Für die Menschen der Antike waren körperliche Leiden und psychische Störungen untrennbar miteinander verbunden. Krankheitssymptome verstand man darum als besondere Merkmale dafür, was den Zusammenhang der Wirkungen beschrieb von Äußerem und Innerem, von Leib und Seele.
Vor diesem Hintergrund ist interessant zu erfahren, dass dabei die Arbeit mit Träumen, den Heilern und Priestern von einst, von höchster Bedeutung war. Es ging da um den Schlaf im Tempel, von dem sich ein Kranker erhoffte, in seinem Traum Antworten zu finden auf die Frage, was er zur Gesundung benötigte. Meist aber waren die in den Traumgesichten geschauten Bilder und Symbole dem Hilfesuchenden nicht unmittelbar verständlich. Erst mit der Deutung durch die Tempelpriester, kam ans Licht, was der Hilfesuchende für seine Gennesung zu tun hatte.
Diese Praxis der Traum-Inkubation (abgeleitet vom lat. incubare, »ausbrüten«) übte man aus in den Tempeln des Asklepios im alten Griechenland, in den Isis-Tempeln Alt-Ägyptens, bei den Schamanen Nordamerikas oder wie auch später in christlichen oder islamischen Heilkulten. Traum-Inkubation ist aber auch heute ein Begriff der von zentraler Bedeutung ist für die sogenannte Traum-Therapie.
Lassen Sie uns im Folgenden einen Blick werfen auf den heilsamen Tempelschlaf, wie man ihn in der griechischen Antike praktizierte.
Gesundung kommt von innen
Jeder Mensch der gesund werden will sollte wissen, dass seine Heilkräfte in ihm selbst veranlagt sind. Der Glaube des Hilfesuchenden ist das, was ihn letztendlich gesund werden lässt. Hierin liegt die ganzheitliche Kraft jeder Heilkunst. Alles andere sind Mittel, sind Mittler die einem kranken oder leidenden Menschen Heilkräfte übertragen, in ihm wachrufen und zu einer kurierenden Anwendung führen.
Ein Glaube an Wunderheilungen ist dabei mehr als angebracht. Und solche finden tatsächlich auch statt, wie uns die Geschichte der Heilkunst bis in die Gegenwart hinein zeigt. Solche Wunder ereignen sich tatsächlich sehr oft, in einer fast unendlichen Vielzahl von Fällen, in denen Menschen auch von sogenannten unheilbaren Krankheiten geheilt wurden.
Im antiken Griechenland kam es zu solchen Wunderheilungen etwa in den Tempeln des Asklepios. Immer hatte dort der Wille zur Gesundung, wie auch der Glaube an ihr Eintreten, höchste, ja sogar heilige Priorität.
Illustration des alten Asklepios-Tempel in Epidauros
Götter des Lichts, der Wahrsagung und der Heilkunst
Die Priester jener Tempel des Asklepios zählen zu den ersten Ärzten Europas. Der wahrscheinlich berühmteste Heilungstempel befand sich einst im griechischen Epidauros – in einem Bezirk der dem Lichtgott Apollon geweiht war, dem Vater des Asklepios – Gott der Heilkunst. Auch Apollon war von alters her ein Heilgott gewesen. Er war aber auch ein Gott der Weissagung, als der er über die Orakelstätte im griechischen Delphi wachte.
Es scheint, als wären Heilkunst und Wahrsagung in der Antike immer miteinander verbunden gewesen. Kaum verwunderlich darum, wenn eine entsprechende Tiersymbolik beim griechischen Gott Asklepios, wie auch bei der ägyptischen Isis darauf hindeuten. Der Hund etwa, war im griechischen Mythos ein Begleiter des Asklepios: Seine Fähigkeit etwas zu wittern, galt den alten Griechen als Synonym für die intuitive Voraussicht. Denn das macht den Hund dem Menschen überlegen. Seit alters her galt der Hund darum auch als ein Führer ins Jenseits. Als solchen trifft man ihn auch in Alt-Ägypten als Unterweltsgott Anubis, den man mit dem, der Göttin Isis geweihten »Hundsstern« Sirius assoziiert.
Intuitive Voraussicht beziehungsweise Wahrsagung und Heilung, standen seit alters her also in direktem Zusammenhang. Dass Träume als solch Schauen in eine Welt reiner Intuition darum in diesem Kontext von Bedeutung sind, dass wusste man schon seit dieser alten Zeit.
Aber auch heute noch gilt eine intuitive Voraussicht als Grundvoraussetzung für die Psychotherapie. Was an Heilungswundern von Ärzten und Therapeuten da vollbracht werden kann, hängt eben mit ihrer Fähigkeit zusammen, recht deuten zu können, was an Symbolen im Kontext von Krankheit auftritt. Intuitiv kann da besser eingegangen werden, auf die Träume oder Aussagen eines hilfesuchenden Klienten.
Orte der Heilung
Immer spielte die Lokalität eine wichtige Rolle, an dem solch intuitive Heilkunst zur Anwendung kam. Die »Gnadenstätten der Heilung« waren im Altertum geografisch ganz streng verortet. Das steht auch in Korrespondenz mit einer entsprechenden Lokalisierung in der Psyche eines Menschen. Denn an anderen Orten träumt man andere Träume. Und diese Tatsache erklärt dann ihrerseits wiederum die Wirksamkeit bestimmter Plätze und Heiligtümer auf unserem Planeten, an denen ein Träumender einen anderen Zugang findet zu dem, was C. G. Jung als »Kollektives Unbewusstes« in die moderne Psychologie einführte.
Der Asklepios-Tempel in der Kultstätte Epidauros, war damals besonders bedeutsam, um heilkräftige Traumerfahrungen in hilfesuchenden Menschen auszulösen.
Da diesen Ort all die vielen Kranken, mit teils schweren Leiden und Gebrechen, in der Vergangenheit als Pilger besuchten, wurde aus diesem Tempel bald ein Therapiezentrum, das weniger an ein Heiligtum, als eher an eine Klinik erinnerte.
Das Heilverfahren des Tempelschlafs
Bevor man die Hilfesuchenden in den Tempel bat, um dort die Nacht zu verbringen, mussten sie sich zuvor besonderen kultischen Handlungen unterziehen. Dazu gehörte die Reinigung an einem der Brunnen im Tempel und man erbrachte danach dem Lichtgott Apollon ein Opfer. Von dort aus kamen die Kranken dann ins Tempelheiligtum, das sogenannte »Abaton«. Hier verbrachten sie die Nacht, umgeben von mystischen Symbolen, wie etwa Statuen des Traumgottes Oneiros. Alles solches sollte die Erwartungen auf Heilerfolg im Hilfesuchenden stimulieren. Man wollte ihn damit in die richtige geistige Stimmung führen, wo der Kranke leicht in den hierzu benötigten Traumschlaf fallen konnte. Mitunter wurden von der Priesterschaft zu diesem Zwecke auch besondere Hypnose-Verfahren angewandt.
Zu den zentralen Symbolen in den Asklepios-Tempeln zählte die Schlange, die sich ja um den berühmten Stab des Asklepios windet (siehe Abbildung). Damals interpretierte man ihre Erscheinung, als eine aus der Erde wirkende Kraft, aus der geheimnisvolle Lebenskräfte hervorströmen. Doch auch die Tatsache, dass sich das Reptil immer wieder häutet, galt den Alten die Schlange als Symbol der Erneuerung und Heilung (auch im Alten Testament ist ja die Rede von einer Schlange, deren Anblick die Kranken von ihren Leiden heilt, Numeri 21:8f).
Der Gott Asklepios: In seiner rechten die Schale der Göttin Hygeia (seiner Tocher) halten, in seiner Linken den Asklepiosstab, an dem die chtonischen Erdkräfte in Form einer Schlange emporsteigen.
Wer nun im Tempel des Asklepios in seinem Tempelschlaf träumte, dem, so die Überlieferung, soll dabei an diesem Ort Asklepios selbst begegnet sein. Dieser eröffnete dem Träumenden dann das notwendige Verfahren, um damit seine Krankheit zu heilen.
Heldentum und Heilkraft
Solch Gottheiten wie Asklepios, doch auch andere »Heilgötter«, achteten die hilfesuchenden Gläubigen von einst, als Heldenfiguren. Als solche hatten sie sich vom Himmel auf die Erde hinab begeben, um dort als Mittler, in ihrer geistigen Heilarbeit im Kranken, dessen inneren Heilkräfte zu stimulieren.
Wie wir aus der griechischen Mythologie erfahren, war auch Asklepios ursprünglich ein Held, der sich seine Göttlichkeit erst durch Leiden erkämpfen musste, um in den Himmel der olympischen Götter aufgenommen zu werden. Nach seiner Metamorphose schließlich begab er sich erneut hinab auf die Erde und mit ihm, so der Mythos, erschienen dort auch chtonische Wesenheiten, wie eben die Schlange (»chthonisch« ist ein altes griechisches Wort, dass man für die in Mutter Erde wirkenden Kräfte verwendet). Wenn diese Schlange nun wieder an seinem Stab (quasi) gen Himmel emporkriecht, weist das wiederum hin auf die entgegengesetzte Richtung dieses Kraftflusses. Unwillkürlich erinnert diese Auf- und Abbewegung an das, was sich auch der Smaragdtafel des Hermes Trismegistos entnehmen lässt, worin es im achten Vers heißt:
[…] So steigt es von der Erde empor zum Himmel und wiederum zur Erde hinab um sich mit ihr zu vereinigen. Dabei wird es veredelt, und nimmt die Kräfte der oberen und unteren Welt in sich auf.
Diese »veredelnden Kräfte« eben waren es, die in der Erde auch jene Energien aktivierten, die beim Schlaf im Asklepios-Tempel und dann im Kranken, eben jene Träume stimulierten, die ihm entsprechende Heilrezepturen suggerierten. In der Gotteserscheinung Asklepios‘ verband sich damit die Welt des Göttlichen mit der des Menschen, womit der heilsame, himmlische Kraftfluss in die Erde und damit in die Traumwelt des Schlafenden hineinwirkte.
Heilen durch Handauflegen
Als Gott der Heilung verwendete Apollon auch seine ausgestreckten Hände, um diese über einen Kranken zu halten. Diese Form des Heilens brachte er dann auch dem Kentauren Cheiron bei. Der war der erste Lehrer des jungen Asklepios. In Rom nannte man ihn »Chiron«, woraus sich heute so Wörter ableiten wie »Chirurgie« oder »Chiropraxis«. In Epidauros waren es die Priester des Asklepios, die den Kranken und Hilfesuchenden die Hände auflegten. Eben solches Handauflegen zur Heilung, sollte dereinst auch übergehen in die Praxis der Segnungsgesten christlicher Priester. Und wenn von Händen eines Lichtgottes Apollon Heilkraft ausstrahlt, so lässt sich das nicht nur als Sinnbild verstehen. Denn in der Tat geht von den Händen Infrarot-Licht aus, dass Schlangen zum Beispiel sehen können. Vor allem aber wirkt dieses wärmende Licht, sich wohltuend auf menschliche Nervenzellen aus.
Des Tempels Allerheiligstes
Im sogenannten Abaton des Tempels (einem heiligen, nur für die Auserwählten betretbaren Ort) befand sich ein Säulengang, der auf einer Seite nach Süden hin geöffnet war. Um das Ritual des Tempelschlafs dort, mit all den vielen Menschen, in geordnetem Ablauf durchzuführen, gab es eine entsprechend große Gruppe von Priestern, die diese Zeremonie beaufsichtigten.
Meist stand dieser Priesterschaft ein Hierophant vor, der meist auch Arzt war, was im Übrigen auch für die ihm untergeordneten Geistlichen galt, die in sich also sowohl priesterliche wie auch heilerische Aufgaben erfüllten. Der Glaube an die Göttlichkeit im Sein des Einzelnen, war da von ganz wesentlicher Bedeutung, die er aber entsprechend durch die Priesterschaft suggeriert bekam.
Nachts, als sich die Kranken im Bereich des Abaton versammelt hatten, erhörte man da die Gebete der Priester. Man ließ keine Mittel aus, um eine starke psychisch-emotionale Wirkung auf die Hilfesuchenden auszuüben. Darauf wurden die Anwesenden dazu aufgefordert, sich schlafen zu legen. Hierfür war für jeden eine entsprechende Couch vorbereitet: die altgriechische Klinē (ein Begriff aus dem das heutige Wort »Klinik« ableitet).
Dann wurde das Licht gelöscht und jeder sollte sich in guter Hoffnung auf seine bald anstehenden Träume einstimmen. Die entsprechende Gottheit nämlich würde damit im Traum erscheinen und dem Kranken suggerieren, wie er Linderung finden kann.
Die Priester des Asklepios dort wussten sehr genau, wie sie die Kranken vor dem eigentlichen Tempelschlaf, auf ihre darin zu erfahrenen Traumerlebnisse einstimmen mussten. Es gibt mehr als vierzig Inschriften aus der griechischen Antike, die darauf hinweisen, zumal jeder der in Epidauros und andernorts von seinen Leiden geheilt wurde, war verpflichtet seine dabei gemachten Erfahrungen aufzuzeichnen.
In ihren Träumen erlebten manche der Kranken da, wie die Schlange oder der Hund des Asklepios die entsprechend erkrankte Stelle ihres Körpers berührte. Wem so widerfuhr, der erwachte meist mit einer spontanen Heilung.
1 Kommentar
Grüß Gott,
Grüß Gott,
Es gibt auch eine „moderne“ Form des Tempelschlafes, die Gabriele Quinque in Frankfurt, vor gut 3 Jahrzehnten ins Leben gerufen hat. Sie bildet Therapeuten zu Tempelschlaftmystagogen aus. Ich habe diese Ausbildung auch gemacht und es hat meiner Selbsterkenntnis sehr geholfen. Auch ist der Tempelschlaf, bei meinen Methoden als Seelentherapeut, die Königinnendisziplin. Es gibt auch ein Buch von Gabriele Quinque mit dem Titel: Tempelschlaf. Herzlichst Engelbert Weidel