?«
Lokman Perende beschrieb den Anwesenden alle Wunder von Hadschi Bektasch, eines nach dem anderen. Dann sprach er zu ihnen: »Während ich mein Gebet in der Kaaba verrichtete, war Bektasch immer da und betete neben mir. Wenn wir unser Gebet beendet hatten, war er auf einmal verschwunden.«
Die Erenler fragten: »Woher hat dieser Junge denn solch außergewöhnliche Fähigkeiten?«
Da öffnete Hadschi Bektasch seinen gesegneten Mund und sagte: »Ich bin das Geheimnis des erhabenen Imam Ali, der der Spender des Al-Kauthar ist (eines Flusses im Paradies) und der der Löwe Allahs ist, der Herrscher der Heiligkeit und der Befehlshaber der Gläubigen. Von ihm stammen meine Herkunft und mein Stammbaum ab. Diese vielen Wunder, sind das mir von Allah gewährte Geheimnis. Es sollte niemanden überraschen, dass solche Wunder von mir ausgehen, denn in ihm wirkt die Macht Allahs.«
Die Erenler von Khorasan sagten: »Wenn du in Wirklichkeit das Geheimnis des Schahs (des Hazret Ali) bist, hat er besondere Zeichen. Zeig uns diese Zeichen, und wir werden glauben.«
Da sprach er zu ihnen: »Das Zeichen von Hazret Ali war dieses: In der Mitte seiner gesegneten Hand hatte er ein wunderschönes, smaragdfarbenes Mal.«
Hadschi Bektasch Veli öffnete darauf seine gesegnete Hand und zeigte ihnen seine Handfläche. Alle sahen, dass sich in der Mitte seiner Handfläche ein strahlendes, smaragdgrünes Mal befand.
Da sagten die Erenler: »Der Befehlshaber der Gläubigen hatte auch ein schönes Smaragdmal auf seiner gesegneten Stirn.«
Hadschi Bektasch nahm seien Kopfbedeckung von seinem Haupt und alle sahen ein göttlich leuchtendes, smaragdfarbenes Mal zwischen seinen Brauen. Alle Erenler baten um Vergebung und sagten: »O Derwisch der Derwische, wir haben uns schwer getäuscht.« Sie ergaben sich ihm und beteuerten: »Dies sind tatsächlich Wunder.«