Über das Gute auf dem Dunklen Pfad

Licht ist die Quelle allen Lebens auf unserem Planeten. Wohl alle Religionen sprechen darum über Licht als vom Heil, als was dem Menschen heilig ist. Licht aber kann, je heller es ist, die Augen eines Menschen blenden.

Nun gibt es manche, die aber positiv von genauen Gegenteil alles sinnlich Wahrnehmbaren sprechen, was beim Licht ja wohl die Dunkelheit und beim Klang die Stille ist. Zu jenen zählt in diesem Fall wohl auch der chinesische Weise Lao Tse (6. Jahrhundert v. Chr.), wenn sagt:

Die fünf Farben können blenden,
Die fünf Töne betäuben,
Die fünf Geschmacksrichtungen sind süßlich,
Die Rasse, die Jagd können Menschen verrückt machen,
Und ihre Beute lässt ihnen keine Ruhe.
Deshalb zieht ein vernünftiger Mensch das Innere dem Äußeren vor.

– Daidejing des Lao Tse, Kapitel 12

Gemäß Lao Tse wurzeln unsere Ursprünge unter der Erde, sind unsere physischen Körper doch aus der selben, alchemistischen Substanz geformt, was ja auch die biblische Genesis über die Erschaffung des ersten Menschen sagt – wo auch jeder Wissenschaftler zustimmen dürfte, wenn mit dem Element Erde all das bezeichnet wird, das fest, träge und dunkel ist.

Doch machen diese drei Adjektive aus der Erde etwas Schlechtes, etwas Negatives? Die Erde ist still, sie bewegt sich nicht, sie bleibt – ruhig. Und aus eben diesem Element Erde besteht die Hülle unseres Planeten, der wohl ja nicht zufällig dessen Namen trägt.

Auf diese Erde fällt das Licht der Sonne. Es bescheint fast zwei Drittel des Jahres die lebendigen Blätter an den wachsenden Zweigen der Bäume, die jährlich ihre Früchte geben. Und diese Früchte und Blätter fressen die Tiere. Dann im späten Herbst stirbt das besagte oberirdische Wachstum und zieht sich bis zur Wurzel zurück, der dann die dunkle Stille der Untererde eine neue Kraft verleiht. Der Baum hat alles losgelassen und sich der Stille, der langen Nächte des Winters übergeben, hat sein Leben in das dunkle Innere seines Grundes zurückgezogen.

Ruhe, Entspannung, Gelassenheit

Wenn wir da also gesagt haben, dass der Baum, der in der Regel ja viel länger lebt als ein Mensch, sich im Winter beruhigt und sammelt, so ist das bei uns Menschen eine Sache jeden Tages. Denn auch wir müssen entspannen, müssen das oft lärmende Denken in unserem Kopf abstellen. Dann gilt statt zu eilen die Langsamkeit.

In solch Langsamkeit aber kommt, man wird sich wundern, wenn man sich selbst einmal beobachtet, die eigene Ehrbegierde zum Vorschein, als die treibende Kraft in unserem täglichen Eilen.

Wir wollen, wünschen uns, begehren. Stille aber kann nur sein, wo sich Wünsche verringern, um sogar irgendwann ganz zu verschwinden. Doch das braucht Zeit, braucht eine Arbeit am selbst. Wer damit schnell ans Ziel kommen will, der wird es verfehlen, wird an ihm vorbeilaufen, da es ihm dann um ein ehrgeiziges „Erringen“ ging, was doch niemals langsam und schon gar nicht still sein kann.

Vielmehr geht es darum, immer wieder und auch immer mehr bleiben zu lassen – loszulassen. Stille im Denken schafft eine Leere, die keiner Manifestation bedarf. Und doch birgt diese eigentlich gänzlich finstere Leere ein Potential, doch ein Potential das nicht in Bewegung sondern in vollkommener Ruhe und darum auch nicht wahrnehmbar ist. Das Licht das wir am Tag erleben, aber kommt durch Bewegung aus diesem Potential zur Welt, ist daraus abgeleitet, wie es der Evangelist Johannes in dem bekannten Vers wiedergibt:

Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht begriffen

– Johannes 1:5

Dies leuchtende Licht steht für die Energie, auf die wir Menschen angewiesen sind und alles Leben in unserer Welt. Wir beziehen sie in unserem täglichen Leben und speichern sie im Dunkel unseres Inneren, wo sie unseren Körperfunktionen und unseren bewussten und unbewussten Handlungen zur Verfügung steht. Das jedoch setzt voraus, das wir auch schlafen und uns nachts ausruhen, um die aufgenommene Energie zu speichern, sie zu bündeln. Aber auch am Tag sollten wir sparsam mit dieser Energie umgehen, uns in Langsamkeit üben und durch Meditation in uns zur Stille finden, langsam und im bewussten Wahrnehmen der Dunkelheit unserer geschlossenen Augen.

Rastlosigkeit

Unser Körper möchte leben. Und er kann nur leben, wenn er sich Ruhe gönnt. All unser tägliches Handeln und Streben. Der Körper muss atmen, trinken, essen, sich entleeren und muss schlafen. Er hat erotisches Verlangen und bedarf eines inneren Gleichgewichts seiner organischen Funktionen.

Doch er braucht auch ein Dach über dem Kopf, Gesundheit, eine materielle Grundsicherung und Menschen denen er vertraut und die er liebt. Wertschätzung und Selbstbestätigung gehen aus Letzterem hervor, aus denen wiederum der Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit geboren werden kann.

In unserer modernen Gesellschaft aber, in der viele Ambitionen unsere Vorstellungskraft beflügeln, ist das Streben über die einfachen Bedürfnisse hinaus verstärkt. Man will weit mehr, als nur Grundbedürfnisse befriedigt sehen, man will Besitz, glaubt Ruhm zu wollen und nach Macht streben zu müssen, wobei letzteres Streben nicht nur im Großen stattfindet.

Besonders aber solch ein Streben führt ganz sicher, wenn es allein auf dem Wunsch individueller Erfüllung basiert, schon sehr bald einen Menschen in die Ruhelosigkeit. Denn Besitzt muss gepflegt, Ruhm erlangt und Macht erhalten werden, was vieler Erledigungen bedarf, so dass von einer Stille nicht mehr die Rede sein kann. Der Körper treibt einen Menschen da ständig dazu an, etwas zu tun.

Und da sich nun materielle und weltliche Bedürfnisse, wie die drei Besagten es ja sind, eigentlich nie ganz befriedigen lassen, wird Ehr-Geiz zum Antrieb des Tuns. Und dann beginnt ein Mensch allmählich zu hasten, in dem bald schon verzweifelten Bedürfnis, irgendetwas zu erreichen. Deshalb aber bringen heutzutage nur wenige Menschen etwas wirklich Wertvolles hervor, da sie keine Geduld haben, sondern allein für Ihren Ehrgeiz leben, in Eile sind, rastlos und angestrengt unter äußerem und innerem Lärm.

 

Die Stimme der Stille

Der Innere Lärm ist das ständige Gerede im Kopf, das sich ständig wiederholt, so als würde man ein Gedicht aufsagen, dass man in seinem gesitigen Tagebuch über all die Enttäuschungen durch andere notiert hatte. Und solch Gedicht wird irgendwann zum Lied, einem Lied das man immer und immer wieder zu singen beginnt, in der Hoffnung damit einen Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen, einen Wunsch nach „gerechterer Behandlung“ durch das äußere Leben oder ein Sehnen nach mehr Anerkennung, Ruhm und Reichtum, um damit andere Menschen zu beeindrucken.

All das findet ja zum größten Teil am Tage statt, sicherlich aber in den Wachstunden. Und den Tag regiert das Licht. Und dieses Licht ist die Energie unserer Triebkräfte für die Aktivität unseres Tuns und Schaffens. Unser Leben ist bei all dem zuletzt Gesagten geprägt von einem Streben, dass aber eine Unruhe, das Eilen und Lärm bestimmen. Und dieser Lärm dringt bald nach Innen als ein Licht des Überschusses das unsere Energiespeicher einer dunklen Stille bald verbraucht.

Was aber wäre, unsere Körperlichkeit versuchte nicht mehr zu bekommen was sie will, sondern was sie braucht? Es wäre einfach weniger Anstrengung nötig, um ein gutes Leben zu führen. Dann könnten sich die Dinge so entwickeln wie sie sollen, das heißt, sich herausbilden, losgelöst von allem Konsumstreben, frei von der Sucht nach Anerkennung oder dem Wunsch so viel wie möglich in der Welt zu bewirken und zu beeinflussen.

Was sich auf natürliche Weise im Leben eines Menschen vollkommen entwickeln kann, braucht keine Anpassung des Äußeren an ichbezogene Wünsche genauso wenig, wie ein „Sich-Richten“ am Außen, um etwaigen gesellschaftlichen Moden entsprechen zu können. Denn ist all das doch auf unserem Denken basierend, einem Denken unserer eingebildeten Fantasie über das, wie die Dinge scheinen sein zu müssen. Mit unserem wahren Wesen aber hat das nichts zu tun.

In der Alchemie entspricht dem Element Luft das Denken. Denken scheidet, unterscheidet. Meinungen trennen. Analyse. Eben darum auch steht in den sogenannten „Kleinen Arkana des Tarot“ das Symbol der Schwerter für das Denken. Es ist, womit ein Mensch begabt ist. Doch der Mensch ist mehr als nur ein „Ich denke also bin ich“, wie es einst der französische Philosoph René Descartes (1596-1650) zu formulieren suchte. Es ist nur ein Teil unseres Dasein, dass eher der funktionellen Fähigkeit eines Sekretärs entspricht. Wohl wirklich wichtig aber ist unsere Gefühlswelt, die sich inspirieren lässt mit dem Geist unseres wahren Selbst.

Unsere gefühlte Existenz ähnelt den Wellen eines Meeres, in dessen tiefer Dunkelheit vollkommene Stille herrscht. Seine Oberfläche bilden Wellen, die aufeinanderprallen und sich gegenseitig beeinflussen. Sie stehen symbolisch für die Dinge unseres gewöhnlichen Lebens, Einflüsse unseres ansonsten stillen, tiefen Wesens, das der Essenz unseres wahren Selbst entspricht. Alles in unserer Welt manifestiert sich aus der Kraft, die hinter diesem tiefen, dunklen und stillen Meeresgrund – das ist es, wonach sich die Menschen wirklich sehnen.

 

 

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