Internationale Sufi-Bewegung - ewigeweisheit.de

Suche nach der einen Religion in allen

Anfang des 20. Jahrhunderts gründete der indische Musiker und Mystiker Hazrat Inayat Khan im Westen einen esoterischen Orden: Die Internationale Sufi-Bewegung. Seine Anhänger glaubten in ihm ihren Meister erkannt zu haben – einen, der sie zum Guten der göttlichen Gegenwart zu führen vermag.

Er hatte das Ziel ein Wissen über eine gemeinsame Einheit in allen Religionen zu verbreiten, damit Vorurteile von Gläubigen abzubauen und dabei ihre Überzeugungen über die geistige Welt (und die von dort auf Erden erschienenen Gesandten) in ein neues Licht der Wahrheit zu rücken. Sein Ziel war den Menschen etwas zu vermitteln, dass sie mit einer höheren, spirituellen Liebe erfüllen sollte. Denn aus der deutlichen Betonung auf die Unterschiede in den Kulturen und Religionen, erwuchs seit Jahrhunderten ein Zorn in den Herzen Gläubiger. Bis heute gibt es eben für viele unter ihnen zwei Lager: Wir und die anderen, wobei Letztere falsch liegen müssen und die Unwahrheit verbreiten. Inayat Khan wollte dieses eigentliche Unwissen, in der Arbeit seines Sufi-Orden ausrotten.

Das wirklich Lebendige im Herzen ist die Liebe. Sie wird erfahrbar als Güte, als Freundschaft, als Zuneigung, als Toleranz und als Bereitschaft, zu vergeben; gleich, in welcher Form dieses lebendige Wasser aus dem Herzensgrund hervorströmt, es macht uns diese göttliche Quelle im Herzen sichtbar.

– Hazrat Inayat Khan

Es ging Khan darum den Austausch von Gedanken und Ideen der spirituellen Traditionen in unserer Welt zu fördern. So wollte er dazu beitragen, dass sich eine universale Bruderschaft auf Erden gründe und sich erhebe über die Grenzen von Nationalität und ethnischer Herkunft. Jedem erfahrenen Menschen dürften solche Ziele wirklich edel vorkommen. Es scheint also kein Zufall, wenn Inayat Khans Lehre eine weltweite Anhängerschaft fand. Man muss sich dabei klar machen, dass seine Arbeit an der Internationalen Sufi-Bewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann, einer Zeit wo in Europa zwei schreckliche Weltkriege wüteten. Vor diesem Hintergrund einen Orden des Friedens und der Liebe zu schaffen, erscheint doch als wahrhaft edel.

Hazrat Inayat Khan Großvater Maula Bakhsh - ewigeweisheit.de

Der indische Musiker Maula Bakhsh (1833-1896).

Der Sufi-Orden der Chishtiyya

Doch wer war dieser Mann?

Seine Schüler stellten seinem Namen Inayat Khan den Ehrentitel »Hazrat« voran, einem Titel der ihn als einen »von Gott Berufenen« ehrte. Khan entstammte einer im indischen Panjab ansässigen alten sunnitischen Sufi-Familie. Zu seinen Vorfahren zählten bedeutende Heilige, Poeten, Musiker und Landbesitzer. In dieses familiäre Umfeld wurde er also geboren.

Die wohl wichtigste Person seiner Kindheit und Jugend war sein Großvater Ustad Maula Bakhsh (1833-1896), einer der bedeutendsten Musiker des Landes, den seine Verehrer den »Beethoven von Indien« nannten. Bakhsh gründete die Musikakademie »Gayanshala«, wo er nach und nach um sich einen riesigen Kreis von Schülern versammelte. Nun kam in den Kreis seiner Schüler ein junger Mann: Rahmat Khan. Er sollte Bakhshs Tochter Khatidja heiraten, deren Kind Inayat dann am 5. Juli 1882 zur Welt kam.

Schon in jungen Jahren faszinierte Inayat Khan durch sein musikalisches Talent. Bevor er das Alter von zwanzig Jahren erreicht hatte, spielte er bereits an den Höfen der Fürsten Indiens. Es heißt, seine Musikalität und außergewöhnliche Begabung zum Gesang, galt den Meistern unter seinen Zeitgenossen, als bis dato unerreicht. Er aber fühlte sich zu etwas Höherem berufen, das über den weltlichen Erfolg hinausgehen sollte.

Maula Bakhsh war bereits im Alter von 15 Jahren dem Sufi-Orden der Chishtiyya beigetreten, einem der wahrscheinlich bedeutendsten islamischen Bruderschaften des indischen Subkontinents. Und da das Verhältnis von Inayat Khan zu seinem Großvater sehr ausgeprägt war, kam auch er in Berührung mit dem Sufismus und sollte unter den Chishtiyyas schließlich seinen zukünftigen Meister treffen: Sayyid Abu Hashim Madani. Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen weihte er Khan feierlich ein in den spirituellen Pfad des Chishti-Sufi-Ordens. Er nahm Khan als Mourid (Schüler) auf, doch schonte ihn nicht in seiner Ausbildung. Er unterzog ihn anfangs anstrengenden Tests, die seinen Mut, seine Widerstandskraft, seinen Glauben und seine körperliche und geistige Selbstbeherrschung auf den Prüfstand stellen sollten. Khans starkes Vertrauen in seinen Lehrer erschütterte das aber keineswegs. Schon als Junge hatte er gelernt, sich durch Versenkung und Askese zu prüfen. Das war auch die Zeit, in der zahlreiche seiner ersten Gedichte entstanden. Sie verfasste er zu Ehren seines Sheikhs Hashim Madani.

Gründung der Sufi-Bewegung

Von 1908 bis 1910 unternahm Hazrat Inayat Khan eine Pilgerreise durch Indien. Zum einen gab er auf vielen Musikveranstaltungen sein künstlerisches Können zum Besten. Doch er traf in dieser Zeit auch mit anderen bedeutenden Geistlichen der Chishtiyya zusammen. Im Herbst 1910 verließ er dann mit seinen Brüdern Mahabub Khan und Mohammed Ali Khan seine indische Heimat und ging in die Vereinigten Staaten. Inayat Khans Ziel war dort seine Musik und seine Sufi-Botschaft bekannt zu machen.

Als er 1912 nach Europa zurückkehrte, verbrachte er einige Zeit in London, wo er seine Esoterische Schule gründete: den Internationalen Sufi-Orden. Drei Hauptziele bildeten die Fundamente dieses Orden:

  • Die Verwirklichung einer Einheit von Religion durch Liebe und Weisheit, wodurch sich die Vorurteile verschiedener Religionsangehöriger gegenüber anderen Glaubensrichtungen erübrigen sollten. Khan ging es dabei um die Entwicklung einer Liebe zwischen den Menschen, womit ein aus Zweifel entbundener Hass auflöst werden sollte.
  • Das Licht und die göttliche Kraft zu erkennen, die in jedem menschlichen Wesen strahlen, bilden ein Geheimnis das hinter allen Religionen wirkt. Durch die Mystik und die Botschaft der Lebensphilosophien, sollte den Menschen eine Harmonie des Verständnisses und der Liebe zugeführt werden – was ganz ohne die Riten einer bestimmten Religion auskam.
  • Menschen eine Hilfestellung bieten zu gegenseitigem Austausch: Damit wollte er eine Verbindung der Traditionen im Osten und im Westen schaffen, mit dem Ziel der Bildung einer universalen Bruder- und Schwesternschaft, die nationale und ethnische Grenzen überbrückt.

Was Inayat Khan damit anstrebte, schien wahrhaft edle Ziele erreichen zu wollen. Doch all das fand statt, wo in Europa ein ganz anderer Zeitgeist herrschte. Schließlich brach 1914 der Erste Weltkrieg aus, also in den Jahren als Inayat Khan auch seinen Sufi-Orden gründete. So eine Organisation schien tatsächlich nur die wenigsten zu interessieren, wo sie sich doch ausgerechnet der Botschaft des Friedens und der Harmonie widmete. Außerdem war für einen Muslim aus Fernost, Anfang des 20. Jahrhundert nur sehr schwer möglich in Europa Fuß zu fassen.

Eigentlich aber lag Inayat Khan daran die Idee von etwas Universalem zu verbreiten. Eben darin lag Khans eigentliche Friedensbotschaft. Doch nach dem Ersten Weltkrieg erschienen solche Bezeichnungen den meisten Europäern wohl vor allem als Synonym für das, was man unter dem Wort »Pazifismus« verstand – eine aktive, politische Arbeit gegen alte, bestehende oder neu aufstrebende Gewaltherrschaften, deren Mittel der kriegerische Terror ist.

Ganz und gar nicht ersuchte Khan mit seiner Bewegung zu den Pazifisten gezählt zu werden. Schließlich war Khans Sufi-Orden keine äußere, protestierende Gegenbewegung zu irgendetwas, sondern eine Gemeinschaft von Sufis, die ihre friedlichen Absichten aus sich heraus erwecken wollten. So war Inayat Khans Orden ganz und gar unpolitisch. Immer hatte er es vermieden sich auf die Seite einer bestimmten politischen Gruppe oder gar einer Nation zu stellen. Es ging ihm vielmehr um das, was er die »Universelle Bruderschaft« nannte – Sufis, die sich nicht allein als Muslime festlegen lassen, sondern denen es insbesondere darum geht zu zeigen, dass es in allen spirituellen Traditionen der Welt einen gemeinsamen Kern des Guten gibt.

Die Zeit ist reif dafür, dass die Menschheit gemeinsam betet, dass sie sich erhebt über die Trennungen und Unterscheidungen und gemeinsam sich vor Gott verneigt und vor den von Gott gesandten Lehrern, Propheten und Meistern, die zu verschiedenen Zeiten auf der Erde gelebt und der Menschheit gedient haben.

– Hazrat Inayat Khan

Als es nach dem Ersten Weltkrieg wieder möglich war, auf dem europäischen Kontinent zu reisen, zog Hazrat Inayat Khan eine Reihe neuer Schüler an. Insbesondere in Holland fand er viele treue Anhänger. Doch auch in anderen Ländern verbreiteten sich seine Schriften und man sprach dort über seine Arbeit.

Im Jahr 1923 gründete Inayat Khan den Sufi-Orden neu, nach schweizerischem Recht in Genf. Das war auch die Zeit, als er sich mit seiner Gattin Amina Begum, im Pariser Vorort Suresnes niederließ. Von da an pendelte er zwischen Paris und Genf.

Hazrat Inayat Khan - ewigeweisheit.de

Hazrat Inayat Khan spielt die Vina (1910). Fotografie aus seinem Buch »Naturmeditationen«.

Verbreitung der Lehren Khans

Hazrat Inayat Khans Arbeit im Westen blieb schwierig. Er hatte es sich anfänglich einfacher vorgestellt, doch sah sich schnell konfrontiert mit immer neuen Problemen. Wahrscheinlich wären ihm die Dinge einfacher gelungen, hätte er einfach einen neuen Glauben vertreten, eine neue Religion gründen wollen. Als Missionar eines indischen Maharadscha, wäre ihm die Umsetzung seines Plans vielleicht leichter gefallen. Doch so etwas widersprach seiner Auffassung von einer Bruderschaft die einen Weg der Einheit finden sollte. Eine neue Sekte zu gründen hätte ganz und gar im Widerspruch gestanden zu seinem eigentlichen Ansinnen. Es ist eben sehr schwierig eine spirituelle Botschaft zu verbreiten, ohne gleichzeitig ein irdisches Fundament damit zu erbauen. Und so etwas erfolgt eben immer in einem politischen, zumindest aber in einem sozialen Rahmen.

Khan befand sich in einer vollkommen neuen Welt. Und wo er keine Freunde hatte, erschien es ihm fast unmöglich mit seiner spirituellen Botschaft Fuß zu fassen. Der Kommerz, der Anfang des 20. Jahrhunderts im Westen vielen Menschen zum zentralen Lebensthema geworden war, schien die Herrschaft des Materialismus anscheinend immer attraktiver zu machen. Hinzu kam, dass im Westen, bis heute bestehende Vorurteile gegen den Islam fortbestanden, was auch heute leider wieder als Gespenst in den Köpfen vieler Menschen geistert.

Auch wenn man über den Sufismus sagen kann, dass er die mystische Seite des Islam darstellt, heißt das nicht, dass die Sufis immer schon Muslime waren. Schon lange bevor der Islam im 7. Jahrhundert in die Welt kam, gab es Sufis in Zentralasien und im alten Persien. Immer zählten zu ihnen jene, die sich als Reisende in ständigem Austausch befanden mit Weisen und Gelehrten verschiedener philosophischer und spiritueller Schulen. Diese Grundidee die eigentlich den Sufismus ausmacht, wollte Inayat Khan wieder neu beleben und den Menschen vermitteln.

Mission der Sufi-Bewegung in der Welt

Vor diesem Hintergrund, sollten für Khans Sufi-Bewegung nun zwei Hauptaufgaben erwachsen:

  1. Einzelpersonen bei ihrer Suche nach einer universalen Wahrheit zu unterstützen und
  2. ein besseres Verständnis unter den Menschen zu erreichen und ihnen damit zu zeigen, wo ihre Gemeinsamkeiten liegen – etwas das eben Ziel aller ist, die nach Ewiger Weisheit (Sophia Perennis) streben.

Für ihre tatsächliche Erfüllung aber, müssen diese Aufgaben gemeinsam gesehen werden, denn sie sind voneinander abhängig. Wie auch sollte sich eine Gesellschaft weiterentwickeln und verbessern, ohne gleichzeitig die Entfaltung des Individuums zu fördern? Für Inayat Khans Sufi-Bewegung sollte dies in der Tat möglich sein, ohne dabei seine gänzlich unpolitische Mentalität zu verlieren. Zentrales Thema des Sufismus ist nun einmal die Mystik, jene spirituelle Geistesdisziplin, bei der sich die Sufis durch Versenkung und Hingabe mit dem Göttlichen verbinden, bis hin zur ekstatischen Vereinigung in Gott (arab. »Dhikr«).

Eine Entweltlichung vom Sein

Seit alter Zeit kam die Botschaft der göttlichen Weisheit durch die Vermittlung eines Mystikers zu den Menschen. Wichtigste Charaktere in diesem Fall waren die Propheten, wobei den Sufis, wie auch anderen Muslimen, der Prophet Mohammed (as) als letzter Gesandter gilt. Und doch fielen die göttlichen Gesetze immer wieder auch in die Hände weltlicher Intellektueller. Sie glaubten sich in ihrem Handeln auf die Propheten berufen zu können, doch da sie keinen Weg zur Teilhabe am göttlichen Licht fanden, blieben es schließlich nur Unvollkommene. Man kann Gott nicht verstehen, sondern nur erfahren.

Um unpolitisch und parteilos zu bleiben, muss ein Mensch danach streben den tatsächlichen Zustand des Lebens zu sehen – etwas, das diejenigen nicht sehen können, die alleine am weltlichen Leben interessiert sind. Wie aber soll so jemandem gelingen Toleranz zu üben, gegenüber anderen Philosophien oder Religionen?

Nur derjenige kann alle Probleme von einem gerechten Standpunkt aus betrachten, in dessen Herz sich Gott widerspiegelt und der über Nationen, Rassen, Kasten, Glaubensbekenntnisse und Religionen steht.

– Hazrat Inayat Khan

Wer nun ist zu solch Toleranz im Stande?

Sich von gesellschaftlichen und politischen Auffassungen zu lösen können wohl nur jene, die nach einem gemeinsamen Kern in Allem suchen – nach jenem mystischen Zentrum göttlichen Lichts, dem alles Sein entwächst. Nach und nach werden sie lernen, auch in sich diesen göttlichen Funken zu erkennen, etwas, das wahrhaftig in allen Menschen glänzt.

Khan versuchte seine Schüler zu diesem Erkennen zu führen. Das war das Wichtigste, was die Sufi-Botschaft in die Welt gebracht hatte. Nur durch Toleranz gegenüber allen Glaubensrichtungen sollte einer die Vorstellung von der einen Wahrheit erkennen können. Sie bildet den Stamm eines mystischen Baumes, dessen Zweige die Religion bilden und der auf unserem Planeten verwurzelt ist. Sein Same aber ist himmlischen, ist göttlichen Ursprungs.

Die eine Religion

Wenn ein Mitglied der Sufi-Bewegung von »Wahrer Religion« spricht, deutet er metaphorisch auf etwas hin, dass sichbezeichnen ließe als »mystisches Meer aller Wahrheit«. Auf der Oberfläche dieses gleichnishaften Meeres bewegen sich die verschiedenen spirituellen Strömungen. Sie breiten sich wie Wellen auf dem Wasser dieses Meeres aus. Immer wieder gibt es Gezeiten in diesem Meer, die den Menschen eine neue Botschaft Gottes bringen. Doch dieses Meer, das in Gott enthalten ist, bleibt immer das selbe, ist ewig existent, ohne Anfang und ohne Ende.

In diesem Verständnis liegt große Weisheit für all diejenigen, die sich auf dem Pfad zur Wahrheit befinden. Die Wahrheit an sich aber ist ein pfadloses Land. Wer seinen Weg dorthin bereits gefunden hat, der wird nicht mehr glauben, dass andere auf einem falschen Pfad sind, um ihnen etwa zeigen zu müssen was der richtige oder bessere Weg für sie sei. Vielmehr haben sie erkannt, dass letztendlich jede Straße zu diesem gleichen Ziel führt, für alle Suchenden, die die Grundsätze göttlicher Wahrheit in sich gefunden und erfahren haben.

Inayat Khans Sufi-Bewegung versuchte seinen Anhängern diese Offenheit zu vermitteln, als das Wesensprinzip dessen, was heute allgemein mit dem Wort Liebe beschrieben wird. Ihm ging es nicht darum Menschen zu einem bestimmten Glauben zu bekehren oder gar andere Glaubensrichtungen als falsch hinzustellen. Eher lag ihm daran die Menschen zu einem Sufitum zu bewegen und sie damit an alle Glaubensrichtungen dieser Welt heranzuführen, ohne sich dabei an einen bestimmten Glauben binden zu müssen. Damit bildet die Internationale Sufi-Bewegung durchaus eine Sonderform des Sufismus, sind doch die Mitglieder der meisten anderen Orden immer Muslime.

Der Glaube eines Sufi war für Khan ein freies Ideal. Nichts sollte jemanden beschränken oder ihm sogar verbieten, sein Interesse auch auf anderen Religionen zu richten. Was aber für solche Menschen wie Inayat Khan galt, musste, und braucht auch heute noch lange nicht, für jeden zutreffen. Schließlich bedarf es einer großen Stärke sich als spiritueller Mensch ganz frei in der Welt der Religionen und Weisheitsschulen zu bewegen. Gleichzeitig sollte diese Lebensauffassung aber auch nicht missverstanden werden. Denn Khan ging es zwar um Toleranz, die im Erkennen der oben definierten Situation gefunden werden kann, doch er war Muslim – das war seine Religion, die eine Tradition auf die er sich zurückverband.

Visionen der Sufi-Bewegung

Für Inayat Khan waren die Menschen mehr als nur soziale, politische Wesen. Vielmehr sah er die Menschheit als den Körper eines riesigen planetarischen Wesens, wo die verschiedenen Glieder dieses Körpers die verschiedenen Haupt-Ethnien bilden. Die Nationen entsprechen den Organen dieses Wesens, worin die Individuen wie Teilchen sind, aus denen sich der Körper dieses Wesens zusammensetzt. Gott aber macht den Geist dieses Körpers aus.

So wie die Gesundheit und das Glück dieses Körpers davon abhängen, dass sich jeder seiner Teile in gutem Zustand befindet, so hängt das Glück und der Frieden der ganzen Welt und der Menschen, vom Zustand des anderen ab.

In Wahrheit sind alle Seelen Kinder Gottes, aber jene Seelen, die sich ihrer Beziehung zu Gott so bewusst sind wie ein Kind gegenüber seinen Eltern, tragen den Namen ‚Kinder Gottes‘ zurecht.

– Hazrat Inayat Khan

Unsere Herausforderung heute, ist Lösungen und Antworten zu finden für die große Komplexität an Problemen und Fragestellungen die in der Welt existieren. Ein Problem besteht nie nur allein an sich, sondern ist stets auch mit anderen Schwierigkeiten verbunden. Alles hängt miteinander zusammen: wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen politische Probleme, da sie soziale Herausforderungen begleiten. Und auf Grundlage eines gegenwärtigen Konsens, ergeben sich außerdem Schwierigkeiten moralischer Art.

All das betrachtet könnte man meinen, dass diese großen Menschheitsaufgaben kaum zu lösen seien. Und doch soll die Menschheit auch in Zukunft weiter leben – am besten in Frieden und Glück. Nur wie ließe sich diese Utopie tatsächlich realisieren?

Der erste Schritt wäre wohl sicher eine Veränderung der Lebenshaltung und -einstellung, etwas wozu jeder von uns in der Lage ist. Das kann jeder für sich durch eine moralische, spirituelle und religiöse Weiterentwicklungen auch tatsächlich herbeiführen. Kaum verwunderlich, dass insbesondere Hazrat Inayat Khan daran fest glaubte, denn auf diesem Fundament beruht schließlich die Arbeit der Internationalen Sufi-Bruderschaft. Es ging ihm und seinen Vertretern nicht darum Menschen in einer neuen Religion, Sekte oder unter einem bestimmten spirituellen System zu einen. Das nämlich hätte nur noch eine weitere Gruppe geschaffen, die sich von anderen abgrenzt. Khan versuchte eher eine Methode zur Veränderung der Lebenseinstellung zu liefern, als mit wieder einem neuen System, anderen Religionen oder anderen Glaubensüberzeugungen zu widersprechen oder diese in Frage zu stellen.

Inayat Khan zielte auch nicht darauf ab, dass seine Schüler von da an die ganze Menschheit umarmen sollte. Vielmehr versuchte er, dass das was er an seine Schüler weitergab, diese in den Dienst der gesamten Menschheit stellen sollten. Damit bildet seine Sufi-Bewegung bis heute eine offene Tür für alle diejenigen, die zum Kern ihres wahren Glaubens vordringen wollen. Wer das in sich findet, wird es wohl auch in jedem anderen entdecken können.

 

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