Auch wenn es keinen direkten Zusammenhang gibt, spricht einiges für die Annahme, das sich mit dem Einsetzen des Christusereignisses die alten Mysterien erübrigten. Was man dazumal im Geheimen erfuhr, schien sich in jenem allbekannten Kreuzweg Jesu für immer zu enthüllen: die Bedeutung von Leiden und Sterben, und dem daraus erstehenden neuen Leben.
Von so etwas ausgehend dürfte es kaum verwundern, wenn in den Jahrhunderten nach Christus ein riesiger Schriftkorpus mystischer Theologie entstand. Dazu zählt sicherlich auch das Johannes-Evangelium, worauf vielleicht auch die darin enthaltenen sieben charakteristischen »Ich-Bin-Verse« hindeuten. Einer davon etwa lautet:
Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.
– Johannes 14:6
Jener Weg, von dem der Vers spricht, steht für den verborgenen Pfad, der durch eine Innere Welt der Rückbesinnung führt. Einem Weg beschaulicher Meditation. Wer sich auf ihm bewegt, entsagt allem Niederen, nähert sich einem Leben in Wahrheit. Dem Sucher eröffnet sich dieser Weg zur Wahrheit, die im christlichen Sinne in Gott liegt. Er vergilt dem Gläubigen diese Suche, lässt in ihm, in seiner Seele, das Wesen wahren Seins anklingen.
Die Texte Christlicher Mystik geben dem Leser einen Leitfaden, um sich einem Leben in Gott zu nähern. Hiermit, was dabei manchmal als Christuskraft bezeichnet wird, strömen dem Sucher jene geistigen Einflüsse zu, die sein Herz mit Glück zu erfüllen vermögen. In diesem Heiligen Geist nämlich, läutert sich auch der menschliche Geist, wird zu etwas Höherem, Edlerem.
Jene geistigen Kräfte himmlischer Heiligkeit aber, stammen aus einem Bereich, der uns Menschen zunächst verborgen ist. All jene Symbole, die durch den Christus der Menschheit offenbart wurden, bleiben dem uneingeweihten Herzen ein Rätsel. Doch es ist in Wirklichkeit das, was sich in alter Zeit den Teilnehmern der großen Mysterienfeiern, als zentrales Geheimnis offenbarte: der symbolische Tod.
Welche Bedeutung liegt dem zu Grunde?
Wenn die Symbolik des Todes das innigste Geheimnis der alten Mysterien bildete, wurde es im Zeichen des sterbenden Christus am Kreuz eigentlich allen Menschen eröffnet. Im Kreuzestod und der Auferstehung des Gottgesandten, fand letztendlich auch die Enthüllung einer der verborgensten Mysterien-Geheimnisse statt.
Die in den alten Mysterien gemachten Erfahrungen, waren jedoch nicht durch Worte beschreibbar. Darum verpflichteten sich die Initianden, gar unter Todesandrohung, ihre Erlebnisse der Einweihung geheim zu halten. Was die Initianden in den Mysterienspielen am eigenen Leibe erfuhren, war eben nicht durch Worte beschreibbar. Wer darüber gesprochen hätte, hätte ihren eigentlich Sinn vollkommen verfehlt und nichts als Verwirrung gestiftet.
Es ging aber wohl auch um die Wahrheit dessen, dass ohne zu Sterben kein Leben möglich ist. Und ja: Wir sterben jeden Augenblick und werden im Folgenden wieder geboren. Den ersten Atemzug nahmen wir nach unserer Geburt, atmeten ihn wieder aus und von da ab, immer wieder ein und aus, bis unser letzter Atemzug genommen und im Sterben ausgehaucht wurde.
Diese offenbare Tatsache, berührten vielleicht auf die Initiationsereignisse der Mysterien, jedoch auf eine noch einhelligere, stimmigere Weise. Was das insbesondere heißen könnte, darauf verweist vielleicht ein weiterer der sieben Ich-Bin-Verse des Johannes-Evangeliums:
Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.
– Johannes 11:25f
Christus am Kreuz. Bild-Tafel am Knappenaltar in der Hallstatt-Kirche Oberösterreich.
Vom Erkennen der eigenen Göttlichkeit
Wer über die Abgründe des christlichen Kreuzigungsweges, sowie jene hohe Heiligkeit der Auferstehung kontempliert, der kann nach und nach zu einem Wissenden werden – zu einem, in dem jener »Weg der Wahrheit und des Lebens« seine Wirkung zeigt.
Was sich einst im alten Griechenland in den Mysterienfeiern um Demeter, Persephone und Dionysos ereignete, sollte dereinst das Christusmysterien ablösen. Denn mit der Erscheinung des großen Weltlehrers Jesus, schien sich die göttliche Wesensart zum ersten Mal in einem Menschen zu verkörpern.
In jedem von uns aber existiert ein göttlicher Funke der unvergänglich und in einem ewigen Kreislauf von Sein und Nichtsein lebendig ist.
Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte.
– Offenbarung 22:13
Dennoch aber hatte auch dieser Zustand ewig göttlicher Einwohnung, seinen Beginn. Am Anfang war das Nichts, wie es heißt (Genesis 1:2), war Wüste und Leere und daraus erst entstand das Dingliche der Welt, worin auch die Seelen ihre Körper erhielten (Genesis 2:7).
In den Fleischwerdungen der ersten Menschen, war bereits die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis veranlagt (Genesis 3:7). Doch mit der Erkenntnis der eigenen Körperlichkeit, entdeckte der Mensch auch seine eigentliche Trennung vom göttlichen Ursprung – ohne aber seinen Fall als solchen auch zu verstehen. Adam und Eva erkannten im Essen vom verbotenen Baum ihre Nacktheit, hüllten diese in Kleider und identifizierten sich seit jener Zeit mit ihrem Körper – der in Wirklichkeit aber zum Schutz ihrer in die Weltlichkeit gefallene Seele diente. Seit dieser Zeit aber scheint das Empfinden jener ursprünglichen Seligkeit verloren. Der Mensch zog sich zurück aus seiner eigentlichen Einheit in Gott. Als sich die Seele so individualisierte, wurde ihre Göttlichkeit in den Pferch des Körpers eingefangen, worin sie bis zum Tode des Selben weilt.
All das aber sind nur Beschreibungen eines viel höheren Mysteriums, dass sich durch Worte nicht zufriedenstellend erfassen lässt. Was bleibt ist ein Umriss dessen, was der Mensch in seinem Individuationsprozess in der Trennung vom Göttlichen erlebt und sich damit in den Zustand einer allgemeinen Unwissenheit begibt.
Die Seele ist göttlichen Ursprungs, doch bewegt sich während ihrer Existenz, im Übergang durch die Welt in einem für sie geborenen menschlichen Körper. In diesem Gefährt strebt sie dem Göttlichen zu, bis sie mit dem physischen Tod wieder zurückkehrt zum Einen, dem universalen Zentrum in Gott. Während eines Menschenlebens aber, verdunkelt der Körper diese lichtvolle Verbindung zwischen der Menschenseele und der Weltseele im Göttlichen.
Wer sich hiermit eingehender befasst, dem könnte das Gesagte womöglich zweifelhaft erscheinen. Es sieht nämlich danach aus, dass jener universale Weltengeist die Seele in all ihren Inkarnationen, in scheinbar unzähligen Menschenkörpern versklavt, auf einem teils leidvollen Weg über die Erde. Das bliebe aber nur die eine Hälfte der Wahrheit, wenn da nicht auch die menschliche Fähigkeit zur Selbsterkenntnis wäre. In jenem lebendigen Gedanken der Erkenntnis nämlich liegt das, was Jesus Christus als das »Lebendige Wort« bezeichnete:
die da wiedergeboren sind, nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Wort Gottes, das da ewig bleibt.
– 1. Petrus 1:23
Die Erkenntnis des Selbst aber erspart einem nicht die Bemühung, sich eher mit der Seele und weniger mit seinem Körper zu identifizieren. Denn je länger wir uns in unserer leiblichen Inkarnation befinden, kranken wir noch. Im Streben eines Seelenlebens nach unserem eigentlich göttlichen Ursprung aber, darin lässt sich wahre Heilung finden.
In diesem Streben der Seele nach einer Rückkehr in die Einheit in Gott, liegt die eigentlich höchste Weisheit. Es ist das, was die Hermetik als »Solve et Coagula« bezeichnet: »Lösen und Binden«. Um auf eine höhere Ebene des Seins zu gelangen, gilt es alte Bindungen zu lösen, damit sich neue Verbindungen schließen lassen – bis es irgendwann auch diese wieder zu lösen gilt, um weiter fortzuschreiten.
Erfolgt dieses kontinuierliche Auftrennen und Aneinanderfügen in angemessenen Zeiträumen, kann eine Person ihren irdischen Ausgangszustand immer weiter veredeln, bis sie sich in jene geheime Gefilde begeben hat, wo sich allmählich jener verborgene Stein der Weisen zu enthüllen beginnt – mit dem einer alles Unedle umzuwandeln vermag, in eine goldene Vollkommenheit des Seins.
Die Notwendigkeit des Todes
Was zuvor mit dem Streben der Seele nach Höherem angedeutet wurde, setzt folglich auch ein Sterben voraus. Die Konsequenzen des Fortschreitens auf diesem Weg, auf den auch Jesus seine Jünger verwies, ist wovor sich die meisten Menschen fürchten: die unaufhaltsame Tatsache vom Tod des eigenen Leibes. Denn alle Materie ist an die Zeit gebunden. Sie nagt an ihr, bis sich der aus ihr geformte Körper irgendwann wieder in Nichts auflöst.
bis dass du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.
– Genesis 3:19
Was viele am Sterben so erschreckt, ist der Übergang ins Unbekannte. Denn eigentlich erfolgt unser Tod schmerzlos oder erlöst einen Menschen endlich nach langem Leiden. Immer aber entledigt sich die Seele dabei ihrer körperlichen Barrieren und bekleidet sich stattdessen mit einem Gewand göttlichen Lichts.
All das aber hat wenig zu tun mit tagtäglichem Nachdenken und Grübeln über unser Leben. Weder Meditation noch die Anrufung der Heiligen und der Engel können herbeiführen, was hier angedeutet wurde: Da nämlich war unser Körper tot und unsere Seele bereits in ihrer ganzen Bloßheit vor dem Angesicht Gottes. Trotzdem liegt darin das »Große Werk« wodurch der geheimste und allerheiligste Tempel errichtet wird, die Wohnstätte Gottes. Hierher kehren dereinst alle von Gott ausgesendeten Seelen zurück.
Vor diesem Hintergrund erscheint es darum auch falsch, den Leidensweg Christi nur für ein grausames Ereignis zu halten. Denn er starb nicht nur in seinem Körper, sondern erstand in ihm auf zu neuem Leben.
Und doch fand all das statt zwischen der Christusseele und Gott. Es war als hätte die Seele den einen Gott und sich selbst, als die eine Anbeterin erkannt. Sie war allein mit dem Alleinigen. Schließlich aber löste sich diese Anbeterin in Gott auf, war fortan mit ihm eins und errang allein sein einiges Bewusstsein.
Hierin liegt das wahre Geheimnis höheren Selbstbewusstseins: Weniger geht es um Selbstreflexion, als vielmehr um das Einfließen des Selbst in die Einheit ewigen Bewusstseins. In diesem Zustand nämlich wird der Erkennende selbst zur Erkenntnis, löst sich in ihr auf. Damit fallen alle Schranken der Getrenntheit und das Selbst erkennt seinen eigentlich göttlichen Ursprung.
In dieser Erkenntnis erblüht jene kosmische Kraft, die man Liebe nennt. Und in dieser Liebe lösen sich alle trennenden Übergänge zwischen Subjekt und Objekt auf. Was bleibt ist die göttliche Liebe an sich. Das ist die Lichtseite, der sich ein Mystiker zuwenden kann, wenn er bereit ist, selbst einen Kreuzweg auf sich zu nehmen und dabei über sein bisheriges Sein hinauszuwachsen.
Geheimwissenschaften der Ausflucht
All das aber ist schneller geschrieben und gelesen, als letztendlich auch herbeigeführt. Denn viel zu oft glauben wir, durch allerhand Ausflüchte Probleme zu umgehen, die wir in Wirklichkeit aber aus dem Weg räumen sollten. Etwas das nur geht, indem wir uns unseren Problemen stellen und nach Wegen ihrer Lösung suchen.
Immer aber gab es Menschen, die sich mit Techniken und Riten geheimer Wissenschaften auseinandersetzten, um die eigentlich schwierige Arbeit am Selbst zu meiden. Entweder drängt jemanden ein eigennütziges Anliegen oder es ist vielleicht die Neugier darüber, wie sich über verborgene, magische Fähigkeiten Macht erringen ließe.
Jene bereits angedeuteten Wege, die an die Pforten des verschlossenen, himmlischen Königspalastes führen, gibt es auch jenseits christlicher Mystik. Es sind Abkürzungen, die zu den Hintereingängen jenes Licht-Palastes führen, an die einen dann jene Wesenheit bringt, von der wir auch im zweiten Kapitel der biblischen Genesis erfahren. Da nämlich gewann der Mensch Erkenntnis als er ein Verbot missachtete und eine Grenze überschritt. Diese Grenze aber sollte sich für immer zwischen ihm und dem himmlischen Gottesreich auftun. Laut der Geheimtradition wusste König Salomon von jenen Gesetzmäßigkeiten, mit deren Schlüsseln er die verborgene Hintertür zu öffnen vermochte. Er aber war ein Prophet und kein gewöhnlicher Mensch.
Eine gegenläufige Tradition
Selbst im himmlischen Königreich wird ein Stück weit die Heftigkeit von Liebes- und Erleuchtungsereignissen toleriert. So zumindest will es die heilige Schrift. Es ist etwas, das zwischen der Erkenntnis über das Wesen von Gutem und Bösem hinausdrängt. Wer die darin liegende Wahrheit erfährt, befähigt sich anscheinend den innersten Gefilden der Welt Gottes zu nähern. Und diese Annäherung will durch jenen verborgenen Hintereingang erfolgen, der sich auf der tiefsten Seite einer Tradition befindet, die ganz und gar das Gegenteil von dem zu sein scheint, was oben über den »Weg und die Wahrheit und das Leben« gesagt wurde.
Sie ist, was man als »Gegenläufige Tradition« bezeichnen könnte: eine Suche nach Wunderkräften und Mitteln diese auch zu erlangen und über sie nach Belieben zu verfügen. Zusammengefasst geht es also um das Streben des Magus. Er verfolgt aber Ziele, die genau nach dem Gegenteil dessen suchen, wonach sich das Herz eines Mystikers sehnt. Ersterer hegt den Wunsch mit höheren Geistesfähigkeiten Materielles oder gar Personen zu bezwingen. Ein Mystiker aber richtet sich allein auf sein Herz aus, auf seine Wesensmitte, wo er sich nach der Einheit in Gott sehnt.
Mit den Ambitionen eines Magiers aber entfernt sich ein Mensch von sich und damit von Gott, auch wenn er sich der geheimen Schlüssel Salomons bedient.
Schließlich aber wird sich ab einem gewissen Grad auch so jemand bewusst, dass darin auch die negativen Konsequenzen seiner kommenden Niederlagen schwelen könnten. Ist diese Zeit aber bereits eingetreten, scheinen sich die Auswege leider immer weiter zu verminder, da die gerufenen Geister nun einen Weg gefunden haben, an der eigenen Körperlichkeit teilzuhaben und sich, wenn überhaupt, nur äußert ungern verscheuchen lassen.
Wenn Erkenntnisse an den Abgrund führen
In der Kabbala ist die Rede von der Höhe der Krone der Schöpfung – genannt Sefirah Kether, dem höchsten Punkt des Lebensbaumes. Das spirituelle Gewächs des Lebensbaumes aber wurzelt in der Sefirah Malkuth – Sinnbild unserer materiellen Welt.
Unterhalb Malkuths, befindet sich ein tiefer Abgrund. Darin warten die dunklen Hüllen der Klipoth: der unreinen Schalen spiritueller Finsternis. Nur in einer strahlt ein Licht hervor, die man die Klipa Nogah nennt: die Venusschale – Schale des Glanzes (der hier verwendete hebräische Begriff Klipa, ist der Singular von Klipoth). Darin schimmert jenes Licht der Erkenntnis, dass Luzifer den ersten Menschen einbläute. So erkannten sie ihr Geschlecht und wurden selbst zu Schöpfern. Sie erfuhren aber auch vom Nutzen, der von jener glänzenden Schale ausging, in die ihr innerstes Sein gehüllt ist. Aus ihr wirkt das Stille Wissen über die Magie. Und doch steht sie jenseits allen göttlichen Segens. Es ist also eine Frage der Entscheidung, wo der Mensch, allein in seiner Verantwortung steht. Damit aber nähert er sich der Unterwelt, worin sich also auch die schädlichen Klipoth befinden.
Da die Wirkungen der göttlichen Gnadenströme gänzlich universell sind, scheinen sie weniger effizient und sich in dieser Angelegenheit der Manipulation von Geist und Materie, recht schnell zu ermüden. Das ist der Grund dass sich Menschen mit den dunklen Geheimwissenschaften beschäftigen, da sich daraus eben jene Wahrscheinlichkeiten konzentrieren lassen, die zu jeder nur erdenklichen Wirkung führen – negativ wie positiv – dem was bezeichnet wird als Schwarze und Weiße Magie. Letztendlich steht dahinter aber immer ein Streben nach Macht über andere. Wie aber will man sie gewinnen, wenn man nicht einmal Macht über das eigene Triebverhalten gewonnen hat und sich ermächtigte jene venusische Klipa Nogah vollkommen zu kontrollieren?
Wer sich trotzdem auf diesem schmalen Grat fortbewegt, ist angewiesen ganz und gar präzise Handlungen auszuführen. Wer nur ausprobiert bringt sich in Gefahr, denn in seinem Hochmut vergisst er leicht jenen tiefen Schlund des finsteren Abgrunds, der sich unter ihm immer weiter öffnet. Wer in Unwissenheit zur eigenen Bereicherung handelt, ist bereits verloren.
In den Irrgärten ewiger Nacht
Zu den oben angedeuteten Geheimwissenschaften, gehört ohne Zweifel auch die Alchemie: die wundersame Kunst die dem Menschen helfen soll (oder auch kann) chemische Elemente in einander umzuwandeln (Blei in Gold), Krankheiten zu heilen oder gar Menschenleben zu verlängern.
Doch dieser berüchtigten Wissenschaft haftet auch ein esoterischer Zug an, der sich weniger der Materie, als eher dem Seeleleben zuwendet. Alchemie ist die Erforschung jenes »Hintereingangs« von dem oben die Rede war. Daran ist eigentlich auch nichts Verwerfliches. So aber wie sich da eine Pforte aus der Seele heraus, hin zum Göttlichen eröffnen lässt, gibt es auch eine, die in die finsteren Schlacken der Unterwelt führt. Nichts aber von dem was sich dort befindet, könnte man »erhaben« nennen. Es gleicht eher einer Jauchegrube, wo aus den Faulgasen negativer Gedanken und Handlungen, etwas aufsteigt, das manche tatsächlich für Spiritualität halten.
Die Waage der Maat in der Szene aus dem alt-ägyptischen Totengericht, Illustration aus dem Totenbuch des Hunefer (um 1275 v. Chr.). Anubis, Führer in der Totenwelt wiegt das Herz (links) des Verstorbenen gegen die Feder der Maat (rechts). Die Jenseitsgöttin Ammit (rechts) wacht über den Vorgang.
Die in diese Richtung geöffnete Pforte, gleicht einer getarnten Falltür. Wer dort hineinfällt, stirbt an diesem Abgrund für immer und ohne Wiederkehr. Sein Herz nämlich wiegt dort schwerer als die Feder der Maat, jenem alt-ägyptischen Symbol wahrer Gerechtigkeit. Dort verschlingt ihn Ammit, die Jenseitsgöttin des Totengerichts. Und von da an fristet er in diesem Abgrund ohne Wiederkehr, einer riesigen Grube in der sich die Überreste aller verlorenen Seelen befinden. Es ähnelt wohl jener tiefsten Hölle von der in Dantes Inferno die Rede ist. Ein Gefängnis der von Gott ausgeschlossenen Seelen, die dort bis zum jüngsten Tage fristen.
Ebenso aber wie sich Engel und Heilige den Seelen der Himmlischen zuneigen, entsprechend herrschen in diesem Abgrund dämonische Gebieter des Grauens. Alles was einem Schwarzmagier dann noch an Erhabenheit bleibt, ist einzig das Teuflische. Das könnten die Folgen des Strebens sein, solche Dämonen zu egoistischen Zwecke angerufen zu haben. Wer sich den Tiefen jenes Abgrunds zuneigt, macht sich zum Sklaven des Satan und seinen verkümmerten aber grausamen Sendboten.
Eine Seele die an Schwarzer Magie (auch weißer Magie?) Gefallen findet, begibt sich in die Gemäuer dieser Schattenwelten, die erfüllt sind von Gier, Neid, Hass, Boshaftigkeit und Rachsucht und was sonst noch jemals an Zwietracht zwischen Menschen gesät wurde. Eine solche Seele sucht das Böse um seiner selbst willen – weiß in Wirklichkeit aber nichts davon.
Umkehr auf den Pfaden inneren Lichts
Wer Verstand besitzt neigt sich daher jenen Pforten zu, die seiner Seele erlauben sich auch Gott zuzuwenden. Auch wenn der Weg dorthin steinig ist, einem große Mühen bereitet und scheinbar kein Ende nimmt, wird sich einem schließlich doch jener Eingang zum Höchsten eröffnen.
Bei alle dem muss aber auch gesagt sein, dass jene höllischen Tiefen, von denen zuvor die Rede war, ebenso unantastbar sind wie die himmlischen Höhen, auf die oben hingedeutet wurde. Es sind eben keine Orte in Raum und Zeit. Doch liegt darin nicht ein Widerspruch? Vielleicht liefert das dritte hermetische Axiom darauf eine Antwort:
Alles ist zweifach, alles hat Pole, alles hat seine Paare von Gegensätzen, gleich und ungleich sind dasselbe. Gegensätze sind von Natur aus identisch, jedoch verschieden im Grad. Extreme berühren sich. Alle Wahrheiten sind nur Halbwahrheiten. Alle Widersprüche können miteinander in Einklang gebracht werden.
Wer erkennt, dass jene symbolische Tür, die sich nach oben hin öffnet, auf den Pfad zur Befreiung und Zufriedenheit der Seele führt, wird sich gewiss von allem Dunkel magischer Geheimwissenschaft lossagen.
Im Beschreiten jenes Lichtpfades bewegt sich der Sucher jenseits von Magie, Weissagung, Hellsicht oder dem Austausch mit Geistern und Dämonen. Er sehnt sich nicht mehr nach den sagenhaften Mächten eines Magiers, die man sich im Ausführen besonderer Rituale zu gewinnen erhofft. Vielmehr geht es um ein Begehren jener Heiligkeit, wo sich die Seele am übersprudelnden Brunnen göttlicher Wonnen labt. Hier ist alle Komplexität überwunden, sind aller Prunk und Unmäßigkeit passé. Ein Rückzug aus alltäglichem Wunschdenken und eigennützigem Handeln in dieser Welt findet hier ein Ende.
Es sind keine äußeren, profanen Sehnsüchte die der Seele Genugtuung versprechen. Sicher fühlt sich eher, wessen Suche sich bewusst auf die inneren Pfade des Seelenlebens konzentriert. Darum dürfte es nur logisch erscheinen, dass wir nach Gott eigentlich in uns suchen sollten. Wer sich seinem Selbst auf nämlich diese Weise nähert, hat gar kein Bedürfnis mehr sich den Dingen im Außen ermächtigen zu wollen. Eher erwächst damit ein Streben nach dem, was sich ihm im Innersten seiner Seele offenbart und ihn leitet, den Zweck seines eigenen Daseins auf Erden zu finden.
Jens Lelie
3 Kommentare
Zu diesem wiederum sehr
Zu diesem wiederum sehr interessanten Artikel möchten wir ein paar Verse aus dem Werk DIE WIEDERGEFUNDENE BOTSCHAFT von Louis Cattiaux zitieren, welche die nach Gottes-Vereinigung und dem Ewigen Heil Suchenden zuversichtlicher bei ihrer Suche machen könnten:
„Erbitten wir von Gott, was uns nützen kann, ihn zu erreichen, sei es die Gnade, sei es die Liebe, sei es die Erkenntnis, sei es die Ruhe, und kümmern wir uns nicht um die Mittel, die er verwendet, um uns zu retten. – Der Herr verweigert den Gläubigen nichts.“ (Die WB VIII, 14)
„Alles, was wir von Gott mit der Sanftheit und mit der Heftigkeit der Liebe erbitten, wird uns gewährt werden, denn das ist der Schlüssel, der den geheimnisvollen Schatz des Lebens öffnet und schließt.“ (Die WB VI, 30′)
„Es ist sinnlos, zu versuchen, uns durch uns selbst zu bessern und zu retten, denn wir würden nur beim Hochmut eines illusorischen Erfolges und bei der Zuversicht einer trügerischen Sicherheit enden.
Und unser finaler Zustand wird tausendmal schlimmer sein als der erste, denn wir werden geschickt den Schlamm, der uns vergiftet, angehäuft und verdeckt haben, statt ihn ganz und gar beseitigt zu haben.“ (Die WB, XXXI, 36+36′)
„So müssen wir es vorziehen, den Rat und den Beistand des Herrn in allen Lagen zu erbitten und uns mit Glauben in seine wundervollen Hände zu übergeben…die sanft in uns das Leben von dem Gift trennen, das es erstickt… (Die WB XXXI, 37+37′)
„Wir müssen die Demut des Todes durchlaufen, bevor wir die Glorie der Auferstehung erreichen.“ – Jedoch, gewisse Auserwählte Gottes werden verwandelt werden, ohne den Tod zu durchlaufen, denn sie essen den Herrn des Lebens von jetzt an.“ (Die WB -XXXI, 38+38′)
„Man muss auflösen, bevor man koaguliert.“ – „Das ist das Gesetz des Himmels und der Erde.“ (Die WB XXXI, 39+39′)
„Zuerst wird de Herr auf uns einwirken, dann werden wir in seinem Namen auf die Welt einwirken, ohne uns jemals die Macht zuzuschreiben, die uns von ihm gegeben sein wird.“ – „Die wahrhaften Kinder Gottes erkennt man in dieser Welt daran, dass sie ständig Gott die Glorie zutragen von dem, was sie in seinem Namen tun.“ (Die WB XXXI, 40+40′)
„Ist nicht das Licht des Lebens aus der Vereinigung des Himmels und der Erde hervorgegangen? Und finden sich die beiden Wege Gottes nicht wundersam vereint in ihm allein?“ (Die WB XXXI, 41)
Die Auserwählten, die „den Herrn des Lebens essen“, müssen die Kommunion wohl von einem wahren Priester nach dem Orden des Melchisedek erhalten!
Rat und Beistand: das ist
Rat und Beistand: das ist wirklich wichtig. Viele glauben die großen Lehrer der esoterischen Philosophie, hätten ihren Schülern irgendwelche Geheimnisse verraten. Ich meine, das taten sie auch, doch darin enthüllte sich ihnen nicht, in welchen Farben die Engel im Himmel kreisen, sondern in welchen Tönungen die „Grauwerte in ihrem Leben“ ihr Fortkommen behindern. Ein wahrer Meister hilft auf dem Weg der Selbsterkenntnis und verrät keine okkulten Geheimnisse. Danach muss der Schüler selber trachten. Wenn er kurz davor ist, wird ihm ein Meister andeuten, welchen Weg er von dort aus weitergehen muss.
Wieder einmal sehr erhellend,
Wieder einmal sehr erhellend, vielen Dank!